Eva Jähnigen: Wir fordern eine offene Auseinandersetzung, um rechtzeitig vor den nächsten Ereignissen ein politisches Konzept und ein Sicherheitskonzept zu haben

Redeauszüge der Abgeordneten Eva Jähnigen zum grünen Antrag "Friedliche bürgerschaftliche Protestkultur gegen Naziaufmärsche würdigen und unterstützen" in der 32. Sitzung des Sächsischen Landtages, 23.03., TOP 9
Jähnigen: Wir fordern eine offene Auseinandersetzung, um rechtzeitig vor den nächsten Ereignissen ein politisches Konzept und ein Sicherheitskonzept zu haben
Es gilt das gesprochene Wort!
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Naziaufmärsche in sächsischen Städten seit Jahr und Tag bedürfen einer Antwort, und aus unserer Sicht muss diese Antwort die demokratische Zivilgesellschaft durch breiten, vielfältigen und friedlichen Protest geben. Es ist gut, dass die Bereitschaft dazu in der Gesellschaft anwächst.
Aus der Sicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gehören dazu alle Formen: von stillem Gedenken über Mahnwachen in Kirchen oder auf Plätzen bis hin zu Demonstrationen und friedlichen Blockaden.
In meiner Heimatstadt Dresden ist schon im Jahr 2005, unterstützt von allen demokratischen Stadtratsfraktionen, auch der FDP, ein Rahmen des Erinnerns definiert worden, der das umfasst und beschreibt. Die Handlungsfähigkeit des demokratischen Staates hängt eben auch davon ab, wie die Demokratinnen und Demokraten dies wahrnehmen. Sie ist nicht allein durch staatlich angesagte Demonstrationen gegeben.
Dies vorausgeschickt, sagen wir: Wir halten eine Verbotsstrategie nicht für tauglich, dem Problem der Naziaufmärsche zu begegnen. Dadurch unterscheiden wir uns teilweise von Vorstellungen, die mein Vorredner vortrug bzw. der Antrag in Punkt 2 enthält. Wir halten Gewalt für ein untaugliches Mittel, und wir halten es für untauglich, die Verantwortung für Fehlleistungen jeweils den anderen oder der anderen Institution zuzuschieben.
Gerade nach dem Geschehen am 19. Februar mit all seinen guten und schlechten Seiten – wir haben es zur Aktuellen Stunde reflektiert – brauchen wir eine kritische und genaue Analyse der Vorgänge. Die von uns beantragte Sondersitzung des Innen- sowie des Verfassungs-, Rechts und Europaausschusses hat durch das Bemühen des lnnenministeriums Ansätze dazu gezeigt. Das Justizministerium hat dazu leider nichts beigetragen. Aber es sind erste Ansätze und Zwischenfazite, und wir sehen auch, dass ein Teil unserer Anfragen bisher sehr lückenhaft beantwortet worden ist.
Wir begrüßen ausdrücklich die Ansätze des Innenministers, neue Denkansätze zu entwickeln und zu überlegen, wie man einen Protest in Hör- und Rufweite realisiert – was am 19. Februar nicht möglich war. Aber wir fragen uns natürlich auch, wie der Innenminister das in der Polizeiführung und der Koalition durchsetzen will und kann. Wir würden Sie im Zweifel unterstützen. Wir begrüßen auch, Herr Innenminister, dass Sie angekündigt haben, die Fehler, die bei den Polizeieinsätzen in der schweren Einsatzlage der Polizei offensichtlich gemacht worden sind – unverhältnismäßige Einsätze und Übergriffe -‚ tabulos aufzuklären. Wir wissen aber noch nicht, wie Sie das angehen wollen; denn die Sonderkommission "19. Februar" wird sich allein mit dem strafrechtlich relevanten Teil beschäftigen und keine Aufklärung über Einsatztaktiken und -strategien betreiben.
Analyse heißt aber auch: Es ist kein Mittel, wenn das Innenministerium die Gerichte verantwortlich macht, die Gerichte auf die Versammlungsbehörde zeigen und wir im Innenausschuss gehört haben, dass die Versammlungsbehörde ihre Agenda eigentlich von der Polizeiführung vorgegeben bekommen hat. Deshalb zieht die GRÜNE-Fraktion als Zwischenfazit: Das sogenannte Trennungskonzept ist am 19.2. gescheitert.
Es ist gescheitert, weil ein Protest in Ruf- und Hörweite der Nazidemonstrationen nicht vollständig möglich war. Es ist auch deshalb gescheitert, weil wir gesehen haben, dass wir nicht zum Schutz einer Innenstadt ganze Stadtteile leerräumen können und Nazidemonstrationen mal nach Cotta, nach Plauen oder in andere Stadtteile schicken können. Wir müssen aber auch konstatieren, dass das Versammlungsgesetz mit dem großen Versprechen "Jetzt können wir alles, was stört, verbieten" gescheitert ist.
Es ist erneut nicht angewendet worden, und es bietet keine Lösung; es ist gescheitert. Angesichts dieser Fragen und der Situation fordern wir als GRÜNE eine offene Auseinandersetzung, und wir werden uns an dieser auch beteiligen – rechtzeitig vor den nächsten Ereignissen mit der Kritik, der Analyse und neuen Handlungsszenarien für ein politisches Konzept und ein Sicherheitskonzept. Beides kann einander nicht ersetzen.
Das ist dringend notwendig, liebe Kolleginnen und Kollegen; aber wir GRÜNEN meinen, es ist auch eine Chance, die Demokratie zu stärken und den Naziaufmärschen den Boden und die Lust zu entziehen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.