Eva Jähnigen: Aufgabenanalyse und -kritik sind unabdingbar für die Entscheidung über die Personalausstattung der Polizei
Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zum Antrag „Bericht der Staatsregierung zur Überprüfung der Stellenausstattung der Polizei im Hinblick auf den Wegfall der Schengengrenzen“ in der 13. Sitzung des Sächsischen Landtages am 28. April 2010, TOP 9
Es gilt das gesprochene Wort!
—————————————————————————-
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
auch wir GRÜNEN meinen, dass Aufgabenanalyse und -kritik Polizei unabdingbar ist bevor weitere Stellen bei der Polizei abgebaut werden. Debatten wie heute hat das sächsische Parlament in der letzten Legislatur mehrfach geführt – und die Sache ist noch keinen Schritt weiter!
Der gut informierten Gerüchteküche nach steht die nächste Strukturreform ins Haus. Wie schon öfters wird sie am Parlament vorbei geplant – dass so viele Informationen wie in den letzten Tagen aus den nichtöffentlichen Beratungen in die Öffentlichkeit dringt, spricht jedoch weder für diese Planungen noch für die Arbeitsatmosphäre in Polizei und Regierung.
Die Abschaffung der Polizeidirektionen ist ein altes Rezept, leider aber überhaupt kein alt-BEWÄHRTes: die Führungsebene soll gestrafft und mehr Bündelung erreicht werden, dadurch soll mehr Polizeipräsenz auf die Straße kommen – die Wirkung wurde bisher nicht nachgewiesen! Hinzu kommt die heute in der Bildzeitung aufgeworfene Frage, ob bei Einführung der neuen Polizeistruktur erhebliche Gelder für die jetzt eingeführten Polizeidirektionen falsch investiert wurden.
Ich fordere die Regierung deshalb auf: stellen Sie heute klar, inwieweit es derartige Pläne gibt und wann das Parlament in diese Pläne einbezogen wird!
Die Staatsregierung hat uns Ende 2009 einen Bericht „zur Überprüfung der Stellenausstattung der Polizei in Hinblick auf den Wegfall der Schengengrenzen“ vorgelegt. Dieser Bericht die Situation nur bruchstückhaft und wenig kritisch schildert. Wir sind deshalb gespannt, wie sich die Realität in der auf Antrag der GRÜNEN stattfindenden Expertenanhörung zu diesem Bericht im Juni im Innenausschuss darstellen wird.
Alarmierend ist allerdings, dass nach Aussage dieses Berichtes (Drs. 5/860) polizeiliche Aufgaben wegen der Schwerpunktbildung im Grenzraum nicht mehr wahrgenommen werden, wörtlich heißt es:
„Um die Sicherheit in den Grenzregionen auch in den nächsten Jahren zu gewährleisten, mussten andere polizeiliche Aufgabenfelder, wie die Verkehrsüberwachung oder Präventions- und Präsensaktivitäten, zurücktreten.“
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus der CDU,
auf diese Weise verlassen Sie selbst ihren Anspruch, Garant für die öffentliche Sicherheit in Sachsen zu sein. Der Koalitionsvertrag verengt das Problem ebenfalls. Auf Seite 50 findet sich der Satz:
„Wir werden die flächendeckende Präsenz und Einsatzfähigkeit der Polizei, besonders in den Grenzregionen, garantieren.“
Das heißt doch: Zugunsten des Grenzraums müssen Sie Sicherheitslücken im ländlichen Raum und bei der Verkehrsüberwachung sowie längere Reaktionszeiten in Kauf nehmen.
Nun kann man vielleicht darüber streiten, ob eine Verringerung der Poldi-Einsätze in Kindergärten die öffentliche Sicherheit berührt. Geklärt werden muss aber die grundsätzliche Frage: welche Aufgaben soll die Polizei zukünftig ausführen, welche Leistungs- und Qualitätsstandards gelten und wie ist das Verhältnis von Prävention und Repression? – Für diese Klärung ist der sächsische Landtag der richtige Ort!
Dabei muss es unseres Erachtens eben auch um die Frage gehen, wann eine Bürgerin weitab der Grenze bei einem Hilferuf bei der Polizei mit deren Eintreffen rechnen kann. Mein Fraktionskollege Miro Jennerjahn fragte die Einsätze in der Silvesternacht für die Polizeireviere und –posten der PD Westsachsen ab. Die Ergebnisse sind besorgniserregend: Eintreffzeit von 50 Min nach Anruf wegen Bedrohung oder nach über einer halben Stunde zur Gefahrenabwehr (so in den Antworten auf die kleine Anfrage Drs. 5/867) oder von 48 min nach einer Körperverletzung besorgniserregend ist, ebenso wie die Antwort „keine Kräfte verfügbar, Klärung durch Wachschutz“.
Der dem Parlament vorgelegt Bericht zur Überprüfung der Stellenausstattung der Polizei ist ungeeignet eine Auseinandersetzung über die notwendige Stellenausstattung zu führen. In ihm wird pauschal vorgeschlagen, weitere vollzugspolizeiliche Aufgaben wie die Verkehrsüberwachung und die Prävention auf die Ortspolizeibehörden zu übertragen – angesichts der Situation in den kommunalen Haushalten eine unakzeptable Sparmaßnahme. Wollen wir angesichts des steigenden Verkehrsaufkommens auf sächsischen Straßen die Überwachung noch weiter zurückfahren?
Wir GRÜNEN unterstützen deshalb die Forderung der SPD nach einem umfassenden Bericht über die bestehenden Aufgaben der Polizei, den tatsächlichen Bedarf und die daraus abgeleitete, notwendige Stellenausstattung.
Den angedachten Stellenabbau bei der Polizei hat in einer Landtagssitzung der 4. Legislatur vor 2 Jahren und 14 Tagen die FDP thematisiert und damals einen befristeten Stellenabbau gefordert. „Wir von der FDP fordern die Staatsregierung auf: setzen Sie den Stellenabbau aus!“ – so Herr Dr. Martens, damals als innenpolitischer Sprecher der FDP.
Stellen sie sich, werte Kollegen der FDP, heute auf den Standpunkt – wie bei der damaligen Debatte Herr Bräunig als Redner für die mitregierende SPD: „Was wir für diese Diskussion nicht brauchen, sind Oppositionsanträge?“ Ich glaube eher, dass Sie den Druck aus der Opposition brauchen um die bisherige Arbeit zu qualifizieren.
Zu Punkt 2 des SPD-Antrags werden wir uns am Ende des Doppel-Haushaltsjahres enthalten. Vollzugsaussetzung am Ende eines beschlossenen Gesetzes halten wir für nicht zielführend, weil allein mehr Personal auch keine Garantie für Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ist! Um die Diskussion zu führen haben wir einen – wie wir meinen – besseren Ansatz gewählt und die schon erwähnte eine Expertenanhörung zum vorliegenden Bericht im Innenausschuss beantragt.
Knackpunkt für die kommende Diskussion um Stellenkürzungen ist für uns die fehlende Sicherheitsanalyse für Sachsen. Punktuell beschreibende Berichte genügen uns als Entscheidungsgrundlage nicht – zumal wir bei der Entscheidung über Stellenabbau in der Polizei und im gesamten Freistaat auch die Ausstattung anderer Bereiche, insbesondere in der Justiz beachten müssen.
Aktuell verfügt die Polizei über 13.798 Stellen lesen wir im Bericht der Staatsregierung. Die künftige Stellenausstattung muss sich an der Sicherheitslage in Sachsen orientieren – Ein Leersatz, wenn die Sicherheitslage nicht wirklich analysiert wird!
Rheinland-Pfalz, ein vergleichbares Flächenland West, hat laut Stellenplan im aktuellen Haushaltsplan 2010 über eine Stellenzahl von ca. 11.050 Stellen verfügt. Jetzt ist die Sicherheitslage in Sachsen sicher anders: wir haben steigende rechtsextremistische Gewalttaten und personalintensive Einsatzlagen in Zusammenhang mit Fußballspielen. Selbstverständlich müssen wir uns an dieser sachsenspezifischen Sicherheitslage orientieren; nur scheint mir eben das Vorhandensein der Grenze zu Tschechien und Polen nicht ausreichend. Diese sicherheitspolitische Schwerpunktbildung zulasten der Verkehrsüberwachung und sonstiger Prävention gehört auf den Prüfstand.
Deshalb brauchen wir, ich wiederhole es noch einmal, eine Sicherheitsanalyse und eine Aufgabenkritik. Polizeiarbeit muss sich immer an den konkreten Bedürfnissen der Menschen ausrichten – und wir im Parlament müssen die Sicherheitslage konkret analysieren und darauf konkrete Qualitäts- und Leistungsstandards für die Polizeiarbeit definieren. Erst so kann über die Personalausstattung entschieden werden.