Eva Jähnigen: Der Freistaat Sachsen hat die Pflicht und Schuldigkeit, alles dafür zu tun, dass es keine Diskriminierung von Menschen anderer sexueller Identität bei uns gibt

Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zur Großen Anfrage der GRÜNEN-Fraktion "Situation der Nichtheterosexuellen in Sachsen" (Drs. 5/5009) in der 37. Sitzung des Sächsischen Landtages, 26.05., TOP 2
Eine Regierung, eine Parlamentsmehrheit, die sich nicht endlich um die elementare Gleichstellung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft bemüht, muss von Staatsmodernisierung und einem weltoffenen Sachsen gar nicht reden
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich einmal vor: Sie spazieren am Wochenende mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner Hand in Hand in einer sächsischen Kleinstadt durch die Fußgängerzone, erfreuen sich am nahenden Sommer und hören plötzlich von hinten eine Stimme: "Solche wie ihr wären früher vergast worden." Sie würden ihren Ohren nicht trauen – zu Recht. Leider gehört das auch noch jetzt zum Alltag von Schwulen und Lesben – gerade in ländlichen Regionen Sachsens. Das berichten Beratungsstellen und Betroffene.
Eine wissenschaftliche Studie zu Gewalterfahrungen von schwulen und bisexuellen Jugendlichen und Männern zeigte gerade für Sachsen besonders starke Homophobie auf: die MANEO-Umfrage von Moritz Fedkenheuer und Bodo Lippl von 2006/07 stellte fest, dass in Sachsen doppelt so viel Gewalt gegen Schwule ausgeübt wurde wie in Sachsen-Anhalt oder Thüringen. Das ist ein Alarmsignal.
Hoffentlich haben wir insoweit einen Konsens in allen demokratischen Fraktionen. Aber: Allgemeine Toleranzappelle genügen nicht. Der Freistaat Sachsen – wir als Parlament, die Regierung, Verwaltung und Justiz − hat die Pflicht und Schuldigkeit, alles dafür zu tun, dass es keine Diskriminierung von Menschen bei uns gibt, die eine andere sexuelle Identität haben und sie auch leben wollen.
Wo steht Sachsen bei Erfüllung dieses Auftrages? Die wenigen Antworten und vielen Nichtantworten auf unsere Große Anfrage zeigt: Die Staatsregierung weiß fast nichts über die Situation der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Sie weiß nichts zu sagen über die Situation von Jugendlichen, von Familien mit homosexuellen Eltern oder Kindern, von Migranten, über Homosexualität im Alter oder zu Opfern von Homophobie und Transphobie. Selbst eine Auskunft über die von der eigenen Landesuntersuchungsanstalt Sachsen veröffentlichten Neuinfektionsraten von AIDS wird in der Antwort verweigert.
Teilweise versucht die Staatsregierung ihre Ignoranz mit dem Datenschutz zu bemänteln. Das ist eine schlechte Ausrede – anonyme Statistiken sind möglich und üblich. Tatsächlich spricht aber der Unwille der Regierung sehr deutlich aus den meisten Antworten zum Thema.
Sie weiß nichts, weil sie es nicht wissen will. 
Das wenige was wir aus der Großen Anfrage erfahren haben, spricht wiederum leider für sich – wie z.B. die Tatsache, dass regional angebotene Fortbildungen für Lehrer zum Thema "Sexuelle Identität" mangels Anmeldungen in den Jahren 2006 – 2010 abgesagt werden mussten (vergl. Teil II, Fragen 9 und 10).
Ihre Politik des Wegsehens ist unakzeptabel. Es muss also gehandelt werden, meine Damen und Herren von der Regierung.
Beginnen wir mit der Eingetragenen Lebenspartnerschaft homosexueller Männer und Frauen: seit fast 10 Jahren gilt sie nun in der BRD und seit über 7 Jahren besteht auch die europarechtliche Verpflichtung, die Betroffenen gleich zu behandeln. Mehrere Gerichte in oberster Instanz haben das rechtskräftig festgestellt. Sachsen ist nunmehr zusammen mit Thüringen bundesweit Schlusslicht in der Umsetzung dieser Institution. Und dabei gibt es in Sachsen schon fast 1000 Eingetragene Lebenspartnerschaften und ihre Anzahl steigt.
Das Ergebnis ist: Recht und Praxis klaffen ins Sachsen auseinander. Die Betroffenen diskriminiert das; sie müssen sich ihr Recht mühsam über Jahre hinweg einklagen. Der Freistaat verliert diese Klagen alle und muss die Kosten und den Personalaufwand tragen. Völlig unnötige Bürokratie.
Während sich die Abgeordneten von Schwarz–Gelb gern mit Bürokratieabbau schmücken, herrscht hier eine bürokratische Prüferitis ohnegleichen. Dabei geht es einfach nur um die Frage, wo man den Begriff "Ehegatte" durch den Begriff "Lebenspartner" ergänzen muss, um das sächsische Recht mit übergeordnetem Recht in Einklang zu bringen. Mehr nicht! Dass wir von Ihnen, sehr geehrter Herr Justizminister, in dieser wichtigen Frage seit Ihrem Amtsantritt nicht ein einziges Mal ein Engagement erlebt haben, ist bezeichnend für das Fehlen liberaler Politik in dieser Regierung.
Versprochen war, dass die Regierung die jeweilige Beratung von Fachgesetzen nutzt, um dann die Eingetragene Lebenspartnerschaft zu berücksichtigen. Uns liegen nunmehr aber Fachgesetzentwürfe vor, die das erneut missachten – die GRÜNE Fraktion hatte darauf bereits im Februar hingewiesen. Aus den vagen Antworten und Zeitangaben der Regierung in Teil II der Großen Anfrage wird deutlich: Wir werden auf diese Weise auch nach Ablauf unserer Legislaturperiode die Eingetragene Lebenspartnerschaft im Landesrecht nicht umgesetzt haben. Das wäre ein Armutszeugnis.
Wir fordern die Staatsregierung deshalb auf, nunmehr ein Artikelgesetz bis zum Herbst dieses Jahres vorzulegen. Über den Sommer können alle Landesregelungen abgecheckt werden – z.B. verbunden mit der Überprüfung des Landesrechts im Normenkontrollausschuss – und dann kann der Landtag 10 Jahre nach Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftgesetzes endlich darüber beraten.
Sehen wir auf die Situation von Menschen, die lesbisch oder schwul, bisexuell, trans- oder intersexuell sind: Für Betroffene und ihre Angehörigen gehören versteckte und offene Diskriminierung zum Alltag – teilweise sogar vorurteilsmotivierte Kriminalität und Gewalt.
Wir schlagen deshalb vor, dass die Landesregierung einen Aktionsplan gegen Homophobie und Transphobie erarbeiten lässt. Er soll unter breiter öffentlicher Debatte verabschiedet werden und ein zielgerichtetes, abgestimmtes Handeln in der Fläche des Landes ermöglichen. Andere Bundesländer gehen hier mit guten Beispiel voran, wie Berlin oder Nordrhein-Westfalen oder legen Maßnahmeprogramme auf, wie Rheinland-Pfalz mit dem Programm "Unter dem Regenbogen".
Folgende Schwerpunkte halten wir dazu für besonders wichtig:

