Gisela Kallenbach: Soziale Aspekte müssen in der Europäischen Union die gleiche Priorität bekommen wie Wirtschaft und Handel
Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zum Antrag "Sachseninitiative für eine notwendige Weiterentwicklung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hin zu einer Europäischen Sozialunion" (Drs. 5/12991), 86. Sitzung des Sächsischen Landtages, 28. November 2013, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
————————————————————————————
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
grundsätzlich unterstützen wir als GRÜNE ein starkes Europa – und das ist ohne europäische Sozialunion nicht zu haben. In Sonntagsreden wird das europäische Sozialmodell als beispielhaft gewürdigt, aber soll es mehr als ein Papiertiger sein, ist die Harmonie schnell verflogen.
Obwohl die Angleichung sozialer Standards schon früh zu den Zielen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zählte, sind die nationalstaatlichen Interessen und Vorbehalte sehr ausgeprägt. Mehr noch: Manche Mitgliedsstaaten und Regionen betrachten niedrige soziale Standards und Steuerdumpingangebote als Wettbewerbsvorteil beim Kampf um heiß umworbene Investoren.
Bundespräsident Joachim Gauck gebrauchte in seiner Europarede mahnende Worte: "Europa braucht jetzt nicht Bedenkenträger, sondern Bannerträger, nicht Zauderer, sondern Zupacker, keine Getriebenen, sondern Gestalter."
Das Europäische Haus muss wieder in Ordnung gebracht werden. Das geht nicht ohne mehr Kompetenzen für Europa.
Den EU-Gremien fehlt nicht nur die Zuständigkeit für Sozialpolitik. Wir sind auch Meilen von einer wirklichen Wirtschafts- oder Währungsunion entfernt, weil die Nationalstaaten es so wollen. Wer möchte, dass Europa auch künftig die gesellschaftliche Entwicklung in der Welt mitbestimmt, muss für ein gestärktes Europa eintreten.
Eine Sozialunion bekommt Europa aber nicht ohne Vertragsänderungen und die erfordern Einstimmigkeit im Rat und die Mitentscheidung des Parlamentes.
Diesen langen Weg vorzubereiten, dazu soll also der vorliegende Antrag dienen. Er scheint auf den ersten Blick ambitioniert. Auf den zweiten aber nimmt er nur die ohnehin bescheidenen Forderungen der EU-Kommission auf.
Fast 27 Millionen Arbeitslose in der EU, höchste Werte bei der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit, steigende Kinderarmut. Richtig ist die Analyse, aber die Maßnahmen bleiben bescheiden: Besseres Monitoring und erhobene Zeigefinger in Richtung Wirtschaft werden wenig gegen Sozialdumping ausrichten.
Auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss kann diese Selbstbeschränkung der Kommission nicht verstehen. Er fordert, sozialen Aspekten die gleiche Priorität wie dem Binnenmarkt zu geben, das Kommissionspapier sei dabei lediglich ein "erster Schritt".
Summa summarum: Wir sind von einer Sozialunion noch sehr, sehr weit entfernt. Leider hat die EU-Kommission nicht einmal vertraglich mögliche Instrumente genutzt, wie die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung. Die hätte kurzfristig helfen können, europaweit die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die Kommission schiebt sie auf die lange Bank und die Mitgliedsstaaten mauern.
Nun ist sicher korrekt, dass die deutschen Arbeitslosenzahlen gesunken sind. Wir haben mehr Jobs, aber auch mehr Armut. Das Armutsrisiko der 55-64jährigen Deutschen ist laut aktueller Statistik "deutlich gestiegen". Unter den jungen Erwachsenen ist "jeder Fünfte armutsgefährdet". 1,3 Millionen Lohnempfänger müssen mit ALG II aufstocken.
Die EU-Kommission prüfte jüngst den deutschen Haushaltsplan und setzte die Bundesrepublik auf den letzten Platz in der "Reformtabelle". Zu wenig wird in Bildung und Forschung investiert, die Abgabenlast für Geringverdiener wurde nicht verringert, das Steuersystem bleibt ineffizient. Ja, alle müssen Hausaufgaben machen, auch selbst ernannte Musterschüler.
Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen möchte ich abschließend sagen: Europapolitisch bleibt der Großen Koalition viel Luft nach oben. Dass die neue Regierung auf eine Vertiefung der Europäischen Union in Richtung Sozialunion hinwirken wollte, davon liest man im aktuellen Entwurf: NICHTS.
Vielleicht hilft wenigstens dieser Ruf aus Sachsen, um darauf aufmerksam zu machen. Daher stimmen wir dem Antrag zu.
» Alle GRÜNEN Reden finden Sie hier …