Eva Jähnigen zum CDU/FDP-Antrag „Mehr Männer für den Erzieherberuf in Sachsen gewinnen“
Männer und Frauen in Kitas – Kinder müssen erfahren, dass Lebensentwürfe und Rollenverständnisse wählbar und vielfältig sind
Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zum CDU/FDP-Antrag "Mehr Männer für den Erzieherberuf in Sachsen gewinnen" (Drs. 5/6983) in der 42. Sitzung des Sächsischen Landtages, 12.10., TOP 10
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die GRÜNE-Fraktion ist erfreut, dass der Landtag auf Antrag der Koalition heute ein wichtiges und weichenstellendes Thema diskutiert. Mit dem Thema "Männer in Kitas" beginnen die Fraktionen der CDU-geführten Koalition Geschlechterfragen endlich als politisches Thema ernst zu nehmen. Das ist ein kleiner Fortschritt – sind Sie bisher bei Debatten wie etwa unseren Großen Anfragen zur Lage der Männer oder jüngst zu nicht-heterosexuellen Lebensweisen wie den Anhörungen zu Geschlechterpolitik und Gleichstellungsfragen über flapsige Kommentare und schiere Unkenntnis nicht hinausgekommen. Gratulation!
Sie aus der CDU hatten in 21 Jahren Regierungstätigkeit schon viel Zeit und Möglichkeiten, um für die Gleichstellung der Frauen auf vielen verschiedenen Ebenen im Land zu arbeiten – sind aber bisher weder durch spürbares Engagement noch politische Ergebnisse aufgefallen.
Nun fangen Sie bei den benachteiligten Jungs und den Männern in Kitas an. Das macht den Eindruck, dass sie erst dann geschlechterpolitisch aufmerksamer werden, wenn die gewohnten Verhältnisse ins Wanken geraten. Ja: es ist Tatsache, dass Jungs längst zu einer Problemgruppe geworden sind. Das Mädchen vom Lande, das noch in den 60er Jahren die Benachteiligung des weiblichen Geschlechts bei Karrierechancen und Einkommen besonders zeigte, ist heute dem Jungen aus großstädtischen Familien mit Migrationshintergrund oder wenig Einkommen gewichen. Jungen stellen zwei Drittel der Förderschüler und der Schüler ohne Abschluss – und diese Zustände sind erschreckend.
Das Aufwachsen des männlichen Geschlechts ist heute vielfach problematisch geworden, weil Selbstverständlichkeiten infrage gestellt werden. Wann ist ein Mann ein Mann? Darauf gibt es längst keine eindeutige Antwort mehr. Die moderne Gesellschaft verlangt mehr Einfühlungsvermögen und Kommunikationsfähigkeit und weniger die herkömmlichen Männer-Stärken. Viele klassisch männlich zugeschriebene Berufe nehmen in ihrer Bedeutung ab. Feste Zuschreibungen wie sich Männer und Frauen im Alltag verhalten, lösen sich auf. Und das ist gut so: Lebensentwürfe und Rollenverständnisse werden so wählbar und vielfältig.
Wie wir uns als Frau, als Mann und überhaupt geschlechtlich verstehen, wird sehr früh geprägt. Kindertageseinrichtungen sind dafür ein wichtiger Ort. Deshalb ist es sehr wichtig, hier besonders auf geschlechtssensible Pädagogik zu achten – und auch darauf, dass beide Geschlechter vertreten sind.
Alle wissen, dass Kitas ein sehr weiblicher Ort sind – nur verschwindende drei Prozent aller Fachkräfte sind derzeit Männer. Der hohe Anteil von Frauen in Erziehungsberufen hängt zweifellos auch mit der weit verbreiteten Motivation junger Frauen zusammen, etwas "mit Menschen" machen zu wollen. Und es liegt nur allzu nahe, dass die nebenbei erlernbare und quasi biologisch gegebene Mütterlichkeit automatisch als Grundqualifikation der Erziehertätigkeit gesehen wird. Dabei ist die Bildung, Betreuung und ja: Erziehung in einem professionellem Sinne etwas völlig anderes als im privaten Sinne. Jeder wird sofort einsehen, dass es nicht nur komisch, sondern kontraproduktiv wäre, wenn Mütter und Väter ihr Kind zum wissenschaftlich reflektierten pädagogischen Projekt machen. Ebenso unsinnig ist es, wenn Erzieherinnen die besseren Mütter und Erzieher die besseren Väter sein wollen.
Die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas leisten die frühe, vielleicht wichtigste pädagogische Arbeit. Das sollten wir in Sachsen endlich wertschätzen! Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen – allem voran eine deutliche Verbesserung des Personalschlüssels von derzeit 1:13 auf 1:10 im Kindergarten und von 1:6 auf 1:4 in der Krippe. Und wir müssen perspektivisch zu einer besseren Vergütung der Fachkräfte kommen, die mit anderen Jobs konkurrieren kann. Erst wenn der Erzieherberuf wirklich konkurrenzfähig wird, ist er für hochqualifizierte Männer und Frauen attraktiv.
Mit der Aufwertung des Bildungsaspekts stellen wir an unsere Erzieherinnen und Erzieher hohe Anforderungen – geradezu vorbildlich zieht sich die Thematisierung von Geschlechtverhalten quer durch den Sächsischen Bildungsplan. Professionalität von Erzieherinnen und Erziehern heißt mit dem Bildungsplan, dass mit dem gesamten Handeln auch die eigene Geschlechterrolle reflektiert wird. Wir wissen, dass Erzieherinnen eben in der Regel weiblichen Rollenmustern folgen. Wie komisch fänden wir auf den ersten Blick Erzieherinnen, die mit Kindern raufen, ihnen kumpelhaft auf die Schulter schlagen und gemeinsam mit Jungs und Mädchen in einer Werkstatt sägen und hämmern. Bei Männern fänden wir das selbstverständlich und das Fehlen dieser vermeintlich typisch männlichen Umgangsweisen wird von den Antragsstellern vermutlich schmerzlich vermisst.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, es geht nicht darum, dass – wie Kollegin Schütz von FDP in der Presse meinte – die Jungs endlich jemanden zum raufen bekommen. Es geht nicht darum, den Jungs die vertrauten männlichen Rollenmuster vorzuleben, die ihnen bisher in den Kitas fehlen.
Wenn die Erzieher ausschließlich den Handwerker geben und Fußball spielen, während die Erzieherinnen weiter basteln und Windeln wechseln, ist für ein aufgeklärtes Rollenverständnis nichts gewonnen. Es geht vielmehr darum, dass Männer wie Frauen zeigen und in den Einrichtungen vorleben, dass die gewohnten Geschlechterverhältnisse nicht gottgegeben, sondern wählbar sind. Kinder sollen erleben, dass Frauen nicht nur singen, basteln und in den Arm nehmen, sondern auch Fußball spielen und mit dem Hammer arbeiten können. Sie sollen erfahren, dass Männer auch Gefühle zeigen und Konflikte mit viel Einfühlungsvermögen und miteinander Reden lösen können. So zeigen wir unseren Jungs und Mädchen Wege auf, wie sie ihr Leben gestalten können – jenseits von vermeintlichen Zuschreibungen eines aus der biologischen Prägung vorgegebenen Geschlechtes.
Unser Anliegen einer geschlechtssensiblen Pädagogik finden wir im vorliegenden Antrag nicht wieder. Er weist in die richtige Richtung – aber er benennt weder das Ziel noch die richtigen Mittel klar. Wir wollen ihn deshalb mit einem Änderungsantrag qualifizieren.