Eva Jähnigen: Die Polizei hütet als einzige Behörde das Gewaltmonopol des Staates – diese Verantwortung erfordert vollständige nachträgliche Überprüfbarkeit

Sehr geehrte Damen und Herren,
werte Kolleginnen und Kollegen,
Polizeibedienstete sollen künftig ein Schild mit Namen und Dienstgrad tragen – das ist schlicht und einfach Ziel unseres Gesetzentwurfes. Er wird unterstützt vom Willen zahlreicher Petenten an den Sächsischen Landtag und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International.
„Zu einer bürgernahen und bürgerorientierten Polizei gehört insbesondere die Möglichkeit, den einzelnen Polizeibeamten im täglichen Dienstgeschehen persönlich anzusprechen. Dies ist auch Ausdruck einer selbstbewussten Polizei. Die verantwortungsvolle Arbeit der Polizeibeamten dient dem Schutz und dem Bestand unserer Rechtsordnung. Die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass jeder Polizeibeamte im Einsatz nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelt.“
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich habe mir eben erlaubt, die Eingangsworte zum Gesetzesentwurf der brandenburgischen CDU-Fraktion zur Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Polizei in Brandenburg zu zitieren, der momentan in unserem Nachbarland verhandelt wird und sich weitgehend an unseren früher eingereichten Gesetzesentwurf anlehnt.
Die Inhalte unseres Entwurfes seien hier noch einmal zusammengefasst:
Die Pflicht zum Tragen eines Namensschildes gilt neben den Angehörigen des Polizeivollzugsdienstes auch allen Polizeibehörden, z.B. den kommunalen Politessen und den Ausländerbehörden. Die bereits geltende Pflicht, sich auf Verlangen auszuweisen, wird konkretisiert. Beim Dienst in besonderen Einsatzeinheiten kann diese Pflicht durch ein individualisiertes Kennzeichen erfüllt werden – eine gut merkbare Nummer oder Zahlen-Buchstabenkombination.
Ausnahmen von der Kennzeichnungs- und Ausweispflicht sind möglich, z.B. bei Gefährdung verdeckter Ermittlungen oder zum Schutz von Personen. Dieser Schutz gilt neben den Polizisten selbstverständlich auch ihren Angehörigen.
Solche Ausnahmen sind zu begründen und polizeiintern aktenkundig zu machen – nachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle ist ein Hauptanliegen unseres Antrages.
Hinweise der Sachverständigen zu Details unseres Gesetzantrages haben wir in einem Änderungsantrag aufgegriffen, den ich noch separat vorstelle.
In der politischen Auseinandersetzung um unser Anliegen haben sich der sächsischen Innenminister sowie die Spitzen von Polizeiführung und Polizeigewerkschaften gegen unseren Entwurf gestellt.
Ein Gegenargument ist der Schutz der Daten der Polizeibediensteten – ein Grundrecht, das uns GRÜNEN bekanntermaßen wichtig ist. Deshalb sieht unser Gesetz vor, dass zur Umsetzung der Kennzeichnungspflicht eine Rechtsverordnung erlassen wird, in welche der Datenschutzbeauftragte besonders einbezogen werden sollte.
Vergessen werden darf jedoch nicht, dass polizeiliches Handeln ein ganz besonderes staatliches Handeln ist: Die Polizei soll rechtmäßig Gewalt anwenden. Sie hütet als einzige Behörde das Gewaltmonopol des Staates.
Daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung gegenüber allen, die polizeilichem Zwang ausgesetzt sind. Anders als bei Verwaltungsakten. Sie können nicht sagen: „Halt – ich möchte Widerspruch einlegen. Bitte geben Sie mir einen schriftlichen Bescheid und belehren Sie mich über die Zuständigen.“
Diese besondere Verantwortung bei der Ausübung polizeilichen Handelns erfordert eine vollständige nachträgliche Überprüfbarkeit. Sie wird erschwert, wenn die Polizei dem Bürger in ihrer Uniform bzw. unter Helm und Visier gegenübersteht. Gesichter sind schlecht zu erkennen; selten kennen die Bürger die Dienstzeichen oder wissen, dass sie sich den Dienstausweis zeigen lassen können. Das Namensschild senkt die Hürde zwischen Polizei und Bürger und vereinfacht diese Situation – im Sinne beider Seiten.
