Gisela Kallenbach: Höhere Deiche und ein schnellerer Abfluss des Wassers verlagern die Probleme flussabwärts

Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zur Fachregierungserklärung "10 Jahre nach der Flut – Bilanz und Ziele des Hochwasserschutzes im Freistaat Sachsen", 60. Sitzung des Sächsischen Landtages, 12. Juli 2012, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Herr Staatsminister Kupfer, der unbedarfte Hörer Ihrer Worte zum Hochwasserschutz könnte selbst unter ökologisch-ökonomischer Sicht zur Erkenntnis kommen: Wichtung der Maßnahmen in der richtigen Reihenfolge, Prioritäten richtig gesetzt, Fortschritte erzielt.

Der Abgleich mit der Praxis ergibt ein anderes Bild. "Wir müssen weiter lernen", als Fazit ist mir da zu wenig. Wir bieten Ihnen daher Unterstützung und unsere Vorschläge an, wie man kostengünstiger und tatsächlich nachhaltig Hochwasserschutz und Vorsorge betreiben kann.

Wir wollen alle nicht, dass sich die Ereignisse von 2002 wiederholen. Ich habe die Situation damals fassungslos aus der Ferne beobachtet und war beeindruckt von der bundesweiten Solidarität und Hilfsbereitschaft, die sich bis heute in der Beseitigung der Schäden niederschlägt. Auch meine Fraktion gedenkt mit Trauer der dabei um ihr Leben gekommenen Menschen.

Wir erfahren aber auch, nicht zuletzt durch die Gefahren der vergangenen Woche oder die Ereignisse 2010 und 2011, der Klimawandel ist trotz anderslautender Auffassung der sächsischen FDP im Freistaat angekommen. Notwendig für eine ausreichende Vorsorge und Schutz vor Hochwasser ist eine Gesamtstrategie des Freistaats, nicht nur eine des Umweltministeriums.
Es konterkariert bspw. dessen Maßnahmen, wenn gleichzeitig in der Verkehrs- oder Raum- und Stadtentwicklungspolitik großflächige Versieglungen be- und gefördert werden.

Erheblich verbessert haben sich die zunehmend abgestimmten internationalen Bemühungen, z.B. bei der Elbe. Die Abschlusskonferenz des EU geförderten LABEL-Projektes vor wenigen Wochen im Landtag kann dafür als Beleg gelten.
Auch bei der Koordinierung der Hochwasserwarnungen mit den Nachbarländern gibt es Fortschritte, ebenso wie bei der neu vorgeschlagenen Regelung im Sächsischen Wassergesetz.
Dennoch wird im Umweltministerium bei Hochwasserschutz noch viel zu sehr auf die Errichtung von Bollwerken gegen die Wassermassen gesetzt. Das halten wir für falsch.

Da nutzt es auch nichts, Herr Kupfer, dass Sie in Ihrer Rede den technischen Hochwasserschutz erst an dritter Stelle nennen. Die nackten Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Die 47 Hochwasserschutzkonzepte mit 1.600 Einzelmaßnahmen beschäftigen sich nahezu ausschließlich mit einer Vielzahl von technischen Maßnahmen, wie Flutmauern, Deicherhöhungen und Deichertüchtigungen, Objektschutzmaßnahmen, Brückendurchlässen, Straßenerhöhungen uvm.

Wir meinen, der Wasserrückhalt in der Fläche muss in der Praxis viel stärker in den Fokus gerückt werden. "Den Flüssen mehr Raum geben", darf kein inhaltsleerer Slogan bleiben.
Sachsen hatte mit der Planung von insgesamt 49 Deichrückverlegungen von jeweils mehr als fünf Hektar Retentionsraumgewinnung ein weitreichendes Konzept vorgelegt, das wir durchaus positiv bewertet haben.

Aber das weithin beklagte Kurzzeitgedächtnis für Hochwasserereignisse hat auch vor der Regierung nicht Halt gemacht. Bisher wurden von diesen Deichrückverlegungen nur zwei umgesetzt. Anders ausgedrückt: In den letzten zehn Jahren wurde nicht einmal ein Prozent des angestrebten und bitter nötigen Retentionsraums geschaffen.
Auf der anderen Seite wurde fleißig und ausdauernd und viel Geld in den technischen Hochwasserschutz investiert. Bei einigen der realisierten und geplanten Maßnahmen fragt man sich allerdings, ob dabei dem Hochwasserschutz oder der Baulobby gedient wurde.

Technische Schutzmaßnahmen wie Deiche, Betonmauern und -wände, Hochwasserrückhaltebecken, Wehre, Durchlassbauwerke etc. haben eine begrenzte Lebensdauer. Fachleute gehen davon aus, dass die durchschnittliche Nutzungsdauer solcher Bauwerke zwischen 30 und 100 Jahren liegt. Das bedeutet, ein Großteil der Milliardeninvestition muss in absehbarer Zeit erneut investiert werden.
Da ist es wohl ehrlicher, von einer Mehrgenerationen-Aufgabe zu sprechen, schließlich bürden wir den nächsten Generationen die Unterhaltslast auf.
Ein weiterer, nur ungern angesprochener Nachteil des technischen Hochwasserschutzes, ist die zunehmende Flächenversiegelung.

