Flucht & Asyl – Kuhfuß: Kinder und Jugendliche verdienen vor allem unseren Schutz und eine gute Unterbringung
Redebeitrag der Abgeordneten Kathleen Kuhfuß (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD: „Kein zweites 2015 – Altersfeststellung durch ärztliche Untersuchungen bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern (umA) endlich umsetzen“ (Drs 7/11330)
65. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 01.02.2023, TOP 7
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
der hier von Ihnen zur Abstimmung gestellte Antrag ist ein weiterer, der die Mär vom Geflüchteten bedient, welcher nur unsere Sozialsysteme ausnutzen will.
Dieser Antrag ist so schäbig wie alle in der Reihe davor. Schäbig, weil er die vulnerabelste Gruppe überhaupt, Kinder und Jugendliche, an den Pranger stellt und suggeriert, dass sie nur hierherkommen, um wie die Made im Speck im deutschen Kinderheim zu leben. Und er ist schäbig, weil er unterstellt, dass diejenigen, um die es hier geht, sich nicht an bestehende Gesetze halten. Dabei scheuen Sie selbst nicht davor zurück, geltendes Recht in diesem Antrag zu ignorieren.
Ihre Hetze trägt dazu bei, dass wir derzeit Probleme haben, unbegleitete Kinder und Jugendliche gut und entsprechend ihrer Schutzbedürfnisse unterzubringen. In den großen Städten platzen die Einrichtungen aus allen Nähten. Standards, die dass das Wohl des Kindes sicherstellen sollen, mussten abgesenkt werden. Demgegenüber gibt es im ländlich Raum Kapazitäten.
In einigen sächsischen Landkreisen werden Kinder und Jugendliche nur zögerlich aufgenommen – auch mit dem Hinweis, dass es Proteste und Angst in der eigenen Bevölkerung gibt. Der von ihnen angestachelte Protest gegen die Aufnahme von zwölf Minderjährigen in Kriebethal ist dabei nur ein Beispiel. Die Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Asylsuchende liegen weit unter den Standards der Einrichtungen für schutzbedürftige Kinder und Jugendliche in Deutschland. Das an sich ist schon schlimm, aber selbst dieses Angebot noch zu verhindern, ist unerträglich.
Liebe Kollegen und Kolleginnen,
es geht hier um Kinder und Jugendliche, die allein eine weite und gefahrvolle Flucht auf sich genommen haben. Diese Kinder und Jugendliche verdienen vor allem unseren Schutz und alle Maßnahmen, damit sie hier in Sicherheit ankommen und leben können.
Ihr Forderungskatalog ist schon deshalb nicht umsetzbar, weil es Aufgabe der Jugendämter in den Landkreisen und kreisfreien Städten ist, die Altersfeststellung vorzunehmen und das tun sie.
Der Freistaat hat lediglich die Rechtsaufsicht. Ich erkläre Ihnen das gern genauer: Der Freistaat kontrolliert, ob die zuständigen Jugendämter im Rahmen der Gesetze handeln. Würden die Jugendämter rechtswidrig handeln, kann der Freistaat das beanstanden und gegebenenfalls anweisen, bestimmte Rechtshandlungen zurückzunehmen. Der Freistaat kann nicht vorschreiben, wie das Verfahren ablaufen soll. Und erst recht kann der Freistaat nicht rechtswidrige Maßnahmen fordern.
Und das wollen sie aber durchsetzen, wenn sie eine generelle Einordnung als Zweifelsfall fordern, wenn das Alter nicht durch Ausweispapiere feststellbar ist. Das würde dann dazu führen, dass alle Kinder und Jugendliche, die keine Ausweisdokumente haben, sofort als Zweifelsfall einzustufen wären. Das hätte zur Folge, dass eine Altersfeststellung bei 13- oder 15-Jährigen durchgeführt werden müsste. Diese Altersgruppe kommt gerade sehr oft nach Sachsen. Wollen Sie diese 13- bis 15-Jährigen tatsächlich ebenfalls zu einer ärztlichen Untersuchung schicken?
