Giegengack: Wo wollen wir bildungspolitisch hin? CDU-FDP-Koalition fehlen die Visionen
Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Antrag der Fraktion GRÜNE „Ausgaben für Bildung und Forschung dauerhaft steigern – Vorschläge der Staatsregierung zur Finanzierung des auf dem Bildungsgipfel vereinbarten 10-Prozent-Ziels rechtzeitig vorlegen“ in der 12. Sitzung des Sächsischen Landtages am 31. März 2010, TOP 9
Es gilt das gesprochene Wort!
Der Schlüsselbegriff fiel schon nach fünf Minuten, nach einer halben Stunde hatte Angela Merkel bei ihrer Festrede zum 60. Jahrestag der Sozialen Marktwirtschaft am 12. Juni 2008 den Bogen geschlagen.
Mit ihrer Abwandlung des berühmten Ausspruchs von Ludwig Erhard „Wohlstand für alle heißt heute Bildung für alle“, rief die Kanzlerin die „Bildungsrepublik Deutschland“ aus. Der Bildungsgipfel im Oktober in Dresden sollte der erste Schritt hin zu dieser „Bildungsrepublik“ sein und blieb doch weit hinter den Erwartungen zurück.
Zwar verständigten sich die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder darauf, die Mittel für Bildung und Forschung bis zum Jahr 2015 um geschätzte 60 Milliarden Euro auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufzustocken, über den Weg dahin konnte man sich jedoch nicht einigen.
Bezeichnenderweise verfielen die gleichen Beteiligten keine Woche nach der schnellen Einigung über das 500-Milliarden-Rettungspaket für die Banken, wieder in die föderale Routine.
Die Dresdner Erklärung kann man deshalb nur als eine Mischung aus Sachstandsbericht und Absichtserklärung bezeichnen. Dementsprechend breit war auch die Kritik. Und zu dem inhaltlichen Desaster gesellte sich knapp drei Wochen später ein finanzielles. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages legte im November 2008 die Ausarbeitung „Potentielle finanzielle Auswirkungen der Ziele des Bildungsgipfels auf die Haushalte des Bundes und der Länder“ vor.
Dort hieß es: Allein die Bundesländer müssten zusammen 82,1 Milliarden Euro aufwenden, um das 10-Prozent-Ziel zu erreichen. Bei einem angenommenen Wachstum von zwei Prozent des BIP stiegen die aufzubringenden Mittel auf rund 100 Milliarden Euro im Jahr 2015.
Und auf einmal war sie wieder möglich die Einigung zwischen Bund und Ländern. Einvernehmlich wurden Pensionsausgaben für Lehrer und Professoren, fiktive Mieten für Liegenschaften wie Schulen, Universitäten und Kindergärten, Weiterbildungskosten für Hartz IV, BaföG und Bildungskredite sowie das Kindergeld ab 18 verrechnet: Als zusätzlicher Finanzbedarf zur Erreichung des 10-Prozent-Ziels verkündete man auf dem zweiten Bildungsgipfel Ende 2009 nun überschaubare 13 Milliarden. Doch damit hatte es sich auch schon wieder mit der Einigung, keine Qualitätsziele – Bildung ist doch Ländersache.
Und deshalb sind wir misstrauisch, was der nächste Bildungsgipfel im Juni dieses Jahres bringen wird. Dort sollen die Bildungs- und Wissenschaftsminister von Bund und Ländern „konkrete Vorschläge zur Deckung der Finanzierungslücke und für gemeinsame Initiativen von Bund und Ländern vorlegen.“
Unser Antrag fordert, dass die Staatsregierung uns vorab berichtet, welche konkreten Vorschläge sie auf dem dritten Bildungsgipfel unterbreiten wird. Denn selbst wenn man nur von den 13 Milliarden ausgeht, in die sich Bund und Ländern zu 40 und 60 Prozent hineinteilen, käme auf Sachsen nach unseren Berechnungen Mehrausgaben von mindestens 120 Millionen Euro im Bildungsbereich zu.
Doch die Finanzierung ist die eine Seite, denn nur mehr Geld ins System zu pumpen, verändert nichts, sondern verfestigt lediglich die bestehenden Strukturen – am augenfälligsten ist dies wohl im Gesundheitssystem.
Mindestens genauso wichtig sind die inhaltlichen Vorschläge. Wo wollen wir bildungspolitisch hin? Und hier fehlen der CDU-FDP-Koalition offensichtlich die Visionen. Abgehoben und fern der Realität klatscht sich die Koalition selbst immer wieder Beifall bei der Feststellung, dass doch alles prima wäre. Meine Damen und Herren von der Koalition – das ist es nicht, weder in der frühkindlichen noch in der schulischen oder beruflichen Bildung.
PISA zeigt nur einen kleinen Ausschnitt, von dem was in unserem Bildungssystem passiert. Doch Bildung ist mehr als der durch Hirnforschung optimierte Erwerb von Wissen, das Erlangen von Abschlüssen und die Herstellung beruflicher Qualifikation. Bildung soll zur Zukunft befähigen und all das was sie uns bildungspolitisch präsentieren, bewegt sich im Heute. Schon jetzt sind wir mit Problemen konfrontiert, für die wir in unseren ehemaligen Schulbüchern keine Lösungen mehr finden. Aber wenn wir unsere Kinder zur Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft befähigen wollen und möchten, dass sie sich in einer immer komplizierter werdenden Welt zurechtfinden werden, dürfen wir sie nicht nur mit Wissen voll stopfen und ihnen nicht weiß machen, wir könnten ihnen die Welt erklären. Wir müssen ihnen vor allem die Fähigkeit vermitteln, sich selbst Wissen anzueignen und ihnen Maßstäbe mit auf den Weg geben für ihre Entscheidungen.
„Wohlstand für alle heißt heute Bildung für alle“ – es gibt keinen Satz unserer Kanzlerin, den ich mit größerer Überzeugung unterschreiben würde, als diesen, denn er bedeutet Barrieren abbauen, alle mitnehmen und niemanden aussondern. Ja ich möchte, dass mein Kind in der Schule lernt, das Menschen verschieden sind und jeder eine bestimmte Begabung besitzt, die es zu fördern lohnt. Wenn wir möchten, dass in unserem Land tolerante junge Menschen heranwachsen und keine egozentrischen unreflektierten Lernroboter – wie sie mir leider in meiner Zeit als Lehrerin schon begegnet sind – müssen wir ihnen auch die Erfahrung des sozialen Lernens ermöglichen.
All das sind Herausforderungen jenseits der aktuell drängenden Probleme wie Betreuungsschlüssel, Ganztagsbetreuung oder Schulabbrecherquote. Und wenn wir diese Herausforderung annehmen wollen und so verstehe ich die Initiative der Kanzlerin, brauchen wir Geld, viel Geld.
Sie, Herr Ministerpräsident, haben beim Festakt „600 Jahre Universität Leipzig“ im Dezember letzten Jahres klar formuliert, dass sie zu dem mit der Kanzlerin vereinbarten Ziel stehen, insgesamt 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung, Wissenschaft und Forschung auszugeben. Es wird mehr Geld in die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung fließen und nicht weniger, waren ihre Worte.
Doch allein im Haushalt 2010 müssen das SMK und das SMWK Bewirtschaftungsmaßnahmen in Höhe von 38 Mio vornehmen. Wir möchten mit unserem Antrag wissen, was sie angesichts des Sparzwanges und der nötigen Haushaltskonsolidierung im Juni zum 3.Bildungsgipfel als sächsischen Beitrag zur Erlangung des 10-Prozent-Ziels einbringen werden.