Eva Jähnigen: Polizeiliches Handeln bedarf dringend unabhängiger Kontrolle
Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zur 2. Lesung des "Gesetzes über eine Polizeikommission zur Gewährleistung rechtmäßiger Polizeiarbeit" (GRÜNE-Fraktion, Drs. 5/9962), 82. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. September 2013, TOP 3
– Es gilt das gesprochene Wort –
————————————————————————————
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen,
die Polizei hütet das staatliche Gewaltmonopol. Eine wichtige, gefahr- und stressgeneigte und allen Problemen unserer Gesellschaft unterworfene Aufgabe. Polizeiarbeit ist ein zentrales Fundament für den demokratischen Rechtsstaat: Niemand anders als die Polizei und diese auch nur im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse darf unmittelbaren Zwang und Gewalt ausüben.
Gerade weil diese Aufgabe so wichtig, so besonders und so sensibel ist, ist jedes Fehlverhalten – bewusst oder fahrlässig, größer oder kleiner, gerechtfertigt oder willkürlich – ein Problem: für das Ansehen der Polizei und für das des demokratischen Rechtstaats. Polizeiarbeit braucht deshalb eine Fehlerkultur. Und sie muss kontrolliert werden – polizeiintern, aber auch außerhalb der Polizeieinheiten und ihrer Hierarchien. Dafür sind Bürger in Sachsen schon im 19. Jahrhundert und auch 1989 auf die Straße gegangen.
Wer kontrolliert die sächsische Polizei jenseits ihrer internen Hierarchie? Wir, die gewählten, unabhängigen Abgeordneten im Parlament. Aber wir Abgeordneten haben in der Regel weder das spezielle fachliche Know-How noch Frage-, Akteneinsichts- und Betretungsrechte, die für eine effektive Polizeikontrolle in der Fläche des Freistaates Voraussetzung sind. Das Parlament genügt nicht. Die Kontrolle der Verwaltungsgerichte findet – wenn überhaupt – in Einzelfällen auf Antrag von Betroffenen im Nachgang statt. Und die amtliche Kontrolle von Staatsanwaltschaft und Strafgerichten?
Aktuelle Zahlen dazu entnehmen Sie der jüngsten meiner Kleinen Anfragen zu Straftanzeigen gegen Polizeibedienstete (Drs. 5/12009). Von insgesamt 153 erledigten Verfahren bei Strafanzeigen gegen Polizeibedienstete in Sachsen im Jahr 2012 endete keines mit einem Gerichtsverfahren. Lediglich zwei Verfahren führten zur Einstellung gegen Geldauflage wegen geringer Schuld. 136 Verfahren, also 91 Prozent, wurden im Jahre 2012 nach Paragraph 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Die Befunde in den Jahren vorher waren ähnlich: mehr als 90 Prozent der Strafanzeigen gegen Polizeibeamte werden derzeit in Sachsen eingestellt. In Sachsen haben somit Strafanzeigen gegen Polizeibedienstete einen äußerst geringen Erfolg.
Dies wird umso deutlicher, wenn man sie ins Verhältnis setzt. Die durchschnittliche Einstellungsrate gemäß Paragraph 170 Abs. 2 Strafprozessordnung bei allen Strafanzeigen in Sachsen liegt laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2012 bei gerade einmal 26,9 Prozent. Grenzt man dies auf sämtliche Körperverletzungsdelikte ein, sind es 37,8 Prozent. Natürlich liegt nicht jeder Strafanzeige gegen Polizeibeamte auch tatsächlich ein strafbares Verhalten von Polizeibediensteten zugrunde. Doch genauso wenig ist anzunehmen, dass über 90 der Strafanzeigen unbegründet sind.
Der Sachverständige Prof. Dr. Joachim Kersten von der Deutschen Hochschule der Polizei hat in der Anhörung zum Gesetzentwurf im Verfassungs-, Rechts-, und Europaausschuss am 26. März deutlich gemacht: es gibt deutschlandweit ein sehr starkes Missverhältnis zwischen den Einstellungen bei Anzeigen wegen Körperverletzungen im Amt gegen Polizistinnen und Polizisten und den Widerstandsanzeigen, die die Polizei gegen Bürgerinnen und Bürger richtet. Die Ersteren werden signifikant häufig – bis zu 95 Prozent – eingestellt. Strafanzeigen wegen Widerstands gegen Polizeibedienstete haben, wie in der Anhörung ausgeführt wurde, hingegen eine äußerst hohe Erfolgsquote. Die gerade von mir erläuterten sächsischen Zahlen bestätigen dieses Problem.
Wir GRÜNE meinen deshalb: entgegen aller beschwichtigenden Äußerungen und Ablehnungen aus der Polizeiführung braucht Sachsen dringend eine bessere und vor allem unabhängige Kontrolle polizeilichen Handelns. Die Bürgerinnen und Bürger müssen in die Lage versetzt werden, mit ihren Beschwerden über Polizeiarbeit ernst genommen zu werden. Und sie sollten Aussicht auf eine umfassende, mit ihren Ergebnissen öffentlich zugängliche Bearbeitung haben.