Unsicher ist auch, wie sich die klimatischen Bedingungen in Sachsen in den nächsten Jahren verändern und damit sowohl Art, Auftreten, Häufigkeit und Schwere der Hochwasser beeinflussen als auch Anpassungen der Anlagen notwendig machen. Auch Ihnen muss klar sein, Beton ist nicht flexibel.
Wesentlich nachhaltiger und kostengünstiger ist die Kopplung mit einem Programm für Auenrenaturierung bzw. die Verbesserung der auenökologischen Verhältnisse entlang der sächsischen Flüsse.

In der Hochwasserschutzstrategie des Landes wird in einem Priorisierungsverfahren die Reihenfolge der umzusetzenden Maßnahmen bewertet. Dass der ökologische Aspekt dabei nur mit einem fünf Prozent Anteil an der Gesamtwertung eingegangen ist und die gewässerökologischen Verhältnisse nur sehr grob bewertet werden, verdeutlicht die technokratische Sicht der Staatsregierung.

Die Auen als großflächiger, ökologischer wertvoller und stark bedrohter Lebensraum spielen kaum eine Rolle. Obgleich diese, trotz des meist nötigen Flächenankaufs, langfristig kostengünstiger sind und gleichzeitig die Biodiversitätsstrategie unterstützen würden.
Der mangelnde Rückhalt des Wassers in der Fläche bleibt aus fachlicher Sicht eines der Hauptprobleme bei Starkregenereignissen. Hier anzusetzen, lohnt sich und stünde der weltweit besten sächsischen Staatsregierung gut zu Gesicht.

Laut Landesumweltbericht 2010 betrug die durchschnittliche Flächenneuinanspruchnahme zwischen 2006 und 2009 8,2 Hektar pro Tag. Das sind acht Fußballfelder. Trotz sinkender Bevölkerungszahl bleibt der Flächenverbrauch damit ungebremst hoch. Das hat verschiedene Ursachen: parallel zum teuren Wohnungsabriss gab es eine hohe Neubauquote, auch in kommunalen Randlagen auf der "Grünen Wiese". Während ca. 80.000 Wohnungen gefördert rückgebaut wurden, entstanden 45.000 neu, häufig mit Fördermitteln zu Lasten unseres Bodens. Zudem setzt die Koalition weiterhin auf ungebremsten Straßenneubau.

Dabei ist es so einfach: Versiegelter Boden kann seine Funktion für die Wasseraufnahme nicht mehr erfüllen.

Auch die Hochwasservorsorge an Gewässern II. Ordnung hat regional sehr unterschiedliche Priorität.
Soll der Schutz vor Hochwasser wirksam sein, muss er in den Quellgebieten ansetzen, auch wenn die Schäden in den unteren Tallagen auftreten. Deshalb müssen sich die Kommunen, die von Hochwasserschutzmaßnahmen außerhalb ihrer Gemeindeflur profitieren, solidarisch finanziell beteiligen. Daher begrüßen wir die nunmehr nach dem Vorbild anderer Bundesländer vorgesehene Bildung von Gewässerunterhaltungsverbänden.

Im rechtselbischen Bereich haben einige Flüsse und Bäche ihre Quellen und Oberläufe in Tschechien, Nebenflüsse der Neiße auch in Polen. Oft ist großflächiger Rückhalteraum auch nur in diesen Ländern zu finden. Daher ist die transnationale, eng abgestimmte und gemeinsam finanzierte Zusammenarbeit ohne Alternative.

Auch aus GRÜNER Sicht ist die Eigenvorsorge eines der wichtigsten Elemente zur Begrenzung von Hochwasserschäden. Insbesondere in Gebieten mit häufigen Hochwasserereignissen und geringen Überflutungsflächen ist die Bauvorsorge wichtig. Am effektivsten ist allerdings die Bauverhinderung. Da wir auch um die Einflüsse von Klimawandel, Grundwasseranstieg, Versiegelung usw. wissen, sehen wir in Einzelfällen den Freistaat in der Pflicht, Betroffenen finanzielle Unterstützung zu gewähren.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
Höhere Deiche und ein schnellerer Abfluss des Wassers verlagern die Probleme immer nur flussabwärts. Die Gewalt der Wassermassen wächst. Aus dieser Spirale müssen wir ausbrechen, und das geht nur mit einer nachhaltigen naturnahen Hochwasserpolitik, die auf Wasserrückhalt, Wasserspeicherung und langsamere Abflussgeschwindigkeiten setzt. Dafür brauchen wir die nötigen Flächen, die nötigen Mittel und ein ressortübergreifendes, stimmiges Konzept. Dafür werden wir weiter eintreten.

Hintergrund:
Änderungsantrag der GRÜNEN-Fraktion zum Hochwasserschutz