Gisela Kallenbach: Stadtentwicklung mit Zukunft braucht strategisches ressort- und Ebenen übergreifendes Denken
Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zur Fachregierungserklärung "Bewahren. Erneuern. Gestalten. – Stadtentwicklung im Freistaat Sachsen", 55. Sitzung des Sächsischen Landtages, 9. Mai 2012, TOP 3
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch im Flächenland Sachsen lebt die Mehrheit der Bevölkerung in Städten. Städte sind gewöhnlich die Orte der Innovation und gesellschaftlichen Entwicklung, aber auch die der sozialen Brennpunkte. Es hat sich nicht erst seit 2007 – als die EU-Bauminister die "Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt" verabschiedeten – herum gesprochen, dass der städtischen Dimension eine besondere Bedeutung zugemessen werden muss. Diese wurde dann folgerichtig bereits in der Förderperiode 2007 bis 2013 in die Strukturfondsverordnung der EU aufgenommen.
Stadtentwicklung heißt eben nicht nur anspruchsvolle Architektur oder denkmalgerechte Sanierung. Stadtentwicklung fordert Sorge für Arbeitsplätze Bildung, Mobilität, Freiraum und Natur, Angebote für Junge und Alte, Kultur, Sport. Dieses Themenspektrum lässt sich fortsetzen und kreiert in der Summe das, wonach die Mehrheit der Bewohner strebt: Lebensqualität.
Diese Botschaft scheint auch – zumindest verbal- in Sachsen angekommen zu sein. In vielen Teilen kann ich Ihnen, Herr Staatsminister zustimmen. Sie haben eingangs beschrieben, welche gewaltige Entwicklung sich in den letzten 22 Jahren vollzogen hat. Jedem, der daran Zweifel hat, dem empfehle ich die erneute Ansicht des Filmes „Ist Leipzig noch zu retten?“ aus dem Jahr 1989. Sie haben auch beschrieben, dass noch große Herausforderungen vor uns liegen.
Der demografische Wandel, knapper werdende öffentliche Finanzmittel, soziale Disparitäten und real existierende Klimaveränderungen erfordern komplexe Strategien. Der entscheidende Schlüssel ist die integrierte, nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung- da stimmen wir überein.
Aber: – nun kommt es: Herr Minister, Sie haben viele gute, theoretische Botschaften gesendet. Ihre konkreten Vorschläge, wie und wo Sie die Rolle des Landes bei der Unterstützung der Kommunen sehen, sind jedoch unzureichend.
Ich beginne mit dem Schluss Ihrer Rede. Ganze 10 Zeilen Ihrer 30 Seiten widmen Sie der EU. Dabei gibt diese Ihnen eine entscheidende strategische Unterstützung an die Hand und das bereits seit 2007. Es ist der Freistaat, der bisher entscheiden konnte, wie viele Mittel in die Integrierte, nachhaltige Stadtentwicklung fließen. Die – allerdings noch vor Ihrer Amtszeit – dazu getroffenen Entscheidungen kann ich weder als beispielgebend noch als problemorientiert bezeichnen.
Von den im Zeitraum 2007 bis 2013 insgesamt in Sachsen zur Verfügung stehenden 3 Mrd. gab es 110 Mio. Euro für die Stadtentwicklung und für die „Brachflächenrevitalisierung“ 50 Mio. Euro. Das sind zusammen nur reichlich 5 Prozent. In NRW wurden zum Vergleich: 30 Prozent der Mittel dafür ausgegeben.
Und noch ein Vergleich: Allein 18 Prozent der sächsischen EFRE-Mittel, das ist knapp eine halbe Milliarde, wurden für Straßenverkehrsinfrastruktur – konkret den Bau immer neuer (in der zukünftigen Unterhaltung nicht mehr bezahlbarer) Staatsstraßen – ausgegeben. 150 Mio. Euro sind schlichtweg nur ein Drittel!
Bereits zur Diskussion des letzten Haushaltes hatten wir die Umwidmung von bescheidenen 10 Mio. Euro innerhalb des EFRE-Programms für ´Nachhaltige Stadtentwicklung´ gefordert. Die Ablehnung unseres Antrages war ein Beispiel von vielen, das den von Ihnen heute beschriebenen Forderungen diametral entgegensteht.
Sie bekommen aber eine neue Chance, Herr Minister.
Die Phase der Erstellung der Operationellen Programme für die Förderperiode 2014 bis 2020 hat begonnen. Wir kommen heute darauf noch mit unserem Antrag zurück.
Nach der bisher vorliegenden Richtlinie der EU sollen zukünftig mindestens 5 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel für die nachhaltige Stadtentwicklung angelegt werden. Sie haben es jetzt in Ihrer Hand, diesen Prozentsatz wesentlich zu erhöhen. Ich weiß, es wird nicht leicht werden im Kampf um die Begehrlichkeiten, insbesondere mit Ihrem Kollegen Wirtschafts- bzw. Straßenbauminister Morlok. Dennoch, es ist Ihre Pflicht, wenn Sie Ihre heutigen Worte ernst meinen. Unserer Unterstützung können Sie gewiss sein. Ich appelliere an dieser Stelle auch an die Koalition. Geben Sie Herrn Ulbig nicht nur blumige verbale Unterstützung, sondern erkennen auch Sie, dass sich die zukunftsfähige Entwicklung Sachsen in den Städten mit ihrem Umland entscheidet.