Der Sachverständige Dr. Ralf Gössner hat in der Anhörung ausgeführt, dass die Polizei durch die Verschärfung der Sicherheitsgesetzgebung in den letzten Jahren einen massiven Zuwachs an Machtbefugnissen erhalten hat – in Sachsen z. B. durch die letzte große Polizeigesetznovelle. Mit solchem Machtzuwachs erhöht sich immer die Missbrauchs- und Fehlergefahr. Deshalb muss man immer wieder die Frage nach dem Sinn und der Zulässigkeit vieler Befugniserweiterungen stellen. Der jüngst veröffentlichte Bericht der Regierungskommission zur Evaluation der Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland vom 28. August dieses Jahres hat sie zu Recht vielfach aufgeworfen. Ebenso wichtig ist, dass diesen Verschärfungen ein bürgerrechtliches Korrektiv gegenübergestellt wird. Auch deshalb braucht Sachsen eine Polizeikommission.
In der Anhörung machten mehrere Sachverständige deutlich, dass eine unabhängige Polizeikontrolle überdies besonders wichtig für jene Menschen ist, die gegenüber der Polizei keine Beschwerdemacht haben, weil sie weitere Diskriminierungen oder Schikanen fürchten wie z. B. Obdachlose oder Flüchtlinge.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, aus diesen Gründen haben wir Ihnen einen Vorschlag für eine hauptamtliche, aber schlanke und unmittelbar mit dem Parlament zusammenarbeitende Kontrollkommission vorgelegt. Anders als im Gesetzentwurf der LINKEN kann sie ohne Änderung der Verfassung eingeführt werden und soll der vollständigen personellen Entscheidung durch den Landtag unterliegen. Dazu werden ihre Mitglieder alle sechs Jahre neu vom Landtag gewählt. Sie vereinen dabei Erfahrungen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen mit verschiedenen fachlichen Hintergründen wie Bürgerrechtsarbeit und Justiz. Dazu gehört auch eine Person, die direkt aus der Polizei stammt und deren Abläufe sowie die polizeiliche Praxis umfassend kennt.
Wir wollen so Polizeibediensteten die Chance geben, Missstände oder Probleme in der Polizei unabhängig von Weisungsverhältnissen zur Untersuchung zu bringen oder aber auch Sicherheitslage und Arbeitssituation von Polizistinnen und Polizisten überprüfen zu lassen.
So hätte ich aktuell gern eine unabhängige Untersuchung darüber angefordert, warum es in der Nacht vom 6. zum 7. September Presseberichten zufolge ganze 30 Minuten gedauert haben soll, bis die Polizei nach den Übergriffen Rechtsradikaler auf Hamburger Schüler in Bad Schandau vor Ort eingegriffen haben soll.
Uns ist klar, dass die Polizeikommission kein Allheilmittel zur Verbesserung von Polizeiarbeit und Vertrauensbildung in die Polizei ist. Aber sie ist der entscheidende Schritt in die richtige Richtung. Sie ersetzt allerdings keine – offenbar im Aufbau befindliche – Innenrevision und funktionierende interne Ermittlung. Die braucht die Polizei in Sachsen auch.
Selbstverständlich braucht Sachsen eine genügende Ausstattung der Polizei mit Stellen und Material und eine hochwertige, den aktuellen Anforderungen angepasste Ausbildung der Polizei – eine Voraussetzung, die die Staatsregierung durch das strukturelle Ausblutenlassen der Fachhochschule der Sächsischen Polizei und den fortgesetzten Stellenabbau gerade nicht schafft.
Die Einführung einer Polizeikommission entbindet den Sächsischen Landtag auch nicht davon, sich mit Ursachen und Formen von Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten auseinanderzusetzen. Die GRÜNE-Fraktion hat bereits 2010 einen Antrag zur Evaluation und Verhinderung von Gewalt gegen Polizeibedienstete vorgelegt. Leider hielten Regierung und CDU-FDP-Mehrheit unsere Vorschläge damals für überflüssig. Aktuelle Medienberichte zeichnen hier ein anderes Bild. Die Aufarbeitung und Verfolgung von Straftaten gegen die Polizei und durch die Polizei schließt sich keinesfalls aus. Vielmehr ist beides notwendig, um das Vertrauen von Polizei und Bürgerschaft zu verbessern und bürgerrechtliches Denken in unserer Polizei zu festigen.
Die Polizeikommission ist hierfür eine gute Unterstützung. Sie wäre keine reine Beschwerdestelle, sondern eine Institution, die strukturellen Mängeln und Problemen der Polizei auf den Grund gehen und konkrete Änderungs- und Verbesserungsvorschläge für die Zukunft machen kann. Dazu soll sie dem Landtag einmal im Jahr Bericht erstatten. Dies wird zu einer positiven Weiterentwicklung der Polizei in Sachsen führen. Die Polizeikommission wird dazu beitragen, die Bürgerrechtsorientierung der Polizei zu stärken und durch eine umfassendes Beschwerdemanagement das Vertrauen in die Polizei stärken.
Abschließend noch einige Worte an meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition: Insbesondere von der Union hört man im Zusammenhang mit Videoüberwachung und Vorratsdatenspeicherung häufig den Satz: "Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten." Wenn bei der Polizeiarbeit in Sachsen alles so vorbildlich ist, wieso wehren Sie sich dann dermaßen gegen einen unabhängige Kontrolle?
» Alle GRÜNEN Reden finden Sie hier …