Gerstenberg: Wir als Politik stehen in der Verantwortung, die Freien Radios nicht nur zu retten, sondern ihnen auch gesicherte finanzielle Grundlagen zu schaffen

Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die sächsischen Freien Radios sind in die Schlagzeilen geraten. Das hätten nun sicher Radio Blau, Radio T und coloradio aufgrund ihrer Arbeit allemal verdient gehabt. Sie sind aber in die Schlagzeilen geraten, weil sie in ihrer Existenz gefährdet sind. Mich bedrückt das sehr, umso mehr, als diese Radioinitiativen in ihrem Kern auf die Friedliche Revolution des Jahres 1989 zurückgehen. Als damals die Bürgerinnen und Bürger in der DDR, jahrzehntelang mundtot gemacht, sich befreit und Redefreiheit erkämpft haben, war einer der ersten Gedanken auch, dass wir öffentlich diskutieren wollen, um das zu verbreiten und dass wir deshalb freie Radios, Bürgerradios, brauchen.
Dieser Rückblick ist wahrlich kein nostalgischer Bezug, denn die Freien Radios heute, 20 Jahre danach, sind ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Medienlandschaft. Gemeinnützig, ehrenamtlich betrieben, offen für alle, sind sie eine wichtige Ergänzung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk einerseits und zum kommerziellen Privatrundfunk andererseits.
Damals wie heute sind Freie Radios Podien für eine demokratische Meinungsbildung. Sie sind Orte der Diskussion. Natürlich ist das oft unbequem – die Kolleginnen und Kollegen der CDU mögen ein Lied davon singen können; auch wir haben das in rot­grünen Zeiten oft erleben müssen -; aber es ist eine Gegenöffentlichkeit im besten Sinne des Wortes, die dort geschaffen wird. Mediennachrichten, die ansonsten untergehen, werden dort in den Mittelpunkt gestellt und es findet eine Diskussion von allen für alle statt. Die Freien Radios sind Radios von allen für alle – nicht nur für die Hörer, sondern auch mit den Hörerinnen und Hörern gestaltet -; etwa 150 Programm- und Radiomacher sind daran beteiligt.
Das ist, wer den Begriff des mündigen Bürgers verinnerlicht hat, sicher ein wichtiger Beitrag, sich dort auszutauschen und zum mündigen Bürger zu wachsen. Freie Radios bieten Vielfalt, sie bieten vielen verschiedenen Gruppen ein Podium, sie bieten lokalen Initiativen in den drei Sendeorten Leipzig, Dresden und Chemnitz das Mikrofon, und wir können in Freien Radios sehr verschiedene Haltungen nebeneinander erleben. Die Vielfalt der Meinungen ist dort am besten nachzuvollziehen. Ich halte es für besonders wichtig, dass dort gerade auch Minderheiten, die im großen Medienrundfunk oft untergehen, zu Wort kommen.
Diese Vielfalt ist ganz nebenbei gesagt auch in der Musik zu spüren. Statt der standardisierten Programmformate der kommerziellen, zum Teil aber auch der öffentlich-rechtlichen Sender ist dort eine Vielfalt an Musik, Literatur und Theater zu finden, die beeindruckt. Deswegen bieten Freie Radios nicht nur Kultur, sondern sind im besten Sinne des Wortes ein Beitrag zu unserer Kultur.
Das ist jetzt keine Theorie eines grünen Medienpolitikers: Bereits 1991 hat der Europarat in einer Resolution festgestellt, dass er die Lokalradios als ideales Mittel zur Förderung der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit und als einen Beitrag zur aktiven Teilnahme am lokalen Geschehen sieht. Er hat deshalb seine Mitgliedsstaaten aufgefordert, Freie Radios zu fördern. Diese Förderung steht in Sachsen weitgehend noch aus. Sie wurden ermöglicht mehr geduldet als gefördert -; trotzdem können die Freien Radios auf Erfolge verweisen. Preise sind bei ihnen eingegangen. Der jüngste Preis war der Medienpädagogische Preis der Sächsischen Landesmedienanstalt, den das junge Radio von „coloRadio“ für einen seiner Beiträge erworben hat. Als die elfjährigen Redakteurinnen und Redakteure diesen Preis in Höhe von 3000 Euro empfangen haben, war ihre erste bange, hoffnungsvolle Frage: Reicht dieses Geld, um unser Radio zu retten?
Nicht nur angesichts dieser Frage stehen wir als Politik in der Verantwortung, die Freien Radios nicht nur zu retten, sondern ihnen auch gesicherte finanzielle Grundlagen zu schaffen. In der weiteren Diskussion durch die nachfolgenden Redner werden verschiedene Wege aufgezeigt werden. Ich möchte für mich nur sagen: Ich halte es für wichtig, „Apollo Radio“ nicht aus der Pflicht zu entlassen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass sich ein Sender, der damals eine Lizenz erhalten hat mit der Bedingung, dass die Freien Radios senden können, jetzt aus seiner Verantwortung davonstiehlt.
