Ersatzfreiheitsstrafen – Lippmann: Vollstes Vertrauen in geplante Reform des Strafgesetzbuches durch Ampelregierung
Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion DIE LINKE: „Ersatzfreiheitsstrafen endlich abschaffen – Grundlagen für einen menschenwürdigen Umgang mit Bagatelldelikten schaffen!“
49. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 04.05.2022, TOP 10
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
die Ersatzfreiheitsstrafe ist ein Dauerdiskussionspunkt unter den Strafrechtsexperten und in den vergangenen Jahren auch in einer immer größeren Öffentlichkeit.
Sie wurde im Rahmen der Großen Strafrechtsreform 1969 verabschiedet und dient seither als Surrogat für Geldstrafen, wenn diese nicht eingebracht werden können. Von den Befürwortern wird sie oft auch als das „Rückgrat“ der Geldstrafe bezeichnet, denn ohne sie würde das Sanktionssystem Geldstrafe zusammenbrechen. Von den Gegnern wird sie als diskriminierend abgelehnt und auch zunehmend rechtspolitisch als höchstproblematisch diskutiert. Sie darf nur Ulitma Ratio sein, denn sie greift in die persönliche Freiheit nach Art 2 Absatz 2 GG ein. Noch problematischer wird es, wenn diese im Zusammenhang mit einem Strafbefehl verhängt wird und zu keinem Zeitpunkt eine richterliche Anhörung erfolgt.
Ob sie das Prinzip der Gewaltenteilung nach Art 20 GG durchbricht, wie der Antrag meint, bezweifle ich zwar, der Antrag der LINKEN fordert die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen und greift unter I viele kritische Punkte auf, die wir als BÜNDNISGRÜNE teilen.
In der Praxis trifft sie vorrangig einkommens- und vermögensschwache Menschen. Menschen. Menschen mit vielfältigen Problemlagen, wie Wohnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Suchtproblemen oder psychischen Problemen. Die Zeit der Inhaftierung ist so kurz, dass nicht einmal Basishilfsmaßnahmen, wie Therapiemaßnahmen oder ein Alkoholentzug, greifen. Und nicht selten ist die Ersatzfreiheitsstrafe nicht nur der Weg in die JVA, sondern auch in eine tiefere kriminelle Karriere.
Die Probleme sind bekannt und es wurde in der Vergangenheit schon viel diskutiert, welche alternativen Sanktionsmöglichkeiten es geben könnte, die bestenfalls die Ersatzfreiheitsstrafe ersetzen könnte. Klar wird, es gibt nicht den einen Königsweg, auch wenn das Thema nun endlich Eingang in den Koalitionsvertrag auf Bundesebene gefunden hat.
Schon 2000 wurde ein Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionssystems vorgelegt – allerdings mit dem Ergebnis, die Ersatzfreiheitsstrafe sei unerlässlich. Sechszehn Jahre später wurde erneut ein Bericht auf der Jumiko Frühjahrskonferenz beauftragt. Dieser liegt wohl nun seit dem vergangenem Jahr vor. Die neue Bundesregierung hat nun zu Recht im Koalitionsvertrag vereinbart, das Sanktionensystem einschließlich Ersatzfreiheitsstrafen, Maßregelvollzug und Bewährungsauflagen zu überarbeiten – mit dem Ziel von Prävention und Resozialisierung.
Die Einführung alternativer Sanktionsmöglichkeiten oder gar die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe ist Bundessache. Die Länder können wiederum Maßnahmen zur Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe schaffen. Bekannt sind hier „Schwitzen statt Sitzen“, oder „Auftrag ohne Antrag“. Nach Art 293 EGStGB können die Länder Verordnungen zur Abwendung von Ersatzfreiheitsstrafen erlassen. Auch Sachsen hat 2014 davon Gebrauch gemacht, mit leider weiterhin zu wenig Resonanz.
Die Frage, die man sich hier zunächst stellen muss, ist: Muss überhaupt eine Strafe verhängt werden, die empirisch häufig zur eine Ersatzfreiheitsstrafe führt? Das bringt uns zu dem Punkt Entkriminalisierung und der geplanten Strafrechtreform.
Der Antrag greift hier ein bekanntes Thema auf, die Beförderungserschleichung nach § 265a StGB. Der Tatbestand stammt noch aus der Nazizeit von 1935. Würde man diesen Straftatbestand streichen – ob dann als Ordnungswidrigkeit oder komplett, wie es der Antrag mutmaßen lässt, sei einmal dahingestellt –, wäre dann ein Großteil aller Fälle der Ersatzfreiheitsstrafen mit einem Schlag erledigt. Damit würden auch jede Menge Kosten gespart. Laut Justizministerium würde der Freistaat über eine Millionen Haftkosten sparen. Das würde das Finanzministerium doch sicherlich freuen.
Entkriminalisiert man Schwarzfahren, bleiben andere Anlassstraftaten, wie Diebstahl, Hehlerei oder Straßenverkehrsdelikte bestehen, wegen der bei uneinbringlichen Geldstrafen Ersatzfreiheitsstrafen verhängt werden.
Der Antrag schlägt deshalb in Punkt II 1. die komplette Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe vor. Hier ist der Antrag leider etwas dünn geraten. Zwar sieht er stattdessen gemeinnützige Arbeit vor, was durchaus als Lösungsweg diskutiert werden kann, jedoch lässt er andere Lösungsoptionen außen vor. Wenn es um eine Reform der Sanktionssysteme geht, so sollte aber auch der bunte Blumenstrauß an Optionen diskutiert werden können. Dem verwehrt sich der Antrag zugunsten einer einzigen, gleichfalls nicht unumstrittenen Lösung.
Aber auch dieser Vorschlag der gemeinnützigen Arbeit ist etwas dünn geraten. Ich verweise da gern auf unseren Antrag aus der letzten Legislatur, wo wir einen ähnlichen Vorschlag mit weiteren Forderungen unterbreitet haben, etwa einen regionalspezifischen Pool an Trägern aufzubauen oder aufsuchende Sozialarbeit als weiteres Mittel mitzudenken. Auch ist nicht jeder in der Lage zu arbeiten. Hier braucht es Härtefallregelungen.
Die neue Bundesregierung plant eine Reform des Strafgesetzbuches. Dabei verschreibt sich die Bundesregierung einer evidenzbasierten Strafrechtspolitik. Das Kriterium der „Evidenzbasierung“ verspricht Wissenschaftlichkeit und Rationalität. Das erfordert eine systematische Herangehensweise, nicht nur immer wieder ein Reagieren im Einzelfall. Dem würde ich, anders als die LINKE, ungern vorgreifen.
Neben dem Schwarzfahren sehe ich da einige Delikte, die für uns BÜNDNISGRÜNE auf den Prüfstand gehören: Werbeverbot für den Schwangerschaftsabbruch, Entkriminalisierung Cannabis, Datenhehlerei – um nur einige zu nennen.
Dieser Diskurs ist jetzt so breit wie möglich auf Bundesebene zu führen und wurde vom Bundesjustizminister auch schon mehrfach angekündigt. Ich habe hier vollstes Vertrauen in die Ampelregierung. Diesem Prozess mit einem bereits vorgegebenen Ergebnis, am besten noch aus jedem einzelnen Bundesland, vorzugreifen, halten wir nicht für zielführend und braucht es aus unserer Sicht auch nicht, weshalb wir den Antrag ablehnen werden.
Vielen Dank!