Eva Jähnigen: Es kann nicht sein, dass sich rechtstreue und gewaltfrei handelnde Menschen vor Nazis verstecken müssen
Rede der Abgeordneten Eva Jähnigen zum Antrag "Wahrnahme der Regierungsverantwortung für die Strafrechtspflege bei der wirksamen Verfolgung politisch motivierter Gewalt- und Bedrohungskriminalität von rechts in Sachsen vor dem Hintergrund des jüngsten Vorfalls in der Stadt Hoyerswerda" (Drs. 5/10623), 68. Sitzung des Sächsischen Landtages, 14. Dezember 2012, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
wir sind uns unter den demokratischen Fraktionen im Parlament hoffentlich einig: ein Vorfall wie am 17. Oktober 2012 in Hoyerswerda ist ein Skandal und darf sich nicht wiederholen. Es kann nicht sein, dass sich rechtstreue und gewaltfrei handelnde Menschen, die sich gegen Neonazis engagieren, vor Nazis verstecken und ihre Stadt verlassen müssen. Wir wollen ein weltoffenes Sachsen in der Fläche des ganzen Landes und keine national befreiten Zonen wie die Neonazis.
Die Ursachen dieses Vorfalls müssen deshalb klar aufgearbeitet und Konsequenzen gezogen werden.
Bisher fehlt eine klare Darstellung der Regierung über die bedauerlichen Vorfälle in Hoyerswerda. Die zwar erschreckenden, aber in sich klaren Darstellungen des Polizeisprechers aus dem Bericht von MDR exakt vom 14. November 2012 sind im Nachgang mehrfach von Vertretern der Polizeiführung und der Regierung dementiert worden, in verschiedenen Versionen, die sich gegenseitig widersprachen. Der neue Chef des Operativen Abwehrzentrums, Bernd Merbitz, hat sich gegenüber der Presse wiederum der Kritik an den Vorgängen angeschlossen. Das schafft kein Vertrauen.
Deshalb fordere ich Sie auf, Herr Staatsminister: beschönigen Sie diese Vorgänge nicht sondern klären Sie auf und legen Sie die Ursachen offen.
Offenbar und öffentlich bekannt sind folgende Tatsachen:
1. In Hoyerswerda sind zwei Menschen nachts in ihrem Wohnhaus von einem Trupp sogenannter Autonomer Nazis mehrere Stunden lang mit Gefahr für Leib und Leben bedroht worden und haben seitdem große Angst ausstehen müssen. Grund war offenbar, dass sie rechtsextreme Klebezettel im öffentlichen Raum abgerissen haben.
2. Offenbar war die Polizei in der Tatnacht über längere Zeit nicht in der Lage, genügend Einsatzkräfte zur Abwendung der Neonazi-Bedrohung zu stellen. Schritt für Schritt wurden offenbar im Raum verfügbare Streifenwagen nach Hoyerswerda gezogen. Am Tatort waren die Polizisten gegenüber den Tätern auch offenbar deutlich in der Minderheit und konnten nicht einmal eine Identitätsfeststellung vornehmen.
Wo waren die mobilen Einsatzkräfte von denen der Minister immer redet? Wo waren die sächsischen Beweissicherungs- und Feststellungseinheiten oder das Spezialeinsatzkommando (SEK) das in Sachsen sonst sogar zu Demonstrationen eingesetzt wird? Wo blieb die Unterstützung aus der Bundespolizei?
3. Die Frau ist von den Tätern mit Vergewaltigung bedroht worden. Ihr wurde zugerufen: Ich kenne Dich, ich komme wieder, ich kriege dich. Die Täter kamen offenbar aus dem Nahbereich der Opfer. Ich meine, das ist ein klassischer Fall, in dem von der Polizei Personenschutz angeboten werden muss. Sonst haben sie ja keine andere Alternative als sich zu verstecken. Folgerichtig habe ich Innenminister und Polizeipräsident in der letzten Innenausschusssitzung gefragt, ob den Opfern Personenschutz durch das dafür zuständige LKA angeboten wurde. Herr Ulbig und Herr Kann zeigten sich überrascht und versprachen uns im Ausschuss eine schriftliche Antwort. Diese haben wir bis jetzt nicht bekommen.
Welche vorläufigen Konsequenzen zieht die GRÜNE-Fraktion hieraus:
4. Ich meine, dass die bisherigen Reaktionen aus Innenministerium und Polizeiführung gezeigt haben: dieser bedauerliche Fall braucht eine unabhängige Untersuchung. Interne Untersuchungen gibt es offenbar bisher nicht und ich habe nach der bisherigen Eierei auch nicht mehr das Vertrauen, dass Ihre Ergebnisse ungefälscht und transparent vermittelt würden. Für solche Fälle haben wir Ihnen für die Zukunft die Einrichtung einer unabhängigen Polizeikommission vorgeschlagen, die solche Fälle überprüfen und dem Parlament Empfehlungen geben kann. Zur Zeit gäbe es nur den Weg, unabhängige Sonderermittler einzusetzen – vielleicht Fachleute aus einem anderen Bundesland. Die Möglichkeiten des Parlamentes reichen hier offenbar nicht aus.
5. Für die GRÜNE-Fraktion habe ich immer wieder davor gewarnt, dass in Ostsachsen mit wenig Bevölkerung und viel Fläche Lücken in der Polizeipräsenz drohen. Hier wurde von 2009 bis jetzt die Polizeistärke ausweislich der Regierungsantworten auf meine Kleinen Anfragen von 136 auf 104 Polizisten verringert. Denn die Polizeidichte wird bei uns nach der Einwohnerstärke und nicht nach der Fläche des Landes bemessen.
Wir brauchen auch deshalb eine kritische Überprüfung der Polizeistärke und des Stellenabbaus, und zwar jetzt und nicht erst irgendwann nach der nächsten Wahl. Genau deshalb haben wir Ihnen ja in den Haushaltsberatungen immer wieder Vorschläge gemacht wie die Stellenausstattung der Polizei und der Schwerpunktbereiche in der Justiz deutlich aufgestockt werden können. Und die Interventionszeiten der Polizei müssen ständig und öffentlich zugänglich ausgewertet werden, gerade bei Gefahr für Leib und Leben.
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