Fachregierungserklärung Mobilität − Meier: Ihre verkehrspolitischen Erfolge muss man mit der Lupe suchen, Minister Dulig!
Rede der Abgeordneten Katja Meier (GRÜNE) zur Fachregierungserklärung zum Thema "Mobilität für Sachsen: bezahlbar, verlässlich, innovativ"
50. Sitzung des Sächsischen Landtags, 15. März, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Staatsminister,
das durch Minister Dulig angesetzte Thema der heutigen Regierungserklärung hat mich sehr überrascht.
Üblicherweise erlebe ich hier Ministerinnen und Minister, die Regierungserklärungen nutzen, um Stellung zu Skandalen zu nehmen oder ihre eigene Erfolge anzupreisen.
Ihnen ging es wohl darum Ihre Erfolge darzulegen. Aber Erfolge? Die muss man eher mit der Lupe suchen.
Aufgrund mangelnder offensichtlicher Erfolge, werde ich heute Halbzeitbilanz ziehen.
Und was ist da naheliegender, als einen Blick in den Koalitionsvertrag zu werfen.
Fangen wir also mit dem Thema an, das uns fast den letzten Nerv geraubt hat – die Regionalisierungsmittel.
Im Koalitionsvertrag ist zu lesen, dass Sie die Regionalisierungsmittel stärker an die Aufgabenträger zur Bestellung von Verkehrsleistungen weiterreichen werden.
Ja, sie reichen mehr Mittel an die Aufgabenträger weiter.
Nicht genug und auch erst auf unseren Druck hin.
Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie u.a. von uns zum Jagen getragen werden mussten.
Ende August hat uns aus Ihrem Ministerium – Herr Dulig – eine Ergänzungsvorlage zum Entwurf des Doppelhaushaltes 2017/2018 erreicht.
Der Anlass: bei den Nachtragsverhandlungen zu den Regionalisierungsmitteln war es gelungen, dass Sachsen ein zusätzlicher Anteil von 50,2 Mio. Euro jährlich zugesprochen wurde.
Von diesen zusätzlichen 50,2 Mio. Euro sollten laut ihrer Ministeriumsvorlage nur zehn Prozent an die Aufgabenträger weitergereicht werden.
Mit dem Rest wollten Sie die Haushaltskasse sanieren.
Erst unsere Aktuelle Debatte hier im Hause und starker Gegenwind hat dann dazu geführt, dass im letzten Moment durch Änderungsantrag im Haushaltsverfahren Ihr absurder Verteilungsvorschlag abgemildert wurde.
Zurück zum Koalitionsvertrag:
„Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Sachsen muss mit dem Ziel der wirksamen Anbindung des ländlichen Raums an die Ballungszentren weiterentwickelt werden. Die Erschließung einer Region ist Aufgabe der Daseinsvorsorge und darf nicht allein aus wirtschaftlicher Perspektive bewertet werden.“ (Zitat)
Schöne Sätze, leider kann ich Ihnen hier keinerlei Engagement attestieren:
Wer eine andere Bahnpolitik will, muss dafür kämpfen, dass die Bahn nach mittlerweile 400-Tagen-Aus wieder von Meißen über Nossen und Roßwein nach Döbeln fährt, muss sich dafür engagieren, dass diese Region endlich nicht mehr abgehängt wird!
Sie jedoch ducken sich seit Amtsantritt bei diesem Thema ab.
Und wenn Sie schon Ihren eigenen Koalitionsvertrag nicht ernst nehmen, dann doch aber ihren Parteikollegen Henning Homann und Steve Ittershagen von der CDU, die sich starkmachen für die Wiederbelebung:
Organisieren Sie doch gemeinsam mit Zweckverbandsvertretern, Bürgermeistern und Landräten sowie der Bürgerinitiative einen Bahngipfel in der Region!
Signalisieren Sie den politischen Willen, die Region wieder anzubinden und zwar endlich mit einem attraktiven Bahnangebot.
Nur mit einem starken Bekenntnis des sächsischen Verkehrsministers für die Strecke werden sich die Zweckverbände bewegen!
Sie wissen ganz genau, dass diese nicht im luftleeren politischen Raum agieren!
Kommen wir aus SPD-Sicht zum Herzstück des Kapitels Verkehr im Koalitionsvertrag – das Bildungsticket.