Es ist zugleich wichtig, auch eine dauerhafte Förderung über die Sächsische
Landesmedienanstalt zu öffnen. Dazu müssen wir das Sächsische Privatrundfunkgesetz ändern. Das, was unsere Nachbarländer wie zum Beispiel Thüringen und Sachsen-Anhalt machen, was Baden-Württemberg so vorbildhaft macht – und oft ist ja Baden-Württemberg unser Vorbild -, muss auch in Sachsen möglich werden.
Wie auch immer die Lösung aussieht – wir müssen eine finden. Ich bin überzeugt: Das, was damals im Herbst 1989 seine Wurzeln hatte, darf jetzt, 20 Jahre nach der friedlichen Revolution, nicht ins Grab geschaufelt werden. Danke.
2. Teil
Ich knüpfe gleich daran an, was Julia Bonk gesagt hat. „Apollo Radio“ hat als Sendezeit 21 Uhr bis 04 Uhr angeboten. Zurzeit senden die Freien Radios am Wochenende von  12 bis 24 Uhr, also gerade für Kinder und Familien. Ich hatte vorhin die Kinderprogramme genannt. Ich halte ein solches Angebot, das Herr Gemkow als so hervorragendes Angebot bezeichnet, schlichtweg für unmoralisch und ein Wegdrücken der Radios von ihren Zuhörerinnen und Zuhörern.
Es wäre dann ein Radio für Schlaflose, das nur noch existiert. Das kann nicht die Lösung für Freie Radios sein. Ich glaube, dass in diesem Fall tatsächlich die Landesmedienanstalt gefragt ist. Hier steht ein sächsisches Modell mit dieser Finanzierung über „Apollo“ auf dem Prüfstand. Wenn dieses Modell scheitert, würde das deutschlandweit Schlagzeilen machen. Ich hoffe sehr darauf, dass die Landesmedienanstalt doch noch eine moderierende Rolle einnehmen kann.
Zweiter Punkt. Freie Radios ins Internet – die neue Botschaft von CDU- und FDP-Fraktion. Die freien Radios brauchen keine Marktprognosen, Herr Gemkow, welche Anteile das Internet einmal einnehmen wird. Sie brauchen ihre Zuhörer jetzt und heute, wo sich Radio hören gerade bei den betroffenen Zielgruppen noch über UKW abspielt. Jeder im Saal mag sich fragen, wie oft er UKW hört und wie oft Internetradio.
Außerdem halte ich diese Diskussion für sehr schmalspurig. Wenn das Internet die Lösung für alle ist, dann auch bitte ab ins Internet mit dem MDR und, Herr Herbst, ab ins Internet mit den Privatsendern, für die Sie gerade die UKW-Frequenz noch einmal verlängern wollen.
Dritter Punkt. Herr Gemkow hat gesagt, dass bei einer Finanzierung über das Privatrundfunkgesetz eine Kostenlawine losgetreten wird. Ich bitte darum, zumindest eine Spur von Kompetenz walten zu lassen. Der Rundfunkstaatsvertrag ermöglicht den Ländern diese Regelung, aus ihren zweiprozentigen Gebührenanteilen auch Freie Radios mitzufinanzieren, und viele Länder tun das. Fahren Sie nach Hessen oder Niedersachsen und reden Sie mit den Leuten, genauso nach Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, unserem Musterland, oder in die Nachbarschaft, nach Thüringen und Sachsen-Anhalt. Fragen Sie nach der Kostenlawine! Natürlich existiert sie nicht. Der Gesetzgeber kann die Anteile für die Freien Radios begrenzen. Das ist auch überall geschehen. Außerdem brauchen Freie Radios Frequenzen und dafür Lizenzen, wenn sie senden wollen. Eine Kostenlawine ist so sachfremd wie Ihr Redebeitrag an dieser Stelle.
Ich muss Ihnen offen gestehen; es geht kurzfristig um 40 000 Euro – man kann das gar nicht oft genug wiederholen -, um diesen kleinen, aber wichtigen Bestandteil der sächsischen Medienlandschaft weiterhin zu sichern. Ich hatte wirklich geglaubt, dass auch in dieser Debatte von der Koalition ein Aufeinanderzugehen sichtbar wird, so wie die Landesmedienanstalt immer wieder vermittelnd eingreift. Sie haben aber eine ideologische Verhärtung geboten. Das erinnert an einen Kampf gegen die Freien Radios. Wir als Sächsischer Landtag müssen aber einen Weg finden, um deren Existenz zu sichern. Die Freien Radios sind ein wichtiger Bestandteil unserer demokratischen Medienlandschaft in Sachsen, und wir brauchen sie auch in den nächsten zwanzig Jahren.