Gisela Kallenbach: Eine langfristig erfolgreich wirkende Hochwasserschutzpolitik findet in Sachsen derzeit nicht statt
Eine langfristig erfolgreich wirkende Hochwasserschutzpolitik findet in Sachsen derzeit nicht statt
Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zum Antrag GRÜNE "Sofortige Schaffung von Rückhalteflächen an sächsischen Flüssen" in der 18. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. Juni, TOP 10
Es gilt das gesprochene Wort!
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Werte Kolleginnen und Kollegen,
werter Staatsminister Kupfer,
mit dem blauen Auge und halb-trockenen Fußes davon gekommen, so könnte man die Situation nach dem Frühjahrhochwasser 2010 einschätzen. Allerdings – und das sollten wir nicht unterschätzen – muss das nicht so bleiben und ist für die nahe oder fernere Zukunft nicht selbstverständlich.
Meine Fraktion befürchtet wohl zu Recht, dass auch in Sachsen nicht die entsprechenden Lehren aus den verheerenden Ereignissen von 1997 an der Oder bzw. aus der Jahrhundertflut von 2002 gezogen wurden.
Deshalb möchten wir mit dem Ihnen vorliegenden Antrag genau nachfragen, was wurde getan, was nicht und was ist in Planung und gleichzeitig darauf drängen, was Frau Merkel als damalige Umweltministerin bereits 1997 favorisierte – die Schaffung ausreichender Überflutungsflächen.
Wir möchten wissen, wie die Flächen für die notwendigen Hochwasserschutzmaßnahmen zukünftig gesichert werden können und ob die Koalition bereit ist, das Gemeinwohl über die Partikularinteressen einzelner Lobbyisten zu stellen.
Wir möchten auch vermeiden, dass in Sachsen eine Situation eintritt, in der der Ministerpräsident – ähnlich wie Herr Platzek in Brandenburg – wortreich erläutern muss, dass es bei der Planung von Poldern und Flutungsflächen nicht lösbare Interessenkonflikte gibt.
Wenn das Sächsische Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft weiter so unentschlossen wie bisher die notwendigen Nutzungseinschränkungen für wenige Flächenbesitzer anordnet, besteht die Gefahr, dass morgen viele Haushalte vom Hochwasser praktisch enteignet werden.
Leider ist es so, dass die Menschen – und dazu gehören nun mal auch die Politikerinnen und Politiker (fast) nur unter Katastrophen lernfähig sind – und das oft auch nur kurzzeitig. Das scheint auch in Sachen Hochwasserschutz der Fall zu sein.
Was wäre zu tun? Um Hochwassergefahren wirksam zu verringern, muss den Flüssen mehr Raum gegeben werden. Das sollte eigentlich allgemeine Erkenntnis sein!
Nach Angaben der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe hat die Obere bzw. Mittlere Elbe in Deutschland bis heute bereits 76 Prozent ihrer Überschwemmungsflächen verloren.
Das natürliche Rückhaltevolumen hat sich damit um 2,3 Mrd. Kubikmeter verringert. Mit gravierenden Folgen: die Fließgeschwindigkeit erhöht sich und die Hochwasserscheitel fallen höher aus und treten eher ein.
Diese Erkenntnisse sind aber nicht neu. Unmittelbar nach der Flut 2002 waren sich alle Experten und politischen Entscheidungsträger einig, dass die Hochwasserereignisse bei zukünftig häufigen Wetterextremen steigen werden und deshalb unbedingt großflächig Rückhalteflächen durch Deichrückverlegungen und Polder geschaffen werden müssen.
Leider beweist die Praxis des zuständigen Sächsischen Umweltministeriums seit Jahren mangelnden Mut zur Umsetzung dieser Erkenntnisse in die Tat.
Bereits bei der ersten fachlichen Betrachtung der Sächsischen Hochwasserschutzpolitik im Jahr 2008 durch den World Wilde Life Fund Deutschland wurde darauf hingewiesen, dass zum Beispiel an der Elbe nur weniger als ein Prozent der verloren gegangenen Rückhalteflächen auf Eignung zum Hochwasserschutz überprüft wurden.
In der Studie wird resümiert, dass die bisherige Sächsische Hochwasserschutzpolitik überwiegend auf Bestandserhaltung alter Deiche setzte. Dieser Trend hält leider und unverständlicher Weise bis heute an.
