Gisela Kallenbach: Nach dem Hochwasser ist vor dem Hochwasser

Redebeitrag von Gisela Kallenbach zur Debatte zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten "Hochwasser 2013: Helfen – wiederaufbauen – schützen. Gemeinsam für Sachsen!", 78. Sitzung des Sächsischen Landtages, 19. Juni 2013, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

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Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
während im Norden Deutschlands noch viele Menschen bangen müssen, geht es bei uns um das Aufräumen und um die gründliche Analyse. Einige haben leider seht vorschnelle Schlüsse gezogen und unzulässig Sündenböcke identifiziert: Naturschützer würden Gefahren für Menschenleben billigend in Kauf nehmen. Trauriger Höhepunkt im Zuge dieser Anwürfe waren Gewalt und sogar Morddrohungen.So nach und nach wird jedoch klargestellt: Ein besserer Hochwasserschutz ist nicht an einzelnen Bürgerinnen und Bürgern oder Verbänden gescheitert; Frau Hermenau hat Ihnen das verwaltungsverfahrenstechnisch erläutert. An dieser Stelle möchte ich erwähnen: Wir haben in dieser Haushaltsstelle Ausgabenreste von 104 Millionen Euro, also, am Geld hat es auch nicht gelegen. Ich befürchte eher, dass mit dem abfließenden Wasser wieder „Business as usual“ gilt. In schöner Regelmäßigkeit hören wir den altbekannten Slogan: „Den Flüssen mehr Raum geben“ von Wissenschaftlern und Politikern, nur: Schnell wird er wieder vergessen. Das kennen wir seit 1997.Was sind aber die Fakten? Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz bringt es auf den Punkt, wenn sie resümiert: Wir haben uns unsere Hochwasser zum großen Teil selbst gemacht. In Deutschland wurden zwei Drittel der ursprünglich vorhandenen Auen durch Deiche von den Flüssen getrennt. In 15 Jahren ist nur 1 Prozent natürlicher Retentionsraum geschaffen worden. Das hat im Übrigen auch bereits 2008 die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe festgestellt. Kollege Flath, das sind fachliche Ratschläge. Nur werden diese leider in Sachsen nicht so gut und intensiv gehört wie nötig. Dabei haben wir als Fraktion in schöner Regelmäßigkeit – 2010, 2011, 2012 – Anträge gestellt, um integrierte Ansätze des Hochwasserschutzes mit der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie sowie der Biodiversitätsstrategie in Einklang zu bringen.Natürlich bringen technische Deichanlagen und Schutzmauern örtliche Entlastungen.Aber sie verschieben doch das Problem an die Unterlieger, und das, denke ich, ist Kleinstaaterei und zudem unsolidarisch.Seit Jahren fordern wir – Frau Windisch, ich nenne es nochmals – flussgebietsübergreifende Betrachtungen unter Einbeziehung der Gewässer zweiter Ordnung. Das kann nachhaltige Lösungen schaffen. Was wir heute brauchen, ist ein nationaler Masterplan Hochwasserschutz – alle Bundesländer zusammen – und eine zeitnahe Vorlage der von der EU geforderten Risikomanagementpläne.In einer von uns in Auftrag gegebenen Studie hat Prof. Dister vom WWF-Aueninstitut bereits 2012 nachgewiesen, dass auch in Sachsen ein Potenzial von circa 20 000 Hektar überflutbarer Aue vorhanden ist, und ich verspreche Ihnen: Wir werden das konkretisieren, obwohl es vielleicht nicht unsere Aufgabe ist. Aber auch das sind wieder die fachlichen Ratschläge, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Allerdings braucht man dazu den Willen, es dann auch umzusetzen, selbst wenn es gegenläufige Interessen gibt.Der Leipziger LIV-Chef erklärte öffentlich, dass ihm 2004 ein Konzept auf den Tisch gelegt wurde – ich frage mich, von wem auch immer – das vorsah, dass 2.500 Hektar landwirtschaftliche Fläche als Auen und Flutungsflächen dienen sollten, und schlussfolgert – ich zitiere – : „Können Sie sich vorstellen, wie viele Agrarbetriebe dadurch kaputtgegangen wären?‘ Herr Bobbe hat dabei wohl nicht bedacht, dass eine solche Fläche in Sachsen innerhalb von zehn Monaten neu versiegelt wird.Herr Zastrow, noch einmal: Auch diese fehlen dann als zusätzliche Flächen, zumindest als Versickerungsflächen, weil Sie gefragt hatten: Wo sind die vorhandenen Flächen? Herr Bobbe spricht zudem von „grünen Fundamentalisten, die den Flüssen mehr Raum geben wollen“. Wahrscheinlich gehören jetzt auch Bundesminister Altmaier oder Thüringens Umweitminister Reinholz dazu, die Deichrückverlegungen bzw. temporäre Flutungen auch auf landwirtschaftlichen Flächen fordern. Noch einmal: Solche Worte fehlen uns aus Sachsen.Ich habe abschließend noch einige Fragen und bitte Sie beide nochmals, gut zuzuhören –  Sie hören ja nicht zu -: Wie ist das mit der Umsetzung in Dresden Laubegast? Herr Zastrow, ich zitiere aus einer Antwort von Frau Orosz an die SPD-Fraktion im Stadtrat von Dresden: „Die Ausschreibung der Planungsleistungen wurde im August 2012 zur Bestätigung vorgelegt. Die LTV hat dem nicht entsprochen. Als Begründung wurden rechtsstreitige Fragen der Zuständigkeit für Unterhaltung,Betrieb der Hochwasserschutzelemente angegeben, zudem offene Rechtsfragen in Zusammenhang mit der Novellierung des Sächsischen Wassergesetzes.“ –  Also nichts von Bürgerbefragung!Was passiert mit dem vom Minister kurz vor 2010 eingeweihten und bis heute wegen unzulässigen Baugrunds sowie Baumängeln nicht funktionstüchtigen, für 38 Millionen Euro gebauten Rückhaltebecken in Rennersdorf?Warum bekennt sich der Freistaat nicht zu einem strikten Bauverbot in Überschwemmungsgebieten? Herr Tillich, Sie machen mir Hoffnung. Das Sächsische Wassergesetz gibt dazu noch die Möglichkeit. Ich hätte noch einige Fragen mehr, die einer gründlichen Analyse bedürfen und eines entschlossenen Handelns im Sinne einer –  hoffentlich ernst gemeinten – Nachhaltigkeitsstrategie für Sachsen.Ich danke.
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