Die Nachprüfbarkeit rechtmäßigen Handelns in solchen Situationen kann vollständig erst durch eine Kennzeichnung des einzelnen Polizeibeamten hergestellt werden.
Insofern gibt es öffentliches Interesse an der Kennzeichnung.
Das Tragen einer individuellen Kennzeichnung bei der Ausübung polizeilicher Tätigkeit ist daher nichts anderes, als die Unterschrift des Sachbearbeiters unter einem Bescheid. Jeder Finanzbeamte, jede Mitarbeiterin der Arbeitsagenturen ist verpflichtet, Bescheide mit vollem Namen zu unterzeichnen. Und anders als die Polizei erlassen sie „nur“ Bescheide in Papierform.
Behauptet wird auch, die Kennzeichnungspflicht erzeuge Gefahren für Polizisten und ihre Familien. Diese sind in der Tat bereits jetzt in Einzelfällen Angriffen ausgesetzt worden – das ist verurteilenswert. Wir GRÜNEN nehmen das Problem der zunehmenden Gewalt gegen Polizeibedienstete ernst – besonders durch alkoholisierte Alltagstäter. Deshalb haben wir GRÜNEN in einem weiteren Antrag „Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten wirksam entgegentreten“ vorgeschlagen, dass die tatsächlichen Gewaltursachen gegen Polizeibedienstete umfassend analysiert und geeignete Maßnahmen zur Gefahrenvermeidung und zur Begleitung Betroffener vorgeschlagen werden.
Leider begnügte sich die Staatsregierung bei diesem Antrag mit einer lapidaren Stellungnahme. Die Untersuchungen der Innenministerkonferenz genügten für die sächsische Situation; eigene Konzepterarbeitung sei nicht notwendig – nachzulesen in der Stellungnahme der Staatsregierung zur Drucksache 5/2933. Die Vorschläge der Polizeigewerkschaft aus Sachsen, sich in einer Betriebsklimastudie mit der konkreten Arbeitssituation von Polizeibediensteten zu fassen, werden in Sachsen seit Jahr und Tag ignoriert. Hier besteht tatsächlich Handlungsbedarf! Aber ein Argument gegen die Kennzeichnungspflicht ist das nicht.
Bemüht wird schließlich das Argument dass wir die Polizei mit der Einführung einer Kennzeichnungspflicht unter Generalverdacht stellen wöllten – ein absurdes Argument. Steht die öffentliche Verwaltung vielleicht in einem Rechtsstaat unter Generalverdacht, weil ihr Handeln grundsätzlich durch Betroffene überprüfbar ist und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung auch für ihr persönliches Handeln haftbar gemacht werden können? Blindes Vertrauen in den Staat ist kein Merkmal des demokratischen Rechtsstaates – ebenso wenig wie blindes Misstrauen. Es geht immer um die Aufklärung des Einzelfalls.
Ich bin überzeugt, die sächsischen Polizeibehörden handeln in der übergroßen Zahl aller Fälle rechtmäßig und verhältnismäßig. Aber was ist mit den Ausnahmen, in denen es nicht so ist? Im Sinne dieser umsichtig und rechtsstaatlich handelnden Polizisten kann es nur sein, diejenigen schnell zu identifizieren, die rechtswidrig handeln. Und dafür ist eine Kennzeichnungspflicht unerlässlich.