Eine weitere Forderung möchte ich Ihnen, Herr Staatsminister, mit auf den Weg geben: beziehen Sie bei diesem Verteilungskampf die Kommunen ein. Sie sind wichtige Partner und die Akteure vor Ort. Sie haben in Ihrer Erklärung zwar die Bedeutung der Bürgerbeteiligung ausdrücklich betont, die direkte Einbeziehung der Kommunen bei der passgenauen Entwicklung von geeigneten Förderprogrammen und auch der Erstellung der neuen Operationellen Programme habe ich aber schmerzlich vermisst. Die Kommunen werden Ihnen auch vermitteln, wie und wo der Freistaat die Voraussetzungen schaffen kann, die verschiedenen Förderprogramme von EU, Land und Freistaat sinnvoll zu verknüpfen und flexibel zu gestalten – nur müssen sie auch eine Stimme bekommen.
Die Kommunen werden auch Ihre Unterstützung brauchen, wenn es um die energetische Sanierung von Gebäuden geht. Nach Ihren Aussagen arbeiten Sie an einem „Klimapakt Städte- und Wohnungsbau“. Das ist zu begrüßen. Sie nennen als Partner die Wohnungswirtschaft und andere Verantwortliche. Ich kann nur vermuten, dass sich dahinter auch die Kommunen verbergen. Allerdings, auch das sagen sie: Energetische Sanierung, Klimaschutz kosten Geld. Das jetzt aber nicht auszugeben, wird noch sehr viel mehr Geld kosten! Ich darf Sie an dieser Stelle an den Bericht des ehemaligen Chefökonomen der Weltbank, Nicolas Stern, erinnern.
Momentan wird in Sachsen erst jede hundertste Wohnung pro Jahr saniert- und das auch nur vorwiegend durch das dankenswerte Engagement der Wohnungsbaugenossenschaften und – gesellschaften. Die Staatsregierung ist von ihrem Ziel, einer jährlichen Sanierungsquote von 2 Prozent, meilenweit entfernt und wird dem europäischen Vorschlag von 3 Prozent auch nicht annähernd gerecht. Das ist aber eine Mindestvoraussetzung, um den sächsischen Beitrag zur Erfüllung der Klimaschutzziele zu leisten. Setzen Sie dafür wirklich Fördermittel ein – es zahlt sich aus, weil vielfältige Belege beweisen: jeder Euro staatlicher Förderung löst private Investitionen von 7 bis 8 Euro aus.
Schaut man die von Ihnen stolz genannte Zahl von bewilligten 100 Mio. für Energetische Sanierung von Wohngebäuden genauer an, stellt man fest: 99,5 Prozent für Darlehn und 0,5 Prozent für Zuschüsse! Da relativiert sich das Engagement doch gewaltig.
Beim Geldausgeben orientiert man sich gerne auch an Vorbildern. Also schauen wir mal, was der Freistaat selbst macht. Er besitzt etwa 5.200 Gebäude. Davon sind 1.700 Gebäude – also fast ein Drittel – nach Angaben der Staatsregierung in unsaniertem Zustand. In den Jahren 2007 bis 2010 wurden im Schnitt nur 27 Gebäude saniert. Dies ergibt eine Sanierungsquote von nicht einmal 0,6 Prozent pro Jahr. Da kann man wahrlich nicht von einer Vorreiterrolle, geschweige denn Vorbildwirkung, reden.
Eine Energetische Sanierungsoffensive muss beim Freistaat beginnen und sowohl private als auch kommunale Vermieter finanziell unterstützen. Dazu hatte unsere Fraktion – auch wiederum zur letzten Haushaltsberatung – ein ökologisches und soziales Investitionsprogramm auf den Weg bringen wollen. Leider fehlte uns auch hier die Unterstützung von Koalition und Regierung. Vielleicht können Sie, Herr Staatsminister Ulbig, ja diesen Vorschlag nochmals durchdenken, damit Sie dem Inhalt Ihrer heutigen Erklärung gerecht werden.
Ich komme nunmehr zu einem Bereich, den Sie heute vollends ausgespart haben. Bei aller Großartigkeit der Entwicklung in unseren Städten, sind dort leider auch die sozialen Disparitäten zuerst sicht- und erlebbar. Kein Wort zu benachteiligten Stadtteilen, die unserer besonderen Fürsorgepflicht unterliegen, kein Wort zu Armut in den Städten, kein Wort zu Problemen mit Drogensucht und Kriminalität. Kein Wort, dass es insbesondere Familien mit wenig Geld sind, die in unsanierten Wohnungen leben.
Hier möchte ich Sie wiederum besonders in die Pflicht nehmen. Der Entwurf der EU-Förderrichtlinien sieht vor, zukünftig wesentlich mehr Mittel für den ESF einzusetzen. 20 Prozent sollen direkt der Armutsbekämpfung dienen und die Aufteilung zwischen EFRE und ESF im Verhältnis 60 zu 40 erfolgen. Nun könnten Sie ausweichen und meinen, das sei nicht Ihr Ressort. Doch: Diese Mittel müssen sinnvoll in eine integrierte städtische Entwicklung fließen. Melden Sie Ihren Bedarf an. Kompensieren Sie die unsäglichen Kürzungen des Bundes beim Programm „Soziale Stadt“ und erklären Sie, dass Quartiersmanagement und Bürgerbeteiligung keine Bespassungsprogramme sind.
Stadtentwicklung mit Zukunft braucht strategisches ressort- und Ebenen übergreifendes Denken. Sie lebt von den kreativen Ideen der Bewohner und braucht den öffentlichen Diskurs. Dieser ist überfällig und alternativlos.