GRÜNER Antrag zu Fachkommission für Personalbedarf im Justizvollzug − Meier: Wir können und dürfen nicht länger zulassen, dass die Folgen des Personalmangels auf dem Rücken der Mitarbeiterschaft, aber auch der Gefangenen ausgetragen werden

Rede der Abgeordneten Katja Meier zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem Titel "Leistungsfähigkeit des sächsischen Justizvollzugs sicherstellen – Einrichtung einer Fachkommission zur Personalbedarfsberechnung"
48. Sitzung des Sächsischen Landtags, 01. Februar, TOP 11, Drs 6/5673

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete,

in den letzten Monaten haben sich in den sächsischen Justizvollzugsanstalten wiederholt dramatische Vorfälle ereignet:

19. Juli 2016, JVA Torgau:
Ein Gefangener versetzte einem anderen während des Aufschlusses derart wuchtige Schläge auf den Kopf, dass dieser wenige Tage später stirbt.
Die notwendige Beaufsichtigung des Opfers im Krankenhaus durch Bedienstete der JVA führte dazu, dass 2 Stationen unter Verschluss bleiben mussten, weil nicht mehr genügend Bedienstete im Hafthaus anwesend waren.

10. Oktober 2016, JVA Zwickau:
Drei U-Häftlinge schmieden einen verheerenden Fluchtplan. Nachdem sie eine Kostklappe und ein Tischbein manipuliert hatten, lockten sie in der Nacht den einzigen Vollzugsbeamten auf der Station an und attackierten ihn aus dem Hinterhalt.
Es ist pures Glück, dass Bedienstete auf anderen Stationen Geräusche gehört und zur Hilfe geeilt sind.
Während der Aufschlusszeit war die JVA unterbesetzt, so stand nur ein Beamter für zwei Stationen zur Verfügung, abwechselnd war daher je eine Station trotz Aufschluss unbeaufsichtigt. Dies machte die Manipulationen erst möglich. In der Nacht waren planmäßig ohnehin nur 4 Beamte für die ganze JVA zugegen.

12. Oktober 2016, JVA Bautzen:
Ein Beamter wird von einem Gefangenen mit der Faust ins Gesicht geschlagen, darin verborgen eine Rasierklinge. Die Wunde des Beamten musste mit 18 Stichen genäht werden. An diesem Tag fehlten in der Frühschicht der JVA Bautzen krankheitsbedingt vier Beamte. Dass sich auf der Station, auf der der Angriff stattfand, überhaupt ein Beamter befand, lag daran, dass andere Stationen, nämlich die für besonders motivierte Gefangene, laut interner Dienstanweisung unbesetzt bleiben dürfen.

Ebenfalls der 12. Oktober 2016, JVA Leipzig:
Den Fall Al-Bakr haben wir heute schon ausführlich besprochen. Die Expertenkommission kommt zu dem Ergebnis, dass seit der Ankunft des mutmaßlichen Terroristen vielfältige Fehler passiert sind und gegen gesetzliche Vorgaben, allgemeine Richtlinien und Weisungen verstoßen wurde. Keine Eingangsuntersuchung beim Anstaltsarzt und keine Sitzwache. Ursache dafür war auch die dünne Personaldecke.

12. Januar 2017, JVA Leipzig:
Ein 28-jähriger Häftling erhängt sich in seiner Zelle. Das Standard-Aufnahmeverfahren in der JVA durchläuft er wenige Stunden zuvor nur sporadisch – wohl aus Personalnot. Obwohl der Gefangene angab, aktuell unter Drogeneinfluss zu stehen, wurde er weder sofort dem Anstaltsarzt noch dem Sozialdienst vorgestellt. Die JVA Leipzig war zu diesem Zeitpunkt schon seit Tagen deutlich überbelegt. Die Personaldecke war – wie es mittlerweile Dauerzustand ist – extrem dünn.

14. Januar 2017, wieder die JVA Leipzig:
Die JVA ist nach wie vor extrem überbelegt. In einer mit vier Häftlingen belegten Gemeinschaftszelle versuchen zwei einen dritten zu erhängen, der vierte stellt sich schlafend.

Und das sind nur die Vorkommnisse, die presse-öffentlich diskutiert wurden. Aber allein diese sechs Vorfälle in nur sechs Monaten machen deutlich, wie desaströs die Personalausstattung in unseren Justizvollzugsanstalten ist. Wir können und dürfen nicht länger zulassen, dass die Folgen des Personalmangels auf dem Rücken der Mitarbeiterschaft, aber auch der Gefangenen ausgetragen werden.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
es ist nicht zu leugnen: die Gefangenenklientel wird zunehmend schwieriger. Drogen, psychische Auffälligkeiten, neue kulturelle Hintergründe und erheblich überbelegte Gefängnisse. All dies führt zu Spannungen unter den Häftlingen und zwischen Gefangenen und Vollzugsbediensteten. Erschwert wird dies durch die uns Allen bekannte personelle Notsituation.