Es findet im Freistaat weder ein Retentionsraumausgleich statt, noch werden ausreichend neue Retentionsflächen geschaffen. Dieses sowie Deichrückverlegung und Polderbau sind zwar in den aktuell gültigen Hochwasserschutzkonzepten vorgesehen, werden aber fast nicht umgesetzt.
Die ausführende Landestalsperrenverwaltung setzt vorrangig auf technische Maßnahmen, wie den Deich- und Mauerbau wofür allein an der Elbe und ihren Nebenflüssen zwischen 2003 und 2005 eine Summe von 228 Mio. Euro ausgegeben wurde.
Nach Medienberichten wurden nach 2002 an Elbe und Mulde gar 350 Mio. Euro in den technischen Hochwasserschutz investiert. Diese fast rein technische Ausrichtung des Hochwasserschutzes in Sachsen birgt neben Naturzerstörungen und Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes auch regelmäßig die Gefahr von weiteren Verengungen des Abflussprofils, wie derzeit beim Bau einer Hochwasserschutzmauer an der Flöha in Olbernhau.
Aktuell droht im Osterzgebirge neuer Ungemach in Form von überdimensionierten und überteuerten Hochwasserrückhaltebecken. Die Planungen lassen naturnahen, ökologisch ausgerichteten Hochwasserschutz, der zudem deutlich billiger wäre, keine Chance.
Das mit 31,4 Mio. Euro teure Projekt in Bielatal/Bärenstein zerstört ein weiteres Stück einzigartiges Osterzgebirge. Das ist ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.
Im Sächsischen Wassergesetz ist von einem Aktionsplan die Rede. Er soll die Grundsätze und Ziele des Hochwasserschutzes als Gesamtkonzept für den Freistaat darstellen und eigentlich schon vor 2002 vorliegen.
Dann kam das Hochwasser und alles wurde anders. Hochwasserschutzkonzepte kamen, aber wesentlich kleinteiligere. Auf ein Gesamtkonzept, wie es das Gesetz vorsieht, warten wir noch heute.
In den für Sachsen wohl bisher erstellten 47 Hochwasserschutzkonzepten sind 1596 Maßnahmen dem technischem Hochwasserschutz vorbehalten und lediglich neun Maßnahmen dienen Rückdeichungen.
Die wenigen bestehenden größeren Planungen sind in der Regel, abgesehen von der Rückhaltung „Zwenkauer See“, nicht realisiert worden.
Sehr geehrter Minister Kupfer, eine Änderung der Prioritäten gäbe Ihnen ein probates Mittel der Einsparung für den nächsten Haushalt in die Hand – nutzen Sie es.
Nutzen Sie auch zukunftsfähige Methoden beim Management der Rückhalteflächen. Auch das wird billiger als die Unterhaltung von Deichen und Schutzmauern. Wir schlagen Ihnen dazu vor, ein Kataster nach dem Vorbild des Ökokonto- und Kompensationsflächenkatasters zu entwickeln.
Ich will dem Bericht, den wir mit unserem Antrag erbitten, nicht vorweg greifen, aber allen uns vorliegenden Informationen zufolge findet eine langfristig erfolgreich wirkende Hochwasserschutzpolitik in Sachsen derzeit nicht statt. Durch technische Bauten wird das Hochwasserrisiko an den Flüssen von den Oberliegern an die Unterlieger weitergereicht und nicht grundlegend verringert.
Zudem ist in der nahen Zukunft zu befürchten, dass wichtige Voraussetzungen für die Deichrückverlegung leichtfertig aus der Hand gegeben werden. Das nach dem Hochwasser 2002 eingeführte Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand nach Sächsischem Wassergesetz soll nach dem Willen der Koalition wieder abgeschafft werden.
Durch die Vertagung des Gesetzes zur „Vereinfachung des Landesumweltrechtes“ erhalten Sie eine letzte Chance, dieses Vorhaben im Interesse von Hochwasserschutz zu stoppen.
Wenn die Koalition an ihrer derzeitigen Hochwasserstrategie festhält und die Hochwasserscheitel nicht in der Fläche absenkt, wird zukünftig vielen von uns das Wasser wieder bis zu den Knien stehen. Das sollten wir mit allen Mitteln vermeiden. Stimmen Sie daher unserem Antrag zu, werte Kolleginnen und Kollegen.