Gisela Kallenbach: Sachsens schwammige Haltung zum Freihandelsabkommen birgt Probleme
Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zum GRÜNEN-Antrag ‚Verhandlungen zwischen EU und USA über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) aussetzen und neu starten‘ (Drs. 5/13838)
93. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13. März 2014, TOP 8
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
zeitgleich zu diesem Plenum bahnen sich wichtige Entscheidungen an: seit Montag verhandeln die USA und die EU wieder über ein Freihandelsabkommen. Verhandelt wird in vierter Runde hinter verschlossenen Türen. Dank der Medien – und der Grünen Europafraktion – ist das Verhandlungsmandat öffentlich geworden – ein guter Grund, das Thema in dieses Haus zu tragen.
Ich verrate hier kein Geheimnis: Ich bin eine überzeugte Europäerin. Aber ich habe auch gelernt, dass es gut und richtig ist, der Kommission aus allen Richtungen frühzeitig auf die Finger zu schauen und die immer größer werdenden Forderungen der Öffentlichkeit unterstreichen das.
Wie steht die Staatsregierung zu diesem Abkommen?
Sachsen hat sich bei einem Entschließungsantrag der Länder Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Bundesrat enthalten.
Minister Martens begründet die Enthaltung damit, dass Sachsen den Verhandlungsgegenstand nicht einschränken wollte.
In der schwammigen Antwort heißt es im Klartext: Die Staatsregierung enthält sich bei der Forderung der Antragsteller, dass auf Sozial-, Umwelt-, Lebensmittel-, Gesundheits- und Datenschutzstandards sowie Verbraucherrechte besonderes Augenmerk gelegt werden muss.
Sie enthält sich, wenn es um das Vorsorgeprinzip geht. Sie enthält sich, wenn besondere Regelungen für den Agrarsektor gefordert werden, vor allem bei Produkten, die in der EU gekennzeichnet werden müssen. Sie enthält sich bei Forderungen nach einer Veröffentlichung des Verhandlungsmandats und transparenter Verhandlungsführung.
Zugestimmt hat der Freistaat im Bundesrat lediglich, dass kulturelle Dienstleistungen ausgenommen werden, weil sie nicht nur Wirtschaftsgüter seien. Das ist doch alles in allem eine sehr schwache Performance. Wir hoffen, mit unserem Antrag zu einem Umdenken in der Staatsregierung beizutragen! Nötig scheint’s.
Selbst die Bundesregierung wagt sich ja inzwischen, Bedenken zum Abkommen zuzugeben. Ein internes Dokument der Umweltministerin zitiert Befürchtungen vom Verkauf nicht gekennzeichneter Genpflanzen oder der Behandlung von Tieren mit Wachstumshormonen. Da sind wichtige europäische Standards in Gefahr!
Befürworter des Abkommens versprechen steigendes Wachstum, sinkende Kosten, Zollabbau und einen Aufschwung des Handels auf beiden Kontinenten. 400.000 Arbeitsplätze in der EU! Wer könnte was dagegen haben?
Bertelsmann-Stiftung und ifo-Institut kalkulieren 110.000 bis 180.000 neue Jobs in Deutschland, bezogen auf 15 Jahre. Das sind 12.000 pro Jahr. Das wäre nicht einmal ein halbes Prozent der Beschäftigungsquote in Deutschland. Ist dieser bescheidene Effekt einen so hohen Preis wert?
Abgesehen von vagen Prognosen wird das Abkommen DIE „Sternstunde der Lobbyisten“. Ein Vorgeschmack gefällig? Eine Europa-Abgeordnete schilderte im ARD-Magazin Monitor, dass sie jetzt schon von Kommissionsmitarbeitern gebeten wird: „Bitte lehnt das Gesetz zum Klonen nicht ab, sonst brechen die Amerikaner die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen ab.“
Die Lobbyisten müssten künftig vor jeder Gesetzesinitiative gefragt werden, welche Auswirkungen diese auf den transatlantischen Handel hätte. Dann können wir alle nach Hause gehen. Politik machen die Konzernchefs selbst, wenn das Abkommen in Kraft tritt.
Das Verhandlungsverfahren verletzt grundlegende demokratische Regeln. Warum wollte die Kommission ein geheimes Verhandlungsmandat? Das nützt den 600 „Stakeholdern“ aus der Wirtschaft, die jetzt mitverhandeln, denn sie kennen es. Parlamentarier sollten wie Kinder zu Weihnachten vor der Tür bleiben. Stellen Sie sich künftig so ein demokratisch legitimiertes politisches Handeln vor? Ich mir nicht.
Das Freihandelsabkommen ist so brisant, weil es vor allem die sogenannten „nichttarifären“ Handelskosten senken soll. Wertvolle europäische Errungenschaften in den Bereichen Arbeit, Umwelt, Landwirtschaft, Rechts-, Daten- oder Verbraucherschutz werden im Handstreich zu Hindernissen des Freihandels. Sie sollen nur noch Verhandlungsmasse sein, um Interessen in anderen Bereichen durchsetzen zu können? Das kann doch nicht sein!
Was bedeutet es nun konkret, wenn europäische Standards nichts mehr gelten? In der EU ist es zum Beispiel Aufgabe der Industrie nachzuweisen, ob ein chemischer Stoff unschädlich ist. In den USA liegt die Beweislast beim Staat. Ganze fünf Chemikalien sind derzeit verboten – Asbest, dessen Einsatz in der EU seit Jahren streng untersagt ist, gehört nicht dazu.
Amerikanischen Unternehmen ist besonders die europäische Klimapolitik ein Dorn im Auge. Die Luftfahrtbranche will verhindern, sich dem EU-Emissionshandel unterwerfen zu müssen. Flugbedingte CO²-Abgaben senken die Gewinne.
Die amerikanische Agrarlobby droht, das Freihandelsabkommen platzen zu lassen, wenn Europa seine Märkte nicht für US-Agrarprodukte öffnet. Für die europäische Landwirtschaft wäre dies das Ende der noch vorhandenen vielfältigen Agrarstruktur. In Europa arbeiten derzeit 13 Millionen Bauern. Die Amerikaner haben vergleichbare Flächengrößen, aber nur 750.000 Farmer.
Das Freihandelsabkommen bringt uns Fracking durch die Hintertür. Als prominenter Gegner hat sich jüngst EXXON-Chef Rex Tillerson geoutet. Sein Konzern „frackt“ so gern wie kaum ein anderer. Sein eigenes, beschauliches Anwesen bei Dallas möchte der Manager allerdings verschont wissen. Er klagt gegen das Fracking vor der eigenen Haustür.
Damit sind wir bei den Investitionsschutzabkommen. Die außergerichtliche Investor-Staat-Schiedsverfahren – das klingt unspannend, ist aber ein Sprengsatz, weil die Konzerne auf Entschädigung klagen können, wenn ihnen staatliche Auflagen für Verbraucher-, Umwelt- oder Gesundheitsschutz den Unternehmensgewinn zu schmälern drohen.
Seit den 90er Jahren sind bilaterale Investitionsabkommen (Bilateral Investment Treaty, BIT) zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sehr en vogue. Allein die Bundesrepublik ist Partner in 131 Verträgen, mit Ländern von A wie Afghanistan bis Z wie Zentralafrikanische Republik reicht die Liste auf der Homepage des Wirtschaftsministeriums.
Das einst gute völkerrechtliche Instrument hat sich zu einer lukrativen Einnahmequelle für Unternehmen und ihre hoch bezahlten Anwaltskanzleien entwickelt. Während 1989 ein einziges Verfahren anhängig war, wurden 2012 über 500 Investorenschutzklagen eingereicht.
Ein prominentes Beispiel ist die Klage von Vattenfall. Der Konzern reichte Mitte 2012 seine Schiedsgerichtsklage gegen Deutschland ein und verlangt 3,7 Milliarden Dollar Entschädigung, weil zwei Atomkraftwerke vorzeitig vom Netz mussten. Rechtsgrundlage ist die Energie-Charta, ein internationales Investitionsschutzabkommen, das Investoren das Recht gibt, vor ad hoc eingesetzten internationalen Schiedsgerichten gegen staatliche Maßnahmen zu klagen. Das Urteil Vattenfall gegen Bundesrepublik Deutschland wird 2016 erwartet und ohne Revision gültig sein.
Auch wenn der EU-Handelskommissar die Frage des Investorenschutzes zunächst aus den Verhandlungen ausklammert und drei Monate für Konsultationen einräumt: die Kuh ist noch lange nicht vom Eis. Es liegt auch in der Verantwortung der Sächsischen Landesregierung zu handeln.
Deshalb bitten wir hiermit um Zustimmung zu unserem Antrag, die Verhandlungen über den Bundesrat zu stoppen und – wenn sich die Freihandelszone als sinnvolles Instrument erweisen sollte – mit Rücksicht auf die im Antrag genannten Forderungen neu zu starten.
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