Giegengack: Bei Berufs- und Studienorientierung in Sachsen kein Konzept erkennbar

Redebausteine der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zu Antrag "Berufs- und Studienorientierung in Sachsen nachhaltig gestalten"
94. Sitzung des Sächsischen Landtages, 9. April 2014, TOP 10

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Berufs- und Studienorientierung in den Schulen in Sachsen gleicht einem Flickenteppich.
Getreu dem Motto "Viel hilft viel" werden die Schulen mit allerlei Materialien geflutet und die Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen und wechselnden Personen und Professionen beglückt.
Ein Konzept ist nicht erkennbar.
Es beginnt mit der grundsätzlichen Frage, welches Problem hier eigentlich angegangen werden soll.
Konsens ist, soweit ich feststellen kann: Die Schule sollte eine möglichst praxisnahe ökonomische Grundbildung vermitteln sowie Berufswahlkompetenz und Ausbildungsreife.
Die quantitative, messbare Zielsetzung lautet: Senkung der Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss und Senkung der Ausbildungs- und Studienabbrecherquote. Immerhin bricht mehr als jeder vierte eine Lehre ab, beim Studium ist die Quote nur unwesentlich niedriger.
An dieser Stelle sehe ich zwei Probleme:
Erstens: Die statistischen Daten weisen Lücken auf, da Jugendliche, deren vermeintlicher "Abbruch" der Ausbildung oder des Studiums in Wahrheit ein Wechsel ist, nicht adäquat erfasst werden.
Zweitens: Es ist zu hinterfragen, ob eine geringere Abbrecherquote in Schule, Ausbildung und Studium tatsächlich auf eine bessere Berufs- und Studienorientierung zurückzuführen ist.
Ich will damit keinesfalls die Legitimität einer der Zielsetzungen oder eine gewisse Korrelation in Frage stellen, ich will lediglich verdeutlichen, dass die Unterstellung eines direkten Zusammenhangs in die Irre führen kann.
Das wird überdeutlich, wenn man aufmerksam die Begründung für die ein oder andere Maßnahme zur Berufs- und Studienorientierung der Staatsregierung zur Kenntnis nimmt, die von einer gewissen Hilflosigkeit zeugt.
Zu den Praxisberatern heißt es: "Mit der zusätzlichen Unterstützung der Praxisberater werden Schüler optimal auf die Zusammenarbeit mit der Berufsberatung vorbereitet" – eine Beratung für die Beratung also, damit, wie es anderer Stelle heißt, die Berufswahl nicht zum "Glücksspiel" wird.
In der Stellungnahme zum vorliegenden Antrag wird bei der Frage nach der Abgrenzung zwischen Berufsberatern, Berufseinstiegsbegleitern, den für Kompetenzentwicklung zuständigen Sozialpädagogen, Praxisberatern und Schulsozialarbeitern auf "klar definierte Schülergruppen und aufeinander abgestimmte Aufgabenbeschreibungen" verwiesen. "Mit der Implementierung von unterschiedlichem Unterstützungspersonal wird der Individualität Rechnung getragen", ist dort zu lesen.
Eine hohe Zahl von Ausbildungs- und Studienabbrechern ist lediglich ein Indiz für eine Problemlage. Wenn man die nachhaltig angehen will, muss man mehr in die Ursachenforschung und das Herausarbeiten von Zusammenhängen investieren und weniger in Aktionismus.
An dieser Stelle ein kurzer Exkurs:
Der Antrag bezieht sich auf die Umfrage des Landesschülerrates zur Berufs- und Studienorientierung.
In der Veröffentlichung der Ergebnisse wurden einige Auswertungen weggelassen, wohl, weil sie nicht hinreichend repräsentativ waren.
Ich möchte sie dennoch erwähnen, weil sie schlaglichtartig auf ein spezielles Problem verweisen.
Berufs- und Studienorientierung werden stets in einem Atemzug genannt, bei aller Kritik schneidet die Berufsberatung aber immer noch besser ab als die Studienorientierung.
Über die Hälfte der vom Landesschülerrat Befragten fühlt sich unzureichend über Abschlüsse und Hochschularten informiert, von der Herausforderung "Studienfinanzierung" ganz zu Schweigen.
Dabei bleiben auch an den Hochschulen etwa zehn Prozent der Studierenden trotz eines begonnenen Studiums letztlich ohne Abschluss, vor allem in Berufen, in denen dringend Nachwuchs gebraucht wird, Stichwort Lehrermangel.
Daneben schaffen nur 20 bis (in wenigen Studiengängen) maximal 50 Prozent das Studium in der Regelstudienzeit.
Da eine umfassende Absolventenstudie in Sachsen erst jetzt am Entstehen ist, wissen wir, ähnlich wie im Ausbildungsbereich, wenig über die Gründe.
Zur Grundbildung und Berufswahlkompetenz gehört aber zumindest das Wissen über verschiedene Berufe, die Wege dorthin und die Voraussetzungen, die dafür nötig sind – das sind Grundlagen, die im Rahmen der Berufs- und Studienorientierung an den weiterführenden Schulen zwingend vermittelt werden müssen.
Der Antrag fordert zum ersten einen ausführlichen Bericht zur Berufs- und Studienorientierung, dies unterstützen wir ausdrücklich.
Bei dem zweiten Punkt werden wir uns enthalten, denn wir halten es nicht für zielführend, noch bevor ein umfassender Bericht vorliegt bereits ein Landesprogramm in Auftrag zu geben.