Gerstenberg: Dem Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen gebührt eine Stärkung der Position durch direkte Anbindung an den Landtag
Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zur Beschlussempfehlung und Bericht des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses „17. Tätigkeitsbericht 2008/2009 des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik…“ in der 12. Sitzung des Sächsischen Landtages am 31. März 2010, TOP 5
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Fülle der politisch gewichtigen 20. Jahrestage im vergangenen und im laufenden Jahr bietet stets auch Anlass zum Rückblick. Lassen sie mich deshalb heute mit einem Rückblick auf die Entstehung des Landesbeauftragtengesetzes beginnen.
Für uns in Sachsen stand es 1992 nach der Verabschiedung des Stasi-Unterlagengesetzes außer Frage, dass wir zumindest die in dessen § 38 gegebene Möglichkeit nutzen, das Amt eines Landesbeauftragten einzurichten. Damals lagen dem Landtag sogar drei Gesetzentwürfe vor – von der Staatsregierung, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis90/Grüne.
Der Entwurf unserer Fraktion zu einem Landesaufarbeitungsgesetz unterschied sich in wichtigen Punkten von dem verabschiedeten Gesetz. Es sind insbesondere drei Punkte, die sich auch aus heutiger Sicht nach wie vor als richtig erweisen.
Zum ersten ist es falsch den Blick auf das MfS zu verengen – wir müssen eine umfassende Aufarbeitung des Repressionsapparates erreichen. Durch die Diskussion über das „Schild und Schwert der Partei“ dürfen nicht die Hauptverantwortlichen in der SED verdeckt werden, die sich durch das Schild schützten und die das Schwert führten. Im Blick bleiben sollten aber auch die Anteile anderer Organisationen und Institutionen an der Unterdrückung der politischen und Freiheitsrechte in der DDR – von den Blockparteien über NVA, Kampfgruppen und Massenorganisationen bis zu den Innenverwaltungen.
Zweitens darf die politisch-historische Aufarbeitung nicht beim Staat zentralisiert werden. Der Landesbeauftragte sollte bestehende Verbände und Initiativen fördern und koordinieren sowie die die Betroffenen, Täter wie Opfer, bei ihrer persönlichen Aufarbeitung beraten.
Drittens ist die Unterstellung unter das Justizministerium dem Amt des Landesbeauftragten nicht angemessen. Ihm gebührt eine Stärkung der Position durch direkte Anbindung an den Landtag, so wie beim Datenschutzbeauftragten und Ausländerbeauftragten.
Damals zitierte mein Fraktionskollege Martin Böttger in der Plenarsitzung Justizminister Heitmann, der unsere Forderungen mit dem Satz abgelehnt hatte: „Sie wissen doch alle, dass diesem Landesbeauftragten nur eine Alibifunktion zugedacht ist.“
Ich bin sehr froh, dass die praktische Arbeit der Landesbeauftragten, insbesondere seit Herr Beleites im Dezember 2000 das Amt übernommen, diesen Satz widerlegt. Der Landesbeauftragte ist kein Alibimann, sondern seine Behörde bearbeitet trotz der engen Grenzen des Gesetzes seit Jahren alle ihre Aufgabengebiete mit Engagement und Kreativität sowie auf hohem Niveau.
Dafür danke ich Herrn Michael Beleites sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle auch die Menschen, die sich in Opferverbänden und Aufarbeitungsinitiativen engagieren und deren Arbeit unverzichtbar ist. Auch ihnen gilt unser Dank.
Heute debattieren wir bereits über den 17. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes.
Gewiss haben diese Berichte nicht mehr ganz so viel Brisanz wie in den ersten Jahren nach Verabschiedung des Landesbeauftragtengesetzes am 12. Juni 1992. Aber sie bieten nach wie vor Interessantes, manchmal Überraschendes und sie sind immer noch wichtig. Die Debatten über die Arbeit des Landesbeauftragten sind immer auch Debatten über die DDR-Geschichte vom Stasi-Knast bis zum alltäglichen Alltag, von Repressionen bis hin zu Anpassungen. Unsere Auseinandersetzung mit diesem Teil der deutschen Geschichte, die Diskussionen über unsere Aufarbeitungsfähigkeit sind notwendig – auch und gerade im Freudenrausch des 20. Jahrestages unserer Friedlichen Revolution.
