Hermenau: Nachtragshaushalt vorlegen – Landtag muss über Verwendung der Steuermehreinnahmen entscheiden

Finanzpolitische Stabilität, die die Gesellschaft nicht stabilisiert, ist keine zukunftsweisende Politik. Es reicht nicht, Haushaltsvorsorge zu betreiben und die Gesellschaftsvorsorge abzutun
Redebausteine der Abgeordneten Antje Hermenau zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Nachtragshaushalt vorlegen – Landtag muss über Verwendung der Steuermehreinnahmen entscheiden" (Drs. 5/7634), in der 47. Sitzung des Sächsischen Landtages, 15.12., TOP 8
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
der aktuelle Haushalt wurde vor fast genau einem Jahr beschlossen und soll auch noch etwas mehr als ein Jahr Bestand haben. Inzwischen hat sich die Welt erheblich geändert – auch hier in Sachsen. In Zeiten, in denen unsere Haushaltsplanung schnelllebig, unvorhersehbar und von mehr Akteuren als nur uns selbst abhängig ist, erweisen sich Doppelhaushalte als Politik– und Vertrauensbremse. Da wir aktuell einen Doppelhaushalt haben, ist es vernünftig, einen Nachtragshaushalt auszulegen, um die nötigen Korrekturen vorzunehmen und dem Gesetzgeber seines Budgetrechts nicht zu berauben.
Auch wir würden mindestens 80 Prozent der Mehreinnahmen in Rücklagen stecken. Die Zeiten sind unruhig, das ist erste Finanzministerpflicht. Da ansonsten aber fast alles unterbleibt, was nötig wäre, um im Land trotz schwieriger Lage Handlungsfähigkeit zu beweisen, verkommt Ihre Austerität zum Stillstand, zur Zivilisationsbremse und verliert damit zunehmend an Wert. Finanzpolitische Stabilität, die die Gesellschaft nicht stabilisiert, ja sogar zu destabilisieren beginnt, ist keine zukunftsweisende Politik. Es reicht nicht, Haushaltsvorsorge zu betreiben und die Gesellschaftsvorsorge abzutun.
Diese Regierung wird bis zur Wahl 2014 nicht mehr handeln. Diese Regierung wird sich nicht wirklich darum kümmern, unsere kleine sächsische Schaluppe für die Mehrzahl der Sachsen wetterfest in diesen globalen Stürmen wetterfest zu machen, sondern mit einem in politischer Liquidation befindlichen Koalitionspartner eine Strategie der Machtrettung betreiben, die nicht wirklich im Interesse des Volkes ist. Wir stehen vor drei verlorenen Jahren, nachdem wir schon zwei hinter uns gebracht haben. Sie haben eine falsche Investitionspolitik beschlossen und auf der sitzen wir nun gnadenlos fest, wenn Sie einen Nachtragshaushalt ablehnen. Vielleicht wollen Sie sich diese Möglichkeit ja auch noch offen halten, um das im Sommer für das Jahr 2012 machen, nachdem der Bund einen gemacht hat.
Die politische Angststarre führt in Sachsen bei der CDU zur Minimalstrategie, die Wahlkreise als Direktwahlkreise zu verteidigen. Der Finanzminister lässt sich dafür im Verkehrsbereich ein paar Bändchen abschwatzen, die dann im jeweiligen Wahlkreis durchschnitten werden können. So sehr ich das Einzelinteresse der direkt gewählten Abgeordneten menschlich vielleicht verstehe, so sehr empört es mich politisch, wie Sie damit das Terrain der Staatsräson als die Regierung tragende Koalitionsfraktion so schändlich verlassen.
Wahrscheinlich hat Ihnen Ihr Finanzminister wieder suggeriert, Steuermehreinnahmen stünden nur und ausschließlich für Investitionen im Sinne des Haushaltsrechts zur Verfügung. Das ist natürlich Quatsch. Der Finanzminister mag persönlich dieser Auffassung sein. Aber die Steuermehreinnahmen sind natürlich nicht zweckgebunden, da kann das Parlament verfügen, wie es das für richtig hält! Es ist eben auch eine Investition in die Zukunft, Studienabbrecherquoten zu senken, auch wenn das keine Investition im Sinne des Haushaltsrechts ist. Aber wir schlagen auch jede Menge dieser klassischen Investitionen vor, wenn Sie sich auf die inhaltliche Debatte einlassen. Wenn wir mal mit unserer Grenze von 20 Prozent umgehen, dann liegen wir für das Jahr 2011 bei 130 Mio. Euro und für das Jahr 2012 bei 175 Mio. Euro Da wir nicht wissen, ob und unter welchen Bedingungen für Deutschland die Euro-Rettung gelingt, würde ich für 2012 einen Betrag um die 15 Prozent der Steuermehreinnahmen ansetzen und ebenfalls ca. 130 Mio. Euro zur Verwendung vorschlagen.
Natürlich ist mir klar, dass Steuermehreinnahmen eine unzuverlässige Einnahmequelle sind und keine dauerhaften Ausgaben finanzieren können. Das haben wir auch nicht vor. Wir wollen uns mit der kleinen anteiligen Verwendung von bis zu 20 Prozent eine Übergangssituation schaffen, um die vorgeschlagenen Zukunftsinvestitionen in den Grundhaushalt zu integrieren und ab 2013 auch aus diesem zu finanzieren. Da diese Kürzungen aus den letzten zwei Jahren aber damit begründet wurden, es würde zu wenig Steuereinnahmen in den Jahren 2011 und 2012 geben, ist hier eine entsprechende Zwischenfinanzierung aus Steuermehreinnahmen durchaus vertretbar und verrät politisