Gisela Kallenbach: Landtag muss den über Einsatz von EU-Fördermitteln mitentscheiden
Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zum Antrag der GRÜNEN-Landtagsfraktion "Einsatz Europäischer Fördermittel 2014-2020 in Sachsen", 55. Sitzung des Sächsischen Landtages, 9. Mai 2012, TOP 11
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
der 9. Mai gehört als Europatag seit 1985 wie die Flagge und die Hymne zu den Symbolen der Europäischen Union. Am 9. Mai 1950 hatte der französische Außenminister Robert Schuman in einer historischen Rede vorgeschlagen, eine Produktionsgemeinschaft für Kohle und Stahl zu schaffen, die Montanunion. Schuman gab damit den historischen Anstoß zur späteren Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und heutigen Europäischen Union. Mit ihren 27 Mitgliedsstaaten und einer halben Milliarde Einwohnern ist die EU heute eine weltweit einmalige Union von Staaten und Bürgern. Trotz, oder gerade wegen, all der durchlebten und akuten Krisen beweist die EU ein enormes Potenzial. Europa voranzubringen, kann gleichwohl nicht allein eine Sache der Regierenden sein.
„Wir sind Europa“, mit diesem Manifest zur Neugründung der EU von unten traten auf Initiative von Ulrich Beck und Daniel Cohn-Bendit Anfang Mai rund 80 Intellektuelle an die Öffentlichkeit. Sie schlagen vor, die europäische Bürgergesellschaft durch ein Freiwilliges Europäisches Jahr für alle zu fördern. Ein Europa der tätigen Bürger soll als Gegenmodell zu einem Europa von oben geschaffen werden. Zu den Unterzeichnern gehören auch Jürgen Habermas, Herta Müller, Helmut Schmidt, Gesine Schwan, Klaus Töpfer und Richard von Weizsäcker.
Wir sind Europa – das möchte auch ich als Abgeordnete mit Blick auf die Staatsregierung sagen, die Europapolitik gern als ihren exklusiven Hoheitsbereich betrachtet. Allen ist klar, dass sie bereits an den Operationellen Programmen 2014-2020 zum Einsatz der EU-Strukturfonds arbeitet. Diese Programme sind keineswegs reine Verwaltungsdokumente, weder hinsichtlich der Auswirkungen auf die Kofinanzierung aus dem Landeshaushalt, noch hinsichtlich ihrer politischen Steuerungsfunktion. Ich halte es für ein zentrales Recht dieses Landtags, die Förderpolitik mitzubestimmen.
Ich möchte mir am Europatag vier Visionen zu diesem Thema gönnen:
- Der Landtag wird frühzeitig und umfassend beteiligt. Wir wollen Partnerschaft auf Augenhöhe – für Abgeordnete ebenso wie für die Wirtschafts- und Sozialpartner, Umweltverbände, Kirchen und Kommunen.
- Die Strukturfonds werden als Katalysator für den Übergang zu einer wissensbasierten, postfossilen, sozial integrativen Gesellschaft genutzt.
- Für die integrierte und nachhaltige Stadtentwicklung werden 10 Prozent der Mittel eingesetzt. Die guten Gründe dafür haben wir ja heute Morgen hinlänglich diskutiert
- Alle Fonds werden effektiv miteinander verzahnt und die Abrechnungsmodalitäten vereinfacht.
Meine Kernforderung ist, dass der Landtag einbezogen werden MUSS. Im Gegensatz zu Kammern, Gewerkschaften und Verbänden erhalten wir als demokratisch legitimierte Abgeordnete Informationen nur auf explizite Nachfragen in homöopathischer Dosis. Das ist nicht akzeptabel. Deshalb fordern wir eine seriöse, frühzeitige und umfassende Beteiligung.
Dafür haben wir gute Gründe. 2006 ist meine Fraktion aus Ärger über die Ignoranz der Staatsregierung gegenüber der Budgethoheit des Landtags vor Gericht gezogen. 2008 sprachen die sächsischen Verfassungsrichter: „Die Antragsgegnerin, also der Freistaat, hat gegen das Informationsrecht des Landtages nach der Sächsischen Verfassung verstoßen, soweit sie es unterlassen hat, den Landtag vollständig und rechtzeitig über die Inhalte der Vorschläge für die Operationellen Programme … zu informieren bevor sie die … Programmvorschläge über den Bund bei der Europäischen Kommission… eingereicht hat.“
Das war 2008. Inzwischen trat der Lissabonvertrag in Kraft. Danach werden die nationalen Parlamente, durch diese aber auch in Deutschland die der Länder im Subsidiaritätsverfahren zu allen wesentlichen europäischen Entscheidungen gefragt. Dazu gehören zweifelsfrei die Operationellen Programme, weil es um viel Geld für unseren Haushalt geht.
Abgesehen von juristischen Gefechten bin ich der Überzeugung, die Staatsregierung kann bei einem breiten Beteiligungsprozess an der Planung der Strukturfonds nur gewinnen: sie kann bei vielen Partnern vorhandene Kompetenzen nutzen, die Programme an den Bedürfnissen der „Endabnehmer“ ausrichten und sie qualitativ besser machen.
Viele haben in zurückliegenden Förderphasen erlebt, wie innovativ, integrativ und beteiligungsorientiert Förderprogramme sein können. Ich erinnere an URBAN I und II. Das sind Programme, die mit dem Stadtbild auch die Planungskultur verändert haben.
Daher ist es eine logische Schlussfolgerung und erfreulich, dass die kommunalen Spitzenverbände für die Regionalisierung von Zuständigkeiten und die Einführung von Regionalbudgets votieren.
Die Mittel nach 2013 werden knapper, Konzentration tut not. Dazu haben wir Ihnen konkrete Vorschläge vorgelegt.
Ein integrierter Mitteleinsatz ist aber schwer von den Projektträgern zu erwarten, wenn die Verwaltung selbst nicht entsprechend agiert. Bei meinen Gesprächen mit Wiso-Partnern hatte ich den Eindruck: eine koordinierte Planung der Fonds ist schwer erkennbar.
Ich komme zu einem letzten spannenden Punkt. Sie wissen, dass Leipzig aufgrund seines BIP voraussichtlich als „stärker entwickelte Region“ eingestuft wird und folglich wohl weniger Fördermittel erhält. Die IHK Leipzig fordert, Leipzig trotzdem als Übergangsregion zu behandeln. Die Argumente der IHK sind ganz überwiegend richtig. Ich will sie aber nicht unkommentiert lassen. Richtig ist, Leipzig schneidet trotz seines BIP bei knapp über 90 Prozent in maßgeblichen sozialen Kriterien schlechter ab als die Bezirke Dresden und Chemnitz. Das zeigt, wie wenig das BIP taugt, um die Förderwürdigkeit einer Region zu beurteilen. Die Grünen im EP schlagen seit langem vor, das BIP um soziale Kriterien zu ergänzen. Die konservativen Abgeordneten aber auch unsere Staatsregierung verweigern das. So werden wir bei den EU-Mitteln höchst wahrscheinlich ein Fördergefälle zwischen Leipzig auf der einen, Chemnitz und Dresden auf der anderen Seite erleben. Ich fordere daher die Landesregierung auf, bereits jetzt zu prüfen, ob die Bereitstellung anderer Mittel aus dem Landeshaushalt möglich ist, um Leipzigs Verluste auszugleichen.
Wie die Regionalpolitik insgesamt finanziert wird, ist aber nicht zuletzt von der Bereitschaft der Bundesregierung abhängig, ihren Beitrag zum EU-Haushalt zu leisten. Bisher hört man aus Berlin: bei 1 Prozent ist Schluss. Damit ist aber auch die Finanzierung von Übergangsregionen fraglich. Und das betrifft dann auch Dresden und Chemnitz.
Die Sächsische Landesregierung sollte dringend gegenüber der Bundesregierung darauf hinwirken, die erforderlichen 1,11 Prozent des Bruttonationaleinkommens für den europäischen Mehrjahreshaushalt zur Verfügung zu stellen, ansonsten hat es erhebliche Auswirkungen auch auf Sachsen.