Eva Jähnigen: Überhangmandate im Landtag vermeiden – weiterer Vergrößerung des Landtages entgegenwirken

Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zum GRÜNEN-Gesetzentwurf "Gesetz zur Sicherung der verfassungsrechtlichen Vorgabe zur Größe des Sächsischen Landtags" (Drs. 5/11105), 84. Sitzung des Sächsischen Landtages, 16. Oktober 2013, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
bekanntlich flammt in Sachsen in regelmäßigen Abständen eine Debatte über die Verkleinerung des Landtags auf – häufig von sehr unterschiedlichen Kräften befeuert. Wir GRÜNE lehnen eine generelle Landtagsverkleinerung ab. Stattdessen wollen wir einer weiteren Vergrößerung des Landtages entgegenwirken. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass der Sächsische Landtag künftig nicht regelmäßig mehr Abgeordnete aufweist, als es Artikel 41 der Sächsischen Verfassung vorsieht.
Deshalb halten wir es für verfassungsrechtlich geboten, unser sächsisches Wahlrecht anzupassen, um einer strukturellen und regelmäßigen Überschreitung dieser Regelsitzzahl entgegenzuwirken. Durch die Überhang- und Ausgleichsmandate, die bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2009 angefallen sind, hat der Landtag seine Regelgröße um stolze zehn Prozent überschritten. Dies war ein deutlicher Anstieg im Vergleich zur Wahl 2004, wo die Regelgröße um nur 3,3 Prozent überschritten wurde. Niemand kann ausschließen, dass es bei der Landtagswahl im kommenden Jahr nicht noch mehr Überhangmandate werden, die ausgeglichen werden müssen.
Überhangmandate entstehen vor allem dann, wenn größere Parteien das Gewinnen nahezu aller Direktwahlkreise nicht mit einem adäquaten Zweitstimmenergebnis untermauern können. Unser Parteiensystem ist in jüngerer Zeit wesentlich beweglicher geworden – wie nicht zuletzt das Ergebnis der Bundestagswahl gezeigt hat. Die weitere Vielfalt in unserem Parteiensystem wird die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Überhangmandaten weiter befördern.
Dieser Entwicklung wollen wir mit diesem Gesetzentwurf gerecht werden. Denn wir müssen gegensteuern, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. Sonst wird der Landtag dauerhaft entgegen unserer Verfassung aufgebläht.
Dazu soll die Zahl der Wahlkreise, in denen die Abgeordneten per Direktwahl gewählt werden auf 48 reduziert werden. Die Gesamtzahl der Abgeordneten wollen wir unverändert lassen. Damit sinkt der Anteil der direkt gewählten Abgeordneten auf 40 Prozent der Gesamtzahl.
Die Folge wäre, dass es in Sachsen nur noch dann zu Überhangmandaten kommen würde, wenn eine Partei nahezu alle Direktmandate erringt, aber dabei sehr deutlich von der absoluten Mehrheit der Zweitstimmen entfernt ist. Ein Eintreten einer solchen Konstellation ist relativ unwahrscheinlich. Derzeit ist das Verhältnis von direkt gewählten Abgeordneten zu jenen, die über die Liste gewählt werden, übrigens in Folge der Überhang- und Ausgleichsmandate mitnichten 50 zu 50. In der aktuellen Legislaturperiode sind in diesem hohen Haus lediglich 60 der 132 Abgeordneten direkt im Wahlkreis gewählt worden, also auch nur 45 Prozent. Die hälftige Verteilung zwischen direkt gewählten Abgeordneten und über die Liste gewählten Abgeordneten ist ein Mythos und überdies irrelevant, weil die Verfassung keine Unterscheidung zwischen den Abgeordneten macht. Egal, ob sie über die Liste oder direkt gewählt wurden, Abgeordnete sind nach unserem Gesetz die gleichen Abgeordneten – verpflichtet auf das Wohl des ganzen Landes und nicht auf ihren Wahlkreis.
Zudem wollen wir die gegenwärtige Verzerrung bei der Vergabe der Ausgleichsmandate beenden. Zum Erreichen des proportionalen Ausgleichs hätte bei der letzten Landtagswahl der SPD ein zusätzliches Mandat zugeteilt werden müssen. Dies verhindert bisher die Deckelung der Zahl der Ausgleichsmandate, die wir mit diesem Gesetzentwurf ebenfalls abschaffen wollen. Schlussendlich wollen wir auch das antiquierte Sitzzuteilungsverfahren nach d’Hondt ablösen und durch das wesentlich gerechtere Divisorverfahren mit Standardrundung ersetzen. Damit würde Sachsen das nachvollziehen, was schon seit längerem der aktuelle Stand der Wahlrechtsdebatten ist. In diesem Zusammenhang muss man wahrscheinlich noch einmal darauf hinweisen, dass nur noch drei Bundesländer des Höchstzahlverfahren nach d’Hondt verwenden und der Bund dieses bereits 1987 abgelöst hat.
In der Anhörung im Innenausschuss am 5. September ist durch die Sachverständigen, auch anhand einiger konkreter Rechenmodelle, deutlich gemacht worden, dass unser Gesetzesentwurf eine adäquate und überdies sehr schlanke und einfache Lösung für die Behebung des Problems von Überhangmandaten im Sächsischen Wahlrecht ist. Natürlich gäbe es auch andere Möglichkeiten, dem Problem beizukommen. Diese würden allerdings einen wesentlich größeren Eingriff ins aktuelle Wahlsystem bedeuten.
Die Sachverständigen haben überdies sehr eindrücklich darauf hingewiesen, dass das strukturelle Problem der Überhangmandate – entgegen der Auffassung der CDU – keine ignorierbare Kleinigkeit der Wahlrechtes ist sondern zu einem ernsthaften verfassungsrechtlichen Problem werden kann. Die Zahl von 120 Abgeordneten ist in der Verfassung als Regelgröße vorgeschrieben. Der Gesetzgeber muss daher einfachgesetzliche Maßnahmen ergreifen, die das regelmäßige Überschreiten dieser Regelgröße verhindern. Andernfalls besteht früher oder später die Gefahr eines verfassungswidrigen Wahlrechts, dass der Gesetzgeber nachbessern müsste. Die Erfahrungen der missglückten Wahlrechtsänderungen auf Bundesebene sollten uns darin bestärken, Probleme im Wahlrecht frühzeitig zu erkennen und als Gesetzgeber zu lösen. Die Chance hierfür bietet unser vorliegender Gesetzentwurf.
Abschließend noch ein paar Worte zur Umsetzung des Gesetzentwurfes: Leider ist die Anhörung des Gesetzentwurfes im Innenausschuss unnötig verzögert worden. Wir haben den Gesetzentwurf bereits am 22. Januar 2013 eingereicht. Die Anhörung war leider erst am 5. September möglich. Deshalb kann die wesentliche Regelung für Reduzierung der Zahl der Wahlkreise nicht mehr zur nächsten Landtagswahl eingeführt werden. Meine Fraktion schlägt daher mit einem Änderungsantrag vor, dass das Inkrafttreten der Reduktion der Wahlkreise für die übernächste Landtagswahl eingeführt wird. Die Sitzverteilung nach d’Hondt wollen wir aber sofort ändern.
Der Gesetzentwurf löst eines der existierenden und gleichweg gravierendsten Probleme des Wahlrechts zum Sächsischen Landtag relativ einfach und ohne große Systembrüche. Ich bitte Sie daher um Zustimmung für unseren Gesetzentwurf.

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