Der jahrelange Personalabbau vor allem im AVD führt die einzelnen Beamten in einen Teufelskreis aus Überlastung und Krankheit. Ist die Beamtin bzw. der Beamte gesund und einsatzfähig, sind Überstunden die Regel, da der urlaubs- oder krankheitsbedingte Ausfall anderer KollegInnen ausgeglichen werden muss. Überstunden auf Dauer führen zur Überlastung, die in Krankheit mündet. Ist man wieder gesund, geht der Kreislauf von vorn los: Überstunden, Überlastung, ungesunde Arbeitsbedingungen. Mich persönlich wundert es überhaupt nicht, dass die Beamten des AVDs im Durchschnitt 35 Tage pro Jahr krankgeschrieben sind.

Auf der anderen Seite braucht es aber auch eine Stärkung der Fachdienste. Die Untersuchungskommission im Fall Al-Bakr hat ausdrücklich die Konzepte zur Suizidprävention in sächsischen Vollzugsanstalten gelobt. Aber was nutzt ein hervorragendes Konzept, wenn kein Personal vorhanden oder greifbar ist, um es umzusetzen? Es muss doch sichergestellt sein, dass das grundlegende Aufnahme-Screening bei jedem einzelnen Neuzugang sofort durchgeführt wird. Wenn dann der Verdacht einer Suizidgefahr aufkommt, muss zumindest ein psychologischer Bereitschaftsdienst existieren, der dem unverzüglich nachgehen kann. Es genügt aber bei Weitem nicht, hier ein paar Stellen im Allgemeinen Vollzugsdienst aufzustocken und dort ein paar PsychologInnen zusätzlich zu engagieren.

Die sächsischen Vollzugsanstalten brauchen eine detaillierte Analyse der jeweils dort anfallenden Aufgaben und des dafür benötigten Personals. Die Bedarfe der Justizvollzugsanstalten an Vollzugs- und Fachdienstpersonal sind verschieden.
Haftanstalten mit Sonderstationen brauchen logischerweise besonders geschultes Fachpersonal. In einer JVA mit einem hohen Anteil an nicht-deutschsprechenden Gefangenen braucht es einen besseren Zugriff auf Dolmetscher. Gefangene, die kurze Strafen verbüßen, benötigen eine andere allgemeine und fachliche Betreuung als solche mit langen Haftstrafen.
Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Um diese konkreten Bedarfe zu ermitteln, fordern wir mit unserem Antrag die Einsetzung einer Fachkommission, die für jede Haftanstalt zunächst untersucht, wie viele Arbeitsstunden für den spezifischen Betrieb der Anstalt insgesamt geleistet werden müssen.
Dabei sind nicht nur bauliche Besonderheiten, sondern auch Mehrbedarfe für bestimmte Gefangenengruppen zu berücksichtigen.
Im zweiten Schritt soll die Kommission prüfen, wie viele Arbeitsstunden die Vollzugsbediensteten unter Berücksichtigung von Ausfallzeiten durch Krankheit, Urlaub usw. durchschnittlich leisten können. So kann die Kommission schließlich ermitteln, welche Mitarbeiter in den einzelnen Haftanstalten benötigt werden und wie die einzelnen Personalbereiche, also Allgemeiner Vollzugsdienst und Fachdienste, personell ausgestattet werden müssen.

In der Stellungnahme zu unserem Antrag führte der Minister noch aus, dass "die Einrichtung einer Fachkommission (…) derzeit als nicht zielführend erachtet wird." Heute, 5 Monate nach der Stellungnahme und nach dem Bericht der Expertenkommission zum Fall Al-Bakr haben Sie einen 4-köpfigen Sonderstab eingerichtet, der u.a. eine fundierte Erhebung zum Personalbedarf durchführen und konzeptionieren soll.

Wieso muss eigentlich immer erst was passieren, bevor Sie zur Einsicht kommen?

Herr Modschiedler wird sich womöglich gleich hier hinstellen und sagen, dass Sie unserem Antrag nicht zustimmen müssen, weil Sie ja schon auf unsere Forderung eingegangen sind. Da kann ich Ihnen jetzt schon erwidern: Nein…ganz so ist es nicht. Ihre Stabsstelle mag gut gemeint sein, aber ich denke, dass es hier Expertise von außen braucht. In der Kommission soll nämlich nicht nur das Personalreferat des Ministeriums vertreten sein, sondern auch VertreterInnen der Anstaltsleitungen, des allgemeinen Vollzugsdienstes, des Hauptpersonalrats, der Fachgewerkschaft und der Wissenschaft. Das dieser Blick von außen gut tut, hat der Bericht der Expertenkommission nur allzu deutlich gezeigt.

Ich bitte Sie also, unserem Antrag zu zustimmen.

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