Aber wie wird das Alter durch die Jugendämter eigentlich festgestellt? Durch eine qualifizierte Inaugenscheinnahme, die sich in der Praxis als hochprofessionalisiertes und komplexes Verfahren herausgestellt hat. Sie würdigt den Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst. Im Rahmen des „Vier-Augen-Gespräches“ werden biographische Fakten wie Familiengeschichte, Fluchtroute, Orte des Aufwachsens und Bildungsbiographie erhoben sowie ggf. weitere vorgelegte Dokumente zum Identitätsnachweis begutachtet.
Erst wenn die Klärung von widersprüchlichen oder unklaren Altersangaben der Person in der qualifizierten Inaugenscheinnahme nicht hinreichend möglich ist, ist vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen und dementsprechend eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung durchzuführen.
Sollte diese ärztliche Untersuchung notwendig sein, dann wird sie gemacht. Es geht hier nicht um Bagatelle, deshalb muss die Entscheidung im Einzelfall getroffen werden und verhältnismäßig sein. Die Einstufung jedes Falles als Zweifelsfall widerspricht der gesetzlichen Regelung.
Ich verdeutliche Ihnen noch einmal, was ärztliche Untersuchung heißt:
- körperliche Untersuchung auf Reifezeichen sowie Hinweise auf Entwicklungsverzögerungen – für pubertierende Kinder und Jugendliche in hohem Maße unangenehm
- zahnärztliche Untersuchung des Ober- und Unterkiefers – eine Untersuchung, die nicht nur ungewohnt ist, sondern, entschuldigen sie mir den Vergleich, aber eben auch was von Viehmarkt hat und
- eine Radiologische Untersuchung der Handknochen oder des Schlüsselbein-Brustbein-Gelenks
Und das wollen Sie allen Kindern und Jugendlichen, die ohne Ausweisdokumte einreisen, zusätzlich zumuten, ohne dass es im Einzelfall notwendig oder sinnvoll ist!
Ihr nächster Fehler ist es, zu glauben, dass mit einer ärztlichen Untersuchung das Alter zu 100 Prozent festgestellt wird. Das ist aber nicht möglich. Es wird sich immer um eine Schätzung handeln.
Wenn das Alter nicht sicher festgestellt werden kann, ist auch bei Zweifeln der Jugendliche in Obhut zu nehmen, bis das Alter geklärt ist. Damit läuft die Zielstellung ihres Antrages, Überlastung des Kinder-und Jugendhilfesystems sowie finanzielle Belastung des Landes zu vermeiden, ins Leere, denn sie würde nur maßlosen Mehraufwand für die ärztlichen Untersuchungen verursachen.
Der Antrag dient einfach dazu, in der AfD-Blase zu zeigen, dass man alles gegen die bösen Ausländer. Das kann ich nicht verhindern.
Aber wenn ich jetzt schon die Bühne habe, zum Thema minderjähriger Zuwanderer zu sprechen, dann möchte ich diese auch positiv nutzen.
Mir sind in meiner Arbeit viele dieser jungen Menschen begegnet. Oft völlig überfordert, oft hochverschuldet und häufig auch in sehr schlechtem gesundheitlichen Zustand. Dort, wo es gelungen ist, schnell Orientierung, Perspektive und Halt zu vermitteln, haben diese jungen Menschen sich irre schnell angepasst, schulische Maßnahmen oder Arbeitsangebote angenommen und mit ihren Überlebenskompetenzen Fuß gefasst.
Ich weiß, sie haben das mit der Migration bei der AfD noch nicht verstanden, aber für alle, die demografische Entwicklung in Sachsen durchdringen, kann ich nur empfehlen, gerade die Zuwanderungsgruppe mit großer Zuversicht zu begrüßen, weil sie unsere potenziellen Mechaniker*innen, Köch*innen, Pflegekräfte oder Ärtzt*innen und Ingenieur*innen sein können.
Ich denke ich bin hinreichend deutlich geworden: Wir lehnen den Antrag aus vollster Überzeugung ab.