Eva Jähnigen: „Reichsgaragenordnung“ von 1939 ist nicht mehr zeitgemäß

Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zum GRÜNEN-Gesetzentwurf "Gesetz zur Aufhebung der Stellplatzpflicht" (Drs. 5/12881), 85. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. Oktober 2013, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident,
meine Fraktion leistet mit der Einbringung des Gesetzesentwurfs zur Aufhebung der zwangsweisen Stellplatzpflicht einen Beitrag zur Stärkung des Handlungsspielraumes der sächsischen Kommunen und zur Abschaffung unnötiger Vorschriften.
Kern unseres GRÜNEN Gesetzesentwurfes ist die Abschaffung des derzeit noch landesweit bestehenden Zwangs für Bauherren, bei der Errichtung neuer Gebäude, Stellplätze zu bauen oder Stellplatzablösegebühren zu bezahlen. Lediglich eine Anordnungsbefugnis für Behindertenstellplätze soll es landesweit noch geben. Die anderen Entscheidungen wollen wir vollständig in kommunale Hände legen. Warum dieser Vorschlag?
Die Parksituation für Fahrräder, Motorräder und Autos ist in großen und kleinen Gemeinden, in Ballungs- und ländlichen Räumen sehr verschieden.
Die gesetzliche Pflicht zur Schaffung von Stellplätzen gemäß Paragraf 49 der Sächsischen Bauordnung (SächsBauO) wird diesen Verschiedenheiten nicht mehr gerecht. In der Sächsischen Bauordnung ist geregelt, dass bauliche Anlagen nur dann errichtet werden dürfen, wenn Stellplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind. Was eine ausreichende Anzahl ist, wird durch die Verwaltungsvorschrift zur Bauordnung festgelegt. Kurz und gut: überall wo ein Bauantrag gestellt wird, ist der Nachweis zu erbringen, dass Autos dort oder in der näheren Umgebung auch parken können. Die Stellplätze müssen auf dem eigenen Grundstück oder auf einem privaten Grundstück in der näheren Umgebung geschaffen werden. Was im ländlichen Raum aufgrund der günstigeren Platzverhältnisse in der Regel problemlos umsetzbar ist, wird in Städten oft zu einem Problem – besonders beim städtebaulich gewollten Reihenhaus- und Geschosswohnungsbau. Zum Teil können die Stellplätze gar nicht oder nur mit hohem Aufwand auf dem Grundstück geschaffen werden, weil der Platz nicht ausreicht. Oft ist die Herstellung wirtschaftlich nicht zumutbar oder das Grundstück könnte durch die Parkplätze nicht mehr sinnvoll genutzt werden. Für diese Fälle wurde die Möglichkeit der sogenannten Stellplatzablöse geschaffen.
Dieser noch aus der "Reichsgaragenordnung" (RGaO) von 1939 stammende Zwang, als per Führererlass das Auto gefördert wurde, ist überholt. Seine Abschaffung ist eine zeitgemäße, ökonomisch sinnvolle Maßnahme. Die Stellplatzpflicht verhindert ambitionierte Konzepte zur Verringerung der Stellflächen oder den Wunsch von Bauherren nach autofreiem Wohnen. Dabei ist die aktuelle sächsische Stellplatzordnung unter Ihrer CDU-FDP–Regierung noch verschlimmert worden. Die Pflicht zu Fahrradstellplätzen wurde massiv aufgeweicht, die Pflicht zu Autostellplätzen aber noch verfestigt. Manche erinnern sich vielleicht an die Debatten zur Änderung der Sächsischen Bauordnung zu den Fahrradstellplätzen aus dem Jahr 2011.
Wir wollen heute den Gemeinden die Möglichkeit geben, durch eigene Satzungen bedarfsorientiert Stellplatzpflichten zu begründen und inhaltlich auszugestalten. In diesem Rahmen soll wie bisher die Erhebung und Verwendung von Stellplatzablösebeträgen ermöglicht werden. Mit diesen Entscheidungen werden die Entscheidungen nicht mehr durch die Bauaufsichtsbehörden, sondern differenziert für das Gesamtgebiet oder ein bestimmtes Gebiet in der Gemeinde getroffen. So eine Regelung gab es im sächsischen Gemeinderecht in den 90er Jahren schon einmal. Verschiedene Gemeinden haben von ihr gern Gebrauch gemacht.
