Datum: 21. Mai 2025

Frühkindliche Bildung – Melcher: Wir dürfen die wichtigen pädagogischen Fachkräfte nicht verlieren

Redebeitrag der Abgeordneten Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Frühkindliche Bildung in Sachsen ganzheitlich weiterentwickeln: Qualität sichern, Transparenz fördern und Praxisnähe ausbauen“ (Drs 8/2640)

13. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 20.05.2025, TOP 12

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

stellen wir uns ein lebhaftes, vierjähriges Kind in einer sächsischen Kita vor. Es baut gerade aus Decken und Klötzen ein Raumschiff. Es verhandelt mit anderen Kindern über Bauteile, denkt über Stabilität nach, erzählt Geschichten und löst Konflikte im Team. Es experimentiert mit Statik, erlernt Sozialkompetenz und sich zu verständigen. Und ganz nebenbei erfährt es Selbstwirksamkeit, Neugier und Freude am Tun.

Dies ist möglich, weil ausgeruhte und engagierte Erzieher*innen sie dabei unterstützen können.

Doch diese Qualität in unseren Kindertageseinrichtungen, ist kein Selbstläufer. Sie ist das Ergebnis von Fachkräften, die unter guten Rahmenbedingungen arbeiten können. Und genau diese Rahmenbedingungen sind von gezielten, durchdachten Entscheidungen abhängig. Entscheidungen, die immer wieder an den gleichen grundlegenden Fragen ansetzen müssen:

Wie schaffen wir es, dass jedes Kind – unabhängig von Herkunft und Wohnort – Zugang zu qualitativ hochwertiger frühkindlicher Bildung erhält?

Welche Rahmenbedingungen brauchen unsere pädagogischen Fachkräfte, damit sie Kinder nicht nur gerade so betreuen, sondern wirklich nachhaltig begleiten und fördern können?

Und wie gelingt es uns, die Stimmen aus der Praxis – von Erzieher*innen, Eltern und Trägern – besser in diese Entscheidungen einzubeziehen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir sprechen heute über unseren Antrag, der die ganzheitliche Weiterentwicklung der frühkindlichen Bildung in Sachsen adressiert.

Warum bringen wir diesen Antrag gerade jetzt ein? Weil die frühkindliche Bildung in Sachsen an einem entscheidenden Wendepunkt steht.

Zum einen weil der Sächsische Bildungsplan, erstmalig seit seiner Einführung in 2006, überarbeitet wird. Diesen Zeitpunkt sollten wir als Chance nutzen, um notwendige Anpassungen vorzunehmen. Zum anderen weil wir durch die sinkenden Kinderzahlen die Chance haben, auch personell unsere Kitas weiterzuentwickeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bekomme, wahrscheinlich wie Sie auch, viele Nachrichtigen aus dem Kitaalltag: Hohe Krankenstände belasten die Einrichtungen enorm, das Resultat sind verkürzte Betreuungszeiten oder die Bitte an die Eltern, die Kinder zu Hause zulassen.

Kolleginnen, die sich wacker schlagen, wenn die Personaldecke mal wieder zu eng ist, und dann selbst an ihre Belastungsgrenzen kommen. Und auf der anderen Seite Personal, das gekündigt wird, weil die Kinderzahlen zurückgehen.

Das ist schwer zu vermitteln – den Fachkräften genauso wenig wie den Eltern und Kindern.

Wegen der sinkender Kinderzahlen plant der Freistaat Sachsen, in diesem Jahr etwa 15 Millionen Euro weniger Geld an die Kommunen für die Kinderbetreuung zu überweisen. Im Regierungsentwurf für den Doppelhaushalt 2025/26 sind für dieses Jahr rund 905 Millionen eingeplant, für 2026 nur noch etwa 896 Millionen Euro.

Dass die Landesregierung trotz einstimmig beschlossenem Kita-Moratorium nun doch keine Notwenigkeit dafür sieht, bedeutet einen enormen Rückschlag für die frühkindliche Bildung. Es bedeutet Unsicherheit, eingeschränkte Betreuungszeiten, schlechtere Betreuungsqualität, das Wegbrechen von Strukturen und auch vertrauten Bezugspersonen der Kinder.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir dürfen die Qualität in den Kindertageseinrichtungen nicht aufs Spiel setzen. Wir dürfen die wichtigen pädagogischen Fachkräfte nicht verlieren.

Und das alles in einem Bundesland, das eigentlich ein enormes Potenzial hat: Im vergangenen Jahr lag die Betreuung der Unter-Dreijährigen in einer Kita oder Kindertagespflege in Sachsen bei etwa bei 55 Prozent – eine der höchsten Quoten bundesweit! Bei den Über-Dreijährigen lag die Quote bei 94 Prozent – im Bundesdurchschnitt sind es 91 Prozent.

Sachsen verfügt über ein hohes Qualifikationsniveau: 78 Prozent der pädagogischen Fachkräfte haben einen fachlich einschlägigen Fachschulabschluss, weitere 12 Prozent sogar einen Hochschulabschluss – der höchste Wert im Bundesvergleich. Allerdings werden die Kinder in unseren Kindertageseinrichtungen weiterhin in Gruppen betreut, die nicht dem empfohlenen Betreuungsschlüssel entsprechen.

Das heißt: Trotz hoher Betreuungsquoten und gut ausgebildetem Personal arbeiten Fachkräfte am Limit, können individuelle Entwicklungsbedarfe kaum noch angemessen begleiten – und verlieren zunehmend die Zeit für das, worauf es in der frühkindlichen Bildung ankommt: Beziehung, Zuwendung, Entwicklung, Begleitung, Spiel und Sprache.

Dabei könnte Sachsen bis 2030 die empfohlenen Personalschlüssel erreichen – wenn heute die richtigen rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wir fordern deshalb die Umsetzung des Kita-Moratoriums!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der andere wichtige Punkt unseres Antrages ist die Neuschreibung des Sächsischen Bildungsplanes. Die frühkindliche Bildung in Sachsen leistet einen entscheidenden Beitrag zur individuellen Entwicklung von Kindern und zur Förderung von Chancengerechtigkeit. Sie ist ein eigenständiger Bildungsbereich, der die ganzheitliche Entwicklung des Kindes in den Mittelpunkt stellt und nicht dazu dient, eine reine Schulfähigkeit zu erreichen.

Wir wollen, dass der Sächsische Bildungsplan weiterentwickelt wird und dabei der Fokus auf individuelle Lernprozesse, Lebenskompetenzen und der Wertschätzung der Selbstbildung gelegt wird. Aktuelle Anforderungen wie Diversität, Kinderschutz und inklusive Bildung sollen genauso verankert werden wie Demokratieerziehung und die Vermittlung grundlegender gesellschaftlicher Werte.

Dazu ist es aus unserer Sicht wichtig, dass die Akteure aus der Fachpraxis transparent mit einbezogen werden und eben auch Elemente zur Implementierung diskutiert werden. Der Bildungsplan muss auch in der Praxis umgesetzt werden.

Wir wollen außerdem die Kooperation zwischen Kindergarten, Schule und Hort stärken und es braucht ein gegenseitiges Verständnis der jeweiligen pädagogischen Praxis.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sie entscheiden heute also im doppelten Sinne über die Qualität in unseren Kindertageseinrichtung.

Setzen wir das Kita-Moratorium um und sichern die personelle Qualität. Und schreiben wir den Bildungsplan fort und stärken ein ganzheitliches und eigenständiges Bildungsverständnis für die frühkindliche Bildung. Damit Neugier, Spiel und Entdeckergeist unsere Kinder in den ersten Jahren leitet.

Ich bitte um Zustimmung zum Antrag!