Sie wollten ein einheitliches, sachsenweit gültiges und kostengünstiges Bildungsticket einführen.
Bis zum 31.12.2015 sollte ein Vorschlag für die Einführung eines solchen Bildungstickets vorliegen.
Der Termin ist seit fast 15 Monaten verstrichen und bisher wurde kein Konzept zum Bildungsticket vorgestellt.
Ja, ich weiß, die Umsetzung ist sehr komplex und schwierig.
Aber nun – wie es derzeit in Rede steht – das Bildungsticket nur in einer Modellregion zu testen, ist doch Nonsens.
Ein Bildungsticket hat doch nur Sinn, wenn es sachsenweit gültig ist.
Im Koalitionsvertrag hat selbst ein GRÜNES Kernprojekt – nämlich der Integrierte Taktfahrplan – für den wir GRÜNEN seit Jahren kämpfen, Einzug gehalten.
All das sollte idealerweise in der ÖPNV-Strategie-Kommission abgearbeitet werden.
Ja die Kommission ist etabliert, ja sie arbeitet und ich hoffe, dass im Sommer auch endlich was auf dem Tisch liegt.
Ich sehe aber nach langer und sehr aktiver Teilnahme zwei wesentliche Defizite:
Diese Kommission hat keine konkreten Ziele formuliert, was sie eigentlich am Ende erreicht haben will.
Und genau das haben Sie von Anfang an so kalkuliert: je unkonkreter, umso weniger konkrete Handlungsempfehlungen, die auch Geld kosten könnten, lassen sich ableiten.
Legendär ist Aussagen vor der Haushaltsverhandlung Ende letzten Jahres, dass die Kommission keine Empfehlungen für den Doppelhaushalt geben werde.
Das ist verrückt!
Kommen wir nun zum Radverkehr.
Hier habe ich mir wirklich viel von Ihnen versprochen und Ihre Vorhaben klangen ja auch vielversprechend: nennenswerte Erhöhung des Radverkehrs am Gesamtverkehr
Ausbau der Fahrradinfrastruktur und der Verknüpfungsstellen zum ÖPNV
Erhöhung der Mittel für den Radverkehr?
Ob sich der Anteil des Radverkehrs seit im Lauf Ihrer Regierungszeit gesteigert haben wird, können Sie schlicht und ergreifend gar nicht wissen.
Warum?
Sachsen sieht sich nicht in der Lage, den Modal Split – also den Anteil der einzelnen Verkehrsmittel am Gesamtverkehr – für Radverkehr einzeln zu ermitteln.
Dies ist zwar in allen mir bekannten Bundesländern anders, aber der sächsische Weg besteht eben darin, den Radverkehrsanteil am Modalsplit nur als gemeinsame Summe mit dem Fußverkehr zu ermitteln.
Völlig absurd!
Kommen wir zum Geld, ja Sie haben im Haushalt deutlich mehr Mittel für Radverkehr zur Verfügung gestellt.
Was Sie allerdings verschweigen: Der größte Anteil davon fließt ungenutzt zurück bzw. wird im Topf für kommunale Radwegförderung nicht abgerufen und finanziert so Projekte im kommunalen Straßenbau.
2015 wurden z.B. die Fördermittel für den Bau von Radwegen an Staatsstraßen zu 70 Prozent nicht abgerufen.
Zur Erinnerung: Für Radwege an Staatsstraßen sind ganz konkret Sie – Herr Dulig – zuständig.
Fördergeld bringt dem Radverkehr überhaupt nichts, wenn es am Ende nicht ausgegeben wird.
Woran es im LASuV fehlt, sind ausreichende Planungskapazitäten und Fachkräfte, die sich ausschließlich mit Radverkehr beschäftigen.
Wir haben bereits im Haushaltsverfahren vorgeschlagen, hier deutlich mit fachkundigem Personal aufzustocken.
Wir schlagen außerdem die Gründung einer personell gut ausgestatteten eigenen Abteilung Radverkehr im Wirtschaftsministerium vor, die mit kompetenten Ansprechpartnern sächsische Kommunen unbürokratisch unterstützt und berät.
Zurück zum Koalitionsvertrag… Sie wollen sich für mehr Verkehrssicherheit im Straßenverkehr einsetzen und die Zahl der schweren Unfälle signifikant reduzieren.
Klingt auch gut.