In der Anhörung des Innenausschusses zu unserem Gesetzesentwurf berichtete ein langjähriger Polizist von einem Vorfall aus seiner Zeit als Polizeischüler, in der ein rechtswidriger Übergriff erst durch eine Anzeige von ihm selbst und eine umfangreiche Ermittlung aufgeklärt werden konnte und sprach von Situationen im Polizeidienst, „in denen die Übergänge von legalem Handeln in den Bereich rechtswidrigen Einschreitens … schwimmend und fließend sind.“
Prof. Rogall von der FU Berlin hat vor Einführung der Kennzeichnungspflicht in Berlin 143 Ermittlungen gegen Beamte aus den Jahren 2006/7 überprüft und in 12 Fällen festgestellt, das Namens- oder Nummernschilder die Arbeit der Ermittler erleichtert hätten. Sie sind auch hilfreich zur Aufklärung, zur Entlastung von Polizisten, die sich rechtmäßig verhalten haben.
Meine Damen und Herren, eine schnelle Aufklärung von Straftaten, eine hohe Aufklärungsquote ist das Ziel und der Stolz unserer Polizei – warum sollte das bei Straftaten in den eigenen Reihen nicht gewollt sein?
Nach dem schlimmen Polizeieinsatz gegen die Großdemonstration in Stuttgart ging bundesweit durch die Medien, dass ein Polizist mittlerweile in einem Strafverfahren wegen eines rechtswidrigen Einprügelns auf friedliche Demonstranten angeklagt wurde. Grundlage waren Videoaufnahmen und Zeugenaussagen. Sehen Sie sich diese Videos im Internet einmal an – dieser Polizist wäre nicht identifizierbar gewesen wenn er einen Helm getragen hätte. Auch die Polizei in Sachsen ist nicht frei von Fehlern. Nach dem sehr harten Polizeieinsatz zur Räumung der Buche in Dresden Anfang 2008 gab es Anzeigen und Beschwerden betroffener Bürger, teilweise unbeteiligter Dritter. Alle Verfahren wurden eingestellt. Auf öffentlich zugänglichen Videos der Einsätze vom 19.2. sind Polizeibeamte zu sehen sind, die überhart und rechtswidrig gegen friedliche Personen vorgehen. Sehen Sie sich einmal die Räumung einer friedlichen Blockade auf der Bergstraße am 19.2. im Internet bei Youtoube an. Bei diesen Polizeibeamten ist teilweise nicht einmal erkennbar, aus welchem Bundesland sie stammen – von Einheiten oder Dienstgraden völlig zu schweigen.
Der ehemalige Polizeibeamte in unserer Anhörung schilderte dem Innenausschuss, dass er selbst ca. 9 Jahre im Dienst freiwillig in Hamburg mit einer großen Anzahl uniformierter Polizisten ein Namensschild getragen habe. „Ich hatte … nicht das Gefühl, dass ich dieses Namensschild trage, weil etwas von mir als potenzieller Polizeistraftäter ausgehen kann, sondern das war für mich der Ausdruck eines professionellen Berufsverständnisses im Sinne des europäischen Ethikcode für die Polizei, vom Europarat am 19.9.2001 verabschiedet. … Dort wird empfohlen ein Namensschild zu tragen.“ – so seine Worte.
Polizisten in Spanien, Tschechien und Großbritannien tragen seit vielen Jahren Namensschilder. In den USA wurden sie 1972 eingeführt – und eine Studie belegte in Los Angeles keine nachhaltigen Auswirkungen für die Beamten – trotz geringerer Schwellen zum Schusswaffengebrauch und niedrigerem Datenschutzstandard in den USA.
Vor 20 Jahren stimmte der 1. Sächsische Landtag schon einmal über die Kennzeichnungspflicht für die Polizei ab – damals auf Antrag der FDP-Fraktion. Die Abgeordneten im 1. Sächsischen Landtag bewegten damals besonders die Erfahrungen aus der friedlichen Revolution in der DDR. Wir wollen diesen Ansatz 20 Jahre später aufgreifen und damit gleichzeitig einen konkreten Beitrag zur dringend notwendigen Modernisierung unserer Landespolizei leisten.