Eine Neuheit ist, dass unser Gesetzesentwurf eine öffentliche Rechenschaftspflicht der Gemeinde über die gezahlten Beträge der Stellplatzablöse sowie ihre Verwendung im Rahmen der gemeindlichen Haushaltsabschlüsse vorsieht. Dies dient der Transparenz für die Einwohnerinnen und Einwohner insbesondere in solchen Fällen, in denen Ersatzmaßnahmen aus Stellplatzablösen erst zeitnah versetzt umgesetzt werden können. Ersatzmaßnahmen sollen neben öffentlichen Parkmöglichkeiten weiterhin auch Investitionen für Öffentlichen Verkehr und Radverkehr sein. Über die Verwendung entscheiden ebenfalls die Stadt und Gemeinderäte.
Die kommunale Ebene wird mit dieser Regelung gestärkt, ihr Gestaltungsspielraum erweitert.
Die Neuregelung schafft Verwaltungsvereinfachung für die Bauaufsichtsbehörden. Mindereinnahmen für die Gemeinden sind nicht zu befürchten. Dass unser Ansatz praktikabel ist, zeigt der Blick nach Brandenburg. Und in Berlin besteht Stellplatzpflicht überhaupt nur noch für Behindertenparkplätze und Fahrradstellplätze.
Wir verfolgen mit unserer Initiative mehrere Ziele:
Zum Ersten soll individuelle Stadt- und Verkehrsplanung ermöglicht werden. Wir beenden damit die zwangsweise, unterschwellige Förderung des Autoverkehrs. Stattdessen wollen wir autofreie oder autoarme Quartiere möglich machen. Es ist unsinnig, wenn sich Menschen entscheiden, ohne eigenes Auto zu leben und dennoch dazu gezwungen werden einen Stellplatz nachzuweisen. Der Verkehrsanteil in Sachsen hat sich zugunsten des ÖPNV und des Radverkehrs, also ein Stück weg vom Auto, verschoben. Das muss sich auch darin niederschlagen, dass weniger Flächen für Pkw-Stellplätze verbraucht werden. Dies verbessert die Aufenthaltsqualität in unseren Städten auf Straßen, Plätzen und Höfen, weil weniger Flächen versiegelt werden. Und es hilft, den allseits stadtplanerisch gewollten Grundsatz Innen- vor Außenentwicklung wirklich durchzusetzen.
Zum Zweiten wollen wir die Kosten beim Wohnungsbau auch im Interesse der Mieter und Mieterinnen deutlich senken. Der aktuelle Zwang zum Stellplatz- oder Tiefgaragenbau bzw. zur Zahlung der Ablösegebühr treibt die Baukosten und damit auch die Mieten in die Höhe.
Besonders in innerstädtischen Quartieren in sächsischen Großstädten ist die Stellplatzverordnung ein Kostentreiber. Ein Tiefgaragenstellplatz kostet je nach Bodenbeschaffenheit und Zufahrtsmöglichkeiten ca. 15.000 bis 30.000 Euro, bis zu 10.000 Euro kostet die Ablösegebühr. Umgelegt kann sich das mit bis zu 100 Euro pro Monat auf die Mietkosten auswirken. Dabei brauchen viele Menschen gerade in Leipzig oder Dresden keine privaten Autoparkplätze mehr, dafür aber bezahlbaren Wohnraum.
Zum Dritten wollen wir dort, wo in der Regel wegen des ausreichenden Platzes gar keine Stellplatznachweise nötig sind, z.B. in Dörfern oder Randlagen, das bauordnungsrechtliche Verwaltungsverfahren deutlich erleichtern.
Schließlich wollen mit der Entscheidungskompetenz für die Mitglieder der Gemeinderäte und Stadträte eine öffentliche und transparente Entscheidung zu Stellplatzfragen möglich machen. Betroffenen Grundstückseigentümern, Mietern und Unternehmen sollen mit der Bürgerbeteiligung vorab Mobilitätsberatungen angeboten werden. Und etwaige Stellplatzablösebeträge sollen nach unserer Vorstellungen nicht mehr still und leise in den Kämmereien gehortet, sondern transparent verwaltet werden.
Nach den ersten öffentlichen Reaktionen erwarten wir unseren Gesetzentwurf eine spannende Diskussion. Ihnen danke ich für die Aufmerksamkeit und bitte um Ihre Unterstützung unseres Vorschlages.

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