Gerd Lippold: Der zum wiederholten Male rasche Ruf nach dem Staat als Vollkasko-Versicherung springt uns deutlich zu kurz
Redebeitrag des Abgeordneten Gerd Lippold zur Aktuellen Debatte der Fraktion DIE LINKE:
"Entscheidungen über den Industriestandort Sachsen – drohender Arbeitsplatzverlust bei Bombardier – Gründe für das hilflose Agieren der Staatsregierung"
32. Sitzung des Sächsischen Landtags, 20. April 2016, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
in der Wirtschaft sind immer wieder Strukturanpassungen erforderlich. Das einzig Beständige ist der permanente Zwang, auf die sich verändernden Rahmenbedingungen zu reagieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. Häufig erfolgt das – gerade bei international agierenden Unternehmen – durch Nutzung von Synergieeffekten zwischen mehreren Standorten und durch Bündelung von Kompetenzen. Solche Prozesse finden ständig statt. Sie laufen aber nur dann auch für uns alle positiv, wenn sie künftige Entwicklungs- und Wachstumsperspektiven für das Unternehmen und für seinen Standort nachhaltig stärken und für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gute Arbeit schaffen.
Eine nachhaltige Strategie, die auf Verbesserungen im Unternehmen und auf Erhaltung und Verbesserung seines Standortes und damit seines eigenen Nährbodens gerichtet ist, ist dabei keineswegs selbstverständlich. Zu oft wird für den Moment, wird für Heute und Morgen zur zweckdienlichen Umschiffung eines Problems so gehandelt, dass dadurch für Übermorgen Existenzbedrohungen in Kauf genommen und direkt verursacht werden.
Diesen Satz habe ich bereits in einer aktuellen Debatte hier in diesem hohen Haus zum Thema der VW-Abgasaffäre benutzt, wo grundlegende, langfristig existenzsichernde Fragen der Unternehmensethik beiseite gewischt wurden, um kurzfristig den Erfolg am Markt zu pushen.
Auch die Ausrichtung an kurzfristigen shareholder-value-Forderungen kann für Standorte Abwärtsspiralen in Gang setzen. Mit den Mitteln der Standortentwicklungs- und Förderpolitik muss sich Wirtschaftspolitik systematisch – und zwar bereits im Vorfeld von Ansiedlungsentscheidungen – gegen solche Fehlentwicklungen stellen.
Wir fordern seit Langem Nachhaltigkeitskriterien bei staatlicher Förderung und Unterstützung für Ansiedlung, Investition sowie Forschung und Entwicklung. Zukunftsfähiges, gesellschaftlich dienliches Verhalten ist ein entscheidendes Kriterium dafür, ob auch die Gesellschaft sich in besonderem Maße für ein Unternehmen engagieren kann!
Wenn hier nun zum wiederholten Male der rasche Ruf nach dem Staat ertönt, um sozusagen als Vollkasko-Versicherung zu agieren, wenn Unternehmen dabei nicht erfolgreich sind, so springt uns das deutlich zu kurz.
Es ist Sache der Unternehmen, ihre eigenen unternehmerischen Entscheidungen zu Strukturanpassungen zu treffen, und es ist nicht Aufgabe des Staates, den besseren Manager oder Unternehmensberater zu spielen. Aber es ist sehr wohl Aufgabe von Wirtschaftspolitik, dafür zu sorgen, dass bei diesen Entscheidungen solche Strategien wirtschaftlich vorteilhaft werden, die zu motivierten Mitarbeitern und attraktiven, zukunftsfähigen Standorten führen.
Bombardier hat erhebliche Fördersummen erhalten, um damit in der Oberlausitz profitable und stabile Produktionsstandorte zu entwickeln. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Entscheidungen zulasten der Standorte nun unmittelbar nach Ablauf der Fördermittelbindefrist fallen.
Ist das Anzeichen einer Tendenz, öffentliche Förderung einfach als selbstverständlich in einer Geschäftsplanung einzupreisen und „mitzunehmen“? Das wäre eine fatale Entwicklung – denn dann würden diese Fördermittel jegliche Lenkungswirkung im Sinne des Gemeinwohls verlieren.
Sollte der Freistaat nun zur Abwendung standortschädlicher Unternehmensentscheidungen mit zusätzlichen Fördermitteln – etwa im Technologiebereich – winken, sobald global operierende Unternehmen existenzbedrohenden Druck auf Standorte und Beschäftigte ausüben, so wäre das in der Tat ein hilfloses Agieren, denn es würde Schule machen und fatale Signale setzen. Insofern kann ich Herrn Minister Dulig nur unterstützen, wenn er weitere Unterstützung für das Unternehmen an klare Bedingungen zur nachhaltigen Standortsicherung knüpft. Das sollte mit aller Konsequenz erfolgen!
Fördern kann bedeuten, entwicklungsfähigen Unternehmen bei Krisenbewältigung zu unterstützen. Fördern heißt aber auch, Anreize zu setzen, um Unternehmensstrategien in Richtungen zu lenken, die im gesamtgesellschaftlichen Sinne Win-Win-Situationen darstellen.
So wäre es eine Win-Win-Situation, wenn der Freistaat endlich mit ausreichenden Ressourcen an die Verbesserung der Qualität des schienengebundenen öffentlichen Personenverkehrs gehen würden. Dann entstünde auch ein attraktives Geschäftspotenzial auf dem Heimatmarkt für die Oberlausitzer Bombardier-Produkte. Jeder Unternehmer wird verstehen, dass es für die Ausgangsposition bei entsprechenden, attraktiven Ausschreibungen nur von Vorteil sein kann, ein standorttreuer, heimischer Produzent mit heimischen Produkten zu sein. Das wären doppelt sinnvoll eingesetzte Mittel – für einen modernen, schienengebundenen öffentlichen Verkehr in Sachsen und für einen stabilen Fahrzeug-Produktionsstandort. Wenn sich das Unternehmen um die Zukunft des Standortes kümmert, kümmert sich der Standort bei seiner eigenen Entwicklung um die Zukunft des Unternehmens.
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