Eine ganz wunderbare Möglichkeit die Verkehrssicherheit bei den gefährdetsten Verkehrsteilnehmern deutlich zu erhöhen, wurde aktuell im Bundesrat behandelt.
Es ging darum, dass Kommunen endlich grundlegend Tempo 30 vor Kitas, Seniorenheimen, Schulen und Krankenhäusern anweisen können.
Am vergangenen Freitag stand nun eine stark verwässerte Variante zur Abstimmung:
Aus dem geplanten Regelfall sollte nur noch eine Kann-Bestimmung werden.
Und was ist am Freitag passiert?
Ausgerechnet Sie persönlich Herr Minister- haben für den Wischi-Waschi Vorschlag gestimmt und dagegen, dass die Tempo 30 Anordnung vor den genannten sozialen Einrichtungen zum Regelfall werden.
Zum Glück hat dieser Änderungsantrag keine Mehrheit gefunden.
Und lassen Sie mich noch einige Worte zum Stand bei der Elektromobilität verlieren.
Nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes waren zum 1.1.2016 in Sachsen ganze 735 Elektroautos zugelassen, das entspricht einem bundesweiten Anteil von weniger als 3 Prozent.
Mit viel Tamtam haben Sie im letzten Jahr 44 neue Elektroautos an die Polizei übergeben.
Mit dieser Aktion beträgt der Anteil von Elektroautos am Fuhrpark der sächsischen Polizei nun mittlerweile ganze 1,6 Prozent. Naja…
Und was das sog. Schaufenster Elektromobilität angeht, ist es Ihnen nicht gelungen, die Unterstützung der angelaufenen Projekte im Rahmen der Bundesförderung zu verstetigen.
Wurden in den beiden Bundesländern Sachsen und Bayern zwischen 2012 und 1016 insgesamt 130 Mio. Euro umgesetzt, so stehen im laufenden Doppelhaushalt nur noch 600.000 Euro an Landesmitteln jährlich zur Verfügung.
Kontinuität und Verstetigung stelle ich mir anders vor.
Verlassen wir zu guter Letzt den Koalitionsvertrag und die vielen darin enthaltenen nicht eingelösten Versprechungen. Reden wir doch mal kurz darüber, was nicht darin enthalten ist.
Beispiel Fußverkehr: völlige Leerstelle, kommt bei Ihnen schlicht nicht vor.
Ach so war klar, das liegt ja vermutlich an der fehlenden Datengrundlage.
Wir erinnern uns: Sachsen markiert seine Einzigartigkeit ja u.a. darin, dass der Modal Split weder für Rad- noch für Fußverkehr gesondert erhoben wird.
Müssen wir uns eben mit den Erhebungen des Bundes begnügen:
Und da wird es interessant:
Ca. 25 Prozent beim Modal Split besetzt inzwischen wieder der Fußverkehr.
Ich kann Ihnen sagen, ich war das ganze letzte Wochenende beim BUVKO, dem bundesweiten Umwelt- und Verkehrskongress an der Uni Wuppertal, dort haben sich 300 Expertinnen und Experten drei Tage lang intensiv ausgetauscht und zwar vor allem zum Thema Fußverkehr.
Das Thema boomt, kann ich Ihnen versichern!
Wenn inzwischen jeder vierte Weg mittels der gesündesten, preiswertesten und umweltverträglichsten Art der Fortbewegung zurückgelegt wird, ließe sich ja auf den Gedanken kommen, für Fußgängerinnen und Fußgänger wird auch im Freistaat Politik gemacht.
Aber weit gefehlt!
Zumindest können wir da keinerlei Aktivitäten Ihrerseits erkennen.
Wir geben Ihnen aber gern die Gelegenheit, da mal eine Bestandsaufnahme zu leisten und haben dazu aktuell eine Große Anfrage eingereicht.
Sie sehen verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns ehrlich bemüht, in Ruhe zu schauen, wo die mobilitätspolitischen Erfolge Martin Duligs liegen könnten.
Fündig sind wir leider nicht wirklich geworden.
Wir versprechen Ihnen, Sie auch in der zweiten Hälfte der Legislatur kritisch zu begleiten, um den verpassten Aufbruch in eine moderne umwelt- und klimapolitisch sinnvolle Mobilitätspolitik in Sachsen wenigstens ansatzweise hinzubekommen!
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