Der 20. Jahrestag ist allgegenwärtig im Bericht und er bestimmte die Arbeit des Landesbeauftragten im Berichtszeitraum: Diverse Feierlichkeiten mussten vorbereitet, die Wanderausstellung „1989 – Unser Aufbruch – 2009“ gestaltet und durchgeführt werden. Meine Damen und Herren, wer sich von Ihnen die Zeit genommen und den Ausstellungsbus besucht hat, dem wurde einmal mehr deutlich, dass eine Stärke unseres Aufbruchs in der Dezentralität, in der Vielzahl mutig handelnder Menschen in unterschiedlichen sächsischen Regionen lag. Frau Dr. Nancy Aris möchte ich ausdrücklich für die inhaltliche Erarbeitung der Ausstellung danken.
Gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung brachte der Landesbeauftragte das Stelen-Projekt „Wege in die Freiheit – Dresden ’89“ auf den Weg und damit die Vermittlung von Geschichte und die so wichtige Erinnerung und Würdigung der Selbstbefreiung aus der Unmündigkeit direkt auf Dresdens Straßen. Mit dieser Erinnerung den öffentlichen Raum füllen, hilft auch dabei, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Freiheit und Demokratie immer wieder neu erstritten, von Demokratinnen und Demokraten gelebt, gestaltet und und gegen ihre Feinde verteidigt werden muss. Meine Anerkennung auch für dieses Projekt!
Das Jubiläum vervielfachte auch die Anzahl der Vorträge, öffentlichen Veranstaltungen, wissenschaftlichen Tagungen und Gespräche, zu denen der Landesbeauftragte geladen wurde. Der Bericht gibt hierüber ausführlich Auskunft. Er zeigt aber auch sehr deutlich auf, dass all diese Aufgaben im Zusammenhang mit dem zwanzigjährigen Jubiläum der Friedlichen Revolution zusätzlich zur „alltäglichen Arbeit“ der Behörde des Landesbeauftragten erledigt werden mussten und damit die Leistungsfähigkeit der Behörde angesichts der geringen personellen Ressourcen deutlich überschritt.
Die alltägliche Arbeit umfasst
• die Beratung von Bürgern, öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen,
• nach wie vor – wenn auch stark rückläufig – die Bewertung und Begutachtung von Stasi-Unterlagen
• und v.a. die Unterrichtung der Öffentlichkeit die historisch-politische Bildung.
260 Erstberatungen zur Akteneinsicht, 289 ausführliche Beratungsgespräche zu Nachbereitung, Rehabilitierung usw. wurden 2008-2009 in der Geschäftsstelle durchgeführt. Hinzu kommen 720 ausführliche Gespräche in sächsischen Städten im Rahmen der dezentralen Beratungsinitiative und über 1000 Beratungen in Zusammenarbeit mit der BStU.
Dies alles leistet eine Kleinstbehörde, die nur noch aus 4 Mitarbeitern – einschließlich (!) des Landesbeauftragten und der Sekretärin – besteht. Doch die Belastungsgrenze ist längst erreicht. Die Personal- und Finanzausstattung der Behörde ist ein Problem. Herr Beleites ist leider nicht in der komfortablen Lage wie seine neue Brandenburger Kollegin Ulrike Poppe. Viel zu spät wurde diese Position in Brandenburg geschaffen, dafür aber gut ausgestattet: Neben der direkten Unterstellung unter den Landtag anstelle eines Ministeriums erhielt sie 7 Mitarbeiter und ein eigenes Budget, das doppelt so hoch wie jenes von Herrn Beleites ausfällt.
Aber nach wie vor gilt in Sachsen das Landesbeauftragtengesetz und da heißt es in § 2 Abs. 4 „Dem Landesbeauftragten ist die für die Erfüllung seiner Aufgaben notwendige Personal- und Sachausstattung zur Verfügung zu stellen.“ Daher erwarte ich von der Staatsregierung, dass sie gemeinsam mit dem Landesbeauftragten nach Finanzierungswegen sucht, um wichtige Projekte nicht sterben zu lassen.
Dass die Behörde evtl. das Einpflegen der gesammelten Dokumente in den Datenbankbestand ausgliedern muss, kann man mit Bauchschmerzen ja vielleicht noch akzeptieren. Aber dass im Jubiläumsjahr 2009 ein gut vorbereitetes Schülerprojekt, die Theaterperformance „Alles auf Hoffnung“, das auf eine riesige Nachfrage seitens der Schulen stößt – und 50 Anfragen in einer Wochen sind wirklich riesig – wegen der Haushaltssperre gestoppt werden musste, ist nicht verständlich und zeugt von wenig Achtung vor der Behörde und schlechter Kenntnis über ihre kreative Bildungsarbeit.
Dabei hatten Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP, im September 2008 in einer Aktuellen Debatte „Aus der Geschichte lernen – Bessere Aufklärung über die DDR an Sachsens Schulen “ noch von Pflichtprojekttagen zur DDR-Geschichte und einer besseren Vernetzung mit der Behörde des Landesbeauftragten gesprochen und dabei Nachholbedarf vor allem bei der Lehrerschaft und den Eltern gesehen.
Die Bildungsarbeit ist neben der Beratungstätigkeit das Hauptaufgabenfeld der Behörde. Und mit viel Kreativität, Engagement und ehrenamtlicher Unterstützung wird dieser Bereich trotz der benannten Engpässe immer mehr ausgeweitet.
Ich möchte nur ein Projekt hervorheben: das Projekt „Zwischen Wahrheit, Fiktion und Manipulation – ein deutsch-deutscher Zeitungsvergleich“. Dieses überaus ambitionierte Vorhaben vermittelt neben historischen Kenntnissen vor allem solch wichtige Kompetenzen wie Lesefähigkeit, regt an, angebliche Wahrheiten kritisch zu hinterfragen, über die Macht von Worten und Symbolen nachzudenken, vermittelt mithin Medienkompetenz. Es ermöglicht einen Einstieg in die so schwierige Debatte über Erinnerungskultur, regt an Geschichtsbilder und Ordnungsvorstellungen kritisch zu prüfen. Meine Hochachtung für diese Ansprüche und meine Anerkennung an die Lehrer die sich selbst damit offen der Kritik ihrer Schüler stellen.
Ich möchte zum Schluss noch ein paar Bemerkungen zu einem Anhang des Berichtes machen, der kennzeichnend für das umfassende weitsichtige Denken und Arbeiten der Behörde ist. In dem Artikel „Isolierte Aufarbeitung“ setzt sich Michael Beleites mit der bundesdeutschen und speziell auch der sächsischen Erinnerungskultur auseinander.
Nun teile ich zwar nicht alle Thesen und Argumente, die in diesem intelligenten Beitrag geäußert werden, aber die dort aufgegriffene Diskussion ist meiner Meinung nach wichtig für die sächsische Erinnerungspolitik. Es geht um die Möglichkeit getrennte Erinnerungskulturen zusammenzuführen, OHNE die grundlegenden Unterschiede zwischen der nationalsozialistischen Diktatur und dem SED-Herrschaftssystem zu verwischen. Dieser kategorische Unterschied darf nicht zur Debatte stehen. Aber gibt es auf dieser Basis Wege, die zweigleisige Diktaturaufarbeitung zusammenzuführen? Was spricht dagegen, was dafür? Wir müssen uns dieser Debatte stellen – angesichts des Bruchs in der Erinnerungskultur durch den Wegfall einer Erfahrungsgeneration, angesichts der Zustände in unserer Gedenkstättenlandschaft und angesichts der Aufgaben der historisch-politischen Bildung. Wir müssen uns der Debatte stellen, um den Missbrauch oder wie Beleites sagt, die ideologische Instrumentalisierung von Opfergruppen, nicht zuzulassen. Für die sächsische Erinnerungslandschaft heißt dies: Befürchtungen, Kränkungen, Missverständnisse, Erwartungen und Enttäuschungen müssen von allen Seiten ehrlich aufgearbeitet werden. Ein Beitrag dazu könnte sein, wenn sich SMWK, Opferverbände, Fördervereine, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten und auch Wissenschaftler zu einem neutral moderierten Gespräch zusammenfinden und offen, aber ergebnisorientiert diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unsere Fraktion nimmt den vorliegenden Tätigkeitsbericht zustimmend zur Kenntnis. Dem Landesbeauftragten und seiner kleinen Mannschaft wünschen wir viel Erfolg bei seiner unverzichtbaren Arbeit. Ich darf Ihnen dabei wie bisher unsere Unterstützung zusichern.