  • mehr Bildung und Aufklärung über Homosexualität und andere nichtheterosexuelle Lebensweisen in der gesamten Gesellschaft
  • besondere Vorbildwirkung und Sensibilität der gesamten öffentlichen Verwaltung Sachsens in all diesen Fragen
  • Beratungsangebote und ggf. Unterstützung für Betroffene besonders im ländlichen Raum – die Maßnahmen im Rahmen des Weltoffenen Sachsens sind zwar gut, reichen dafür aber nicht aus
  • ein Gremium das parallel zum Aktionsplan den Dialog zwischen Parlament, Regierung, Betroffenen und gesellschaftlichen Gruppen von den Arbeitgeberverbänden bis zu den Kirchen führt − z.B. in der Art eines Runden Tisches oder eines Bereites − und die Politik berät
  • eine kontinuierliche, begleitende Auswertung mit genauem Wissen über die Situation homosexueller, bisexueller, transsexueller und intersexueller Menschen in ganz Sachsen – denn nur so können die einzelnen Maßnahmen gezielt und wirkungsvoll bestimmt werden

Sehr geehrte Damen und Herren,
es geht hier um Menschen und ihre Rechte. Jede und jeden von ihnen brauchen wir als engagierten Mitbürger in unserem Land.
Es geht aber auch um die Reputation von Sachsen. Eine Regierung, eine Parlamentsmehrheit, die sich nicht endlich um die elementare Gleichstellung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft bemüht, muss von Staatsmodernisierung und einem weltoffenen Sachsen gar nicht reden.
Wenn Sie, meine Herren und Damen von der Koalition, dieses Thema nicht endlich angehen, sind sie nicht glaubwürdig. Wir in der Opposition sind uns da einig. Packen Sie es jetzt mit uns gemeinsam an! Setzen Sie mit dieser Debatte heute ein deutliches Zeichen! Der Entschließungsantrag "Situation der Nicht-Heterosexuellen in Sachsen"