Eva Jähnigen zum Personalkonzept: Ein millionenschweres, sinnloses Behördenumzugskonzept ist keine Staatsmodernisierung

Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zum Antrag GRÜNE "Personalkonzept statt Einstellungsstopp – Nachhaltige Personalpolitik umgehend einleiten", 54. Sitzung des Sächsischen Landtages, 4. April 2012, TOP 12

Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ein Satz vorweg: Bei unserem Antrag geht es darum, dass Staatsregierung und Landtag endlich aus dem Lehrerdilemma lernen und weitere Krisen in der Personalpolitik künftig vermeiden.
Die Nachricht, die vergangene Woche die Studierenden der TU Chemnitz erreichte, deutete auf Maßnahmen in Krisenzeiten: Der Beginn des Semesters wird um eine Woche verschoben. Grund dafür war jedoch nicht etwa der Ausbruch einer Epidemie, die sämtliche Lehrerenden zeitweilig dahingestreckt hätte oder die vorübergehende Sperrung des Universitätsgebäudes nach einem Erdbeben.
Nein, es war der Kabinettsbeschluss vom 21. Februar 2012, der diese Katastrophenmeldung auslöste. Seit diesem Tag gilt in Sachsen, dass – vorübergehend bis Mitte Juni – alle Neueinstellungen, Vertragsverlängerungen, Entfristungen und externe Zielversetzungen von der Zustimmung des Ministerpräsidenten oder seines Stellvertreters abhängig sind. Das gilt für alle Bereiche: für das Personal an Schulen und Hochschulen ebenso wie z.B. an Krankenhäusern, an denen der Freistaat Sachsen beteiligt ist.
Ich möchte kurz skizzieren, was das bedeutet:
Geht eine junge Verwaltungsangestellte – z.B. in der Landesdirektion – derzeit in Mutterschutz, kann ihre Dienststelle die vorübergehend frei werdende Stelle nicht so ohne weiteres mit einer (befristeten) Elternzeitvertretung besetzen. Sie muss einen Antrag auf Zustimmung zur Einstellung an das Innenministerium leiten. Das leitet den Antrag an das Finanzministerium weiter, welches ein Votum für den Ministerpräsidenten oder seinen Stellvertreter vorbereitet. Vom Finanzministerium wird der Antrag dann dem Ministerpräsidenten oder seinem Stellvertreter zugeleitet. Und dann geht der genehmigte oder abgelehnte Antrag die ganze Tippeltappeltour wieder zurück.
Damit an bürokratischem Aufwand noch nicht genug: Selbstverständlich muss der Antrag ausführlich begründet werden. Es muss dargelegt werden, warum die Stelle nicht innerhalb des eigenen Geschäftsbereiches besetzt werden kann und man muss die zwingenden Gründe für die (temporäre) Stellenbesetzung nennen. Da wird ein Haufen Papier beschrieben und hin und her geschickt. Oder die Verwaltung nimmt diese Hürden gleich gar nicht auf und verteilt die anstehende Arbeit auf die restlichen Bediensteten. Darauf folgt Überlastung, Frust, Demotivation, möglicherweise längere Krankheit der Bediensteten – und das Karussell beginnt wieder von vorn zu drehen.
Schaut man sich bei diesem ganzen Ärger über diese wirklich sinnlose Verschwendung von Ressourcen die Homepage der Staatsregierungen an, keimt leise Hoffnung. Da heißt es:
«Die Staatsregierung plant die Einführung eines Personal-Controllings», es sei ein «kluges Personalmanagement innerhalb der gesamten Landesverwaltung erforderlich.»
Schön, denk ich mir als Abgeordnete, da haben sie ja mal auf mein Reden seit Bekanntwerden des unsäglichen Standortkonzepts gehört und sich den GRÜNEN-Antrag zur Gemüte geführt, in dem wir bereits im vergangenen Jahr auf die drohende Überalterung der Landesverwaltung hingewiesen haben. Und nun wird ein Personalkonzept erarbeitet auf Grundlage einer Aufgabenkritik, es werden Einstellungskorridore festgelegt, damit wir eine gescheite Altersstruktur in die Verwaltung bekommen usw.
Weit gefehlt: Alles was der Staatsregierung in Sachen "kluges Personalmanagement" einfällt, ist eine Personalvermittlungsplattform, mit der "transparent" werden soll, "welches Personal innerhalb der Landesverwaltung wo verfügbar ist, sodass für freie Stellen auf Mitarbeiter anderer Landesbehörden zurückgegriffen werden kann."
Liebe Staatsregierung – abgesehen davon, dass es diese Personalvermittlungsplattform bereits seit Jahren gibt und sie Löcher nicht mit Löchern stopfen können – wenn eine Personalvermittlungsplattform das Einzige ist, was Ihnen zum Thema "Personalkonzept" einfällt, dann prophezeie ich Ihnen im Bereich der Justiz, der Polizei und in vielen anderen Bereichen der Landesverwaltung dieselben Probleme, die wir jetzt schon an Schulen und Hochschulen haben.
Dann wird die Polizei nicht mehr nur 24 Minuten brauchen, um am Tatort eines Gewaltdelikts zu sein, sondern wesentlich länger. Verfahren an Gerichten werden durchschnittlich nicht mehr 9,4 Monate dauern, sondern Jahre. Unsere Steuereinnahmen werden sinken, weil die weniger Betriebsprüfer und Steuerfahnder, auch weniger Steuersünder finden. Die Beispiele ließen sich noch stundenlang fortsetzen.
Ich möchte Ihnen die Probleme, die auf uns zukommen, noch einmal mit Zahlen verdeutlichen:
Das Durchschnittsalter in der sächsischen Landesverwaltung liegt bei 46,3 Jahren. Bis 2020 (also in 8 Jahren) werden allein durch Altersabgänge rund 20.000 Stellen frei.
Wenn man Ihre, meinen Damen und Herren von CDU und FDP, halbherzigen Bemühungen in Sachen Altersteilzeit hinzurechnet, werden es vielleicht 400 Stellen mehr sein. Ab 2020 bis 2030 scheiden weitere 30.000 Landesbedienstete altersbedingt aus. Unsere Landesverwaltung schrumpft also in den nächsten 18 Jahren altersbedingt um 50.000 Stellen, das sind knapp 60 Prozent. Das sind die Fakten!
Und jetzt schauen wir uns mal an, was Sie als Staatsregierung tun, um dieser Überalterung entgegenzuwirken.

  1. Sie streben an, die Stellen in der Landesverwaltung bis 2020 auf 70.000 Stellen abzusenken. Sie wollen 17.000 Stellen einsparen.
  2. Minister Ulbig konnte bis dahin jährlich einen Einstellungskorridor von 300 Stellen für die Polizei erwirken, sehr löblich, das sind – mit den Einstellungen in den letzten Jahren bis 2020 rund 3.000 Stellen.
  3. Das Bildungspaket 2020 sieht bis 2016 einen Einstellungskorridor von 2.200 Lehrern und die Verdoppelung der Referendarstellen, also weitere zusätzliche 1.000 Stellen vor.
  4. Minister Martens – so konnten wir letzte Woche in der Zeitung lesen – hat auch ein Problem mit Richtern und Staatsanwälten, die in Rente gehen (Kleine Randnotiz: bei den Justizvollzugsbeamten ist das Problem noch größer). Herr Martens, Sie wollen zu den 20 Juristen, die sie jährlich einstellen, noch weitere überplanmäßig einstellen. Schön – lassen wir es vielleicht 10 mehr sein – vorausgesetzt, Sie bekommen die Genehmigung vom MP – dann wollen Sie bis 2020 rund 240 Juristen anstellen.

Wenn wir diese ganzen Zahlen mal zusammen zählen und ihrem Ziel gegenüberstellen, 17.000 Stellen einzusparen, dann müssten Sie eigentlich weitere 3.340 Stellen bis 2020 zusätzlich einsparen, um die, nur in diesen drei Bereichen bislang vorgesehenen Neueinstellungen zu realisieren. Dafür hätte ich gern einmal einen Vorschlag!
Alle weiteren Bereiche: Finanzverwaltung, Sozialministerium, Landesdirektionen, Umweltbehörden usw. dürften in den nächsten acht Jahren keine Neueinstellungen vornehmen. Auch ein Fakt!
Und es kommt noch schlimmer: Ab Erreichen Ihres Stellenabbauziels im Jahre 2020, müssten jährlich 3.000 Neueinstellungen erfolgen, nur um den avisierten Stand von 70.000 Landesbediensteten zu erhalten.
Meine Damen und Herren, wir bekommen ein Riesenproblem. Wir werden in diesem Umfang kein Personal bekommen. Fragen Sie mal Helma Orosz, wie Sie es schafft, bis Mitte des Jahres 200 Kindergärtnerinnen und Kindergärtner einzustellen – in den Kommunen sind die Personalprobleme schon angekommen. Den Personalbedarf können wir auch nicht mehr mit ‚Westimporten‘ ausgleichen, weil andere Bundesländer ihre Lehrer, Polizisten, Justizvollzugs- und Steuerbeamten nicht hergeben, sie brauchen sie selbst!
Vor diesem Hintergrund fordere ich Sie dringend auf, endlich ein Personalkonzept für die gesamte Landesverwaltung zu erarbeiten, dass auf umfassenden Analysen und Prognosen der Aufgaben und des erforderlichen Personalbedarfs und der personalausgabenrelevanten Faktoren, wie Personalstandsstatistiken und Ländervergleiche beruht!
Planen Sie die Personalentwicklung und Neueinstellungen bis 2025. Weisen Sie konkrete Einstellungskorridore aus und verbessern die Altersstruktur und den Wissenstransfer, erarbeiten Sie Personalentwicklungskonzepte, in der auch die gezielte Weiterbildung von Mitarbeitern vorgesehen ist – nicht bloß so eine alberne Plattform!
Erarbeiten Sie ein grundlegende Handlungsstrategie, wie Sie die geplanten Stellenanpassungen steuern, wo kann ein sozialverträglicher Stellenabbau stattfinden, wo durch Weiterbildung Personal entwickelt werden!
Entwickeln Sie Handlungsstrategien zur Gewinnung von Fachkräften – werben Sie für den öffentlichen Dienst, meine Damen und Herren, und senden mit Ihrem „Einstellungsstopp“ nicht gegenteilige Signale – nämlich dass sie gar nicht mehr einstellen wollen. Zeigen Sie Ihren Landesbediensteten Ihre Wertschätzung – nicht durch undurchsichtige Leistungsprämien und Urlaubsstreichung, sondern durch transparente Entwicklungschancen und guten Arbeitsbedingungen!
Meine Damen und Herren, Herr Martens, Sie reden hier in diesem Hause immer von Staatsmodernisierung – ich weiß, Sie meinen damit ein millionenschweres, sinnloses Behördenumzugskonzept, das in den nächsten Jahren die Sachkosten in jedem Haushalt sprengen wird.
Das ist keine Staatsmodernisierung! Ein umfassendes Personalkonzept wäre es schon!
In Chemnitz, dass muss abschließend der Vollständigkeit halber gesagt werden, konnten die entsprechenden Verträge dann doch noch unterschrieben werden. Ob es der Dekan geschafft hat, die Studenten für diese Woche wieder an die Uni einzuladen, wir wissen es nicht.
Klar ist jedenfalls – dieses Chaos ist das Ergebnis Ihrer Personalpolitik. Ich fordere Sie auf, das zu ändern. Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, nehmen Sie die Chance war, die Staatsregierung in die Spur zu schicken. Geben Sie unserem Antrag Ihre Stimme!