Eva Jähnigen zum Standortegesetz: Für ihre Milchmädchenrechnungen würde sich jedes Milchmädchen schämen

Sie sparen beim Personal völlig ohne Konzept und klotzen bei den Sachkosten
Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zur 2. Lesung des Entwurfs "Gesetz zur Neuordnung von Standorten der Verwaltung und der Justiz des Freistaates Sachsen (Sächsisches Standortegesetz – SächsStOG)" (CDU, FDP Drs. 5/6426) in der 48. Sitzung des Sächsischen Landtages, 25.1., TOP 5
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Standortegesetz und seine Beratungen im Landtag sind ein politischer Offenbarungseid der CDU-geführten Koalition. Seit Monaten reden Sie mit großer politischer Geste über die schnelle Aufnahme der grundgesetzlich gebotenen Schuldenbremse in die sächsische Verfassung. Gleichzeitig beraten sie diesen folgenschweren Gesetzentwurf bewusst in völliger Unkenntnis der entstehenden Folgekosten. Die bisher prognostizierten Folgekosten von 300 Millionen Euro dürften dabei noch unterschätzt sein – sind doch nach eigener Aussage der Staatsregierung bisher realistische Folgekosten bewusst nicht abgeschätzt worden.
Politisch motivierte Entscheidungen in Unkenntnis der Folgekosten – genau damit haben wir in Sachsen schlechte Erfahrungen gemacht. Genau das verbietet aber auch Artikel 97 unserer sächsischen Verfassung. Der erste sächsische Landtag als Gesetzgeber für unsere sächsische Finanzverfassung hat diese so gestaltet, dass Entscheidungen im Haushalt die Handlungsspielräume kommender Parlamente nicht mit verschlossenen Augen einschränken dürfen – und das ist gut und wichtig so. Sie allerdings treten unserer Finanzverfassung mit Füßen. Und damit zeigen Sie deutlich, dass ihre Schuldenbremsendebatte nur eine symbolische ist.
Ja – Sachsen braucht das vom Rechnungshof eingeforderte Unterbringungskonzept. Wir haben das mit einem Antrag in der letzten Landtagssitzung eingefordert. Sie haben abgelehnt und auf später verwiesen. Die Große Anfrage der GRÜNEN-Fraktion, die hier mangels anderer, zum nahezu einzigen handfesten Beratungsmaterial des Gesetzentwurfes wurde – zeigt deutlich, dass ihre Entscheidung einem möglichen wirtschaftlichen Liegenschaftskonzept vorgreift und es nicht fördert.
Ganz deutlich wird das noch einmal mit der Antwort der Staatsregierung auf meine Kleine Anfrage (Drs. 5/8000). Dort heißt es:
<<Rein vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass mit der Entscheidung zum Standortegesetz keine automatische Entscheidung zu den baulichen Kosten erfolgt. Die konkreten, einzelfallbezogenen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen werden im Rahmen der Aufstellung des jeweiligen Haushaltsplanes nach den Vorgaben der Sächsischen Haushaltsordnung dargestellt und im Rahmen der jeweiligen parlamentarischen Behandlung der dann zu verabschiedenden Landeshaushalte zu diskutieren und zu beraten sein. Die gesetzgeberische Handlungsfreiheit ist in jedem Zeitpunkt gewahrt.>>
Was bedeutet das? Soll der sächsische Landtag dann mit Einzelgesetzen den Sitz von Behörden zurückdrehen, wenn die Wirtschaftlichkeit für die Einzelstandorte vorliegt? Dann ist es heute viel zu früh ein Gesetz zu beschließen. Seriöser Umgang mit der Verwaltung sieht anders aus, ebenso wie sparen.
Sie sparen beim Personal völlig ohne Konzept und klotzen bei den Sachkosten, als ob wir nicht jeden Euro dreimal umdrehen müssten. Die Schuldenbremse realisiert man nicht durch symbolische Verfassungsdebatten sondern durch Ausgabendisziplin.
Die Demotivation innerhalb der sächsischen Verwaltung steigt Woche für Woche. Anstelle der öffentlichen Diskussion über die von uns gemachten Vorschläge für ein Personalentwicklungskonzept beherrschen Gerüchte über die Verlängerung der Wochenarbeitszeit und der Verkürzung der Urlaubszeit für die sächsischen Beamten die Presse.
Neben einem Dementi hat die Regierung bis heute keine eigenen Vorstellungen zu bieten. Viele der 3000 von den Behördenumzügen betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ähnlich verunsichert wie die Betroffenen vor Ort. Den Landtag erreichen – vertraulich oder offen – kritische Schreiben wie erst kürzlich ein Schreiben vom Personalrat der Landesdirektion Leipzig.
Mit diesem Gesetz lösen sie weder demografische Probleme, noch schaffen sie eine Neuaufstellung der Landesverwaltung. In den vergangenen zehn Jahren hat dieses Land einen größeren Bevölkerungsrückgang zu verkraften gehabt, als in den kommenden zehn. In der selben Zeit gab es weder Aufgabenrückgang noch ein Rückgang der Besucherzahlen in den Behörden. Den werden sie ohne Aufgabenkritik und den daraus folgenden Konsequenzen auch in den nächsten zehn Jahren nicht haben.
Sie gehen mit diesem Gesetz nicht das Arbeitspensum in Behörden an, ganz im Gegenteil: sie belasten ganze Stäbe mit der Organisation dieser Umzüge. Das heißt aber auch, sie reagieren überhaupt nicht auf den demografischen Wandel.
Jetzt werden Sie einwenden, doch: mit dem Personalabbau, den wir an die schwindende Bevölkerung und sinkende Einnahmen anpassen. Aber der Personalabbau wurde schon im Haushalt beschlossen und zusätzlichen gibt es nicht.
Wollen sie jetzt und künftig jede Ausgabe für den Bau neuer Verwaltungsgebäude oder die Aufgabe topsanierter Standorte damit begründen? Erzählen Sie uns nochmal was von seriöser Haushaltspolitik, Herr Ministerpräsident!
Der Gipfel ist dann noch, dass sie die Mehrkosten der Umzüge mit den Stellenstreichungen schön rechnen. Wollen Sie Personal z. B. bei der Polizei einsparen um Umzüge zu finanzieren?
Für ihre Milchmädchenrechnungen würde sich jedes Milchmädchen schämen.
Aber auch die behauptete Stärkung der Regionen vor Ort tritt nicht ein. Was nutzen die zentralen Behörden denjenigen, die den Verlust ihrer ortsnahen Verwaltung durch die Großkreisbildung von 2008 wie z. B. in Döbeln zu verkraften hatten?
Bereits jetzt sind wieder die Umwelt- und Naturschutzbehörden die Verlierer dieser Reform – sie sollen nach der Fusion aus Leipzig und Dresden abgezogen werden und die vielen Ehrenamtlichen im Naturschutz werden ihre Ansprechpartner nur noch am Behördensitz in Chemnitz finden? Welche Abteilungen werden in den nächsten Jahren folgen? Vor der Beratung darüber drücken sich die Abgeordneten der Koalition ebenso, wie über die Standorte der Polizei. Ein Armutszeugnis.
Aber um Bürgernähe und mehr Transparenz in der demokratischen Verwaltung geht es bei Ihrer sogenannten Staatsmodernisierung nicht. Umso wichtiger wird eine breite Verfassungsdebatte um die Informations- und demokratischen Rechte der Bevölkerung.
Ihre Haushaltswirtschaft nach Gutsherrenart hilft der Umsetzung der Schuldenbremse nicht, sondern behindert solide Finanzpolitik. Man merkt an der Art und Weise wie dieses Gesetz diskutiert wird: sie haben abgewirtschaftet.
Offenbar hat es innerhalb der Koalition einen Kampf um einzelne Standorte bis heute gegeben. Nicht einmal innerhalb der Koalition scheint ein Interessenausgleich gelungen zu sein. Wie werden die Verlierer dieses Gesetzes in ihren Wahlkreisen die Ergebnisse erklären? Sie, Herr Meyer und Herr Lehmann in Löbau, wo gleich drei Behörden wegfallen, die Abgeordneten aus Leipzig oder Sie, Herr Heidan, dessen Heimatstadt nun durch die vorgeschlagene Gerichtsreform nach der Kreisreform erneut abgewertet wird? Wie sieht es mit Hoyerswerda aus Herr, Kollege Hirche, das sowohl Finanzamt als auch Staatsanwaltschaft verliert, nach Landesentwicklungplanung aber ein Oberzentrum sein soll? Wie sieht es aus mit den Belangen von Annaberg, Hainichen, Oschatz, Stollberg oder Wurzen?
Großen Respekt möchte ich für meine Fraktion dem Abgeordneten Schiemann für seinen Änderungsantrag in letzter Minute aussprechen. Unsere Unterstützung haben Sie. Wie ist es mit den anderen Abgeordneten aus dem sorbischen Siedlungsgebiet, den Kollegen Tillich und Kollegen Mikwauschk. Nehmen Sie eigentlich ihren Koalitionsvertrag noch ernst, in dem es heißt:
<<Die sorbische Sprache ist unverzichtbar zur Stärkung und Sicherung des sorbischen Lebens im Alltag. Wir werden deshalb eine Konzeption zur Ermutigung und zur Belebung des Gebrauchs der sorbischen Sprache im öffentlichen Leben innerhalb des sorbischen Siedlungsgebiets erarbeiten und deren Umsetzung fördern.>>
Wenn das Standortegesetz die Umsetzung dieser Konzeption ist, na dann Gute Nacht! Der federführende Minister für die sogenannte Staatsmodernisierung, Herr Kollege Martens, hat in den Abschlußberatungen zum Gesetz auf seine eigene Weise deutlich gemacht, dass er hier überhaupt keinen Handlungsbedarf sieht.
Wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen. Unsere konzeptionellen Vorschläge für ein echtes Konzept zur Personalentwicklung und Behördenunterbringung haben wir bereits gemacht. Dieses Gesetz ist – mit Ausnahme des Änderungsantrages von Herrn Schiemann – durch Änderungen nicht zu verbessern. Stattdessen möchten wir mit unserem Entschließungsantrag, dass sich der Landtag von der finanz- wie personalwirtschaftlich unseriösen Vorgehen der Staatsregierung distanziert. Das wäre ein Signal dafür, dass Sie es mit einer seriösen Haushaltspolitik in den Zeiten der Krise ernst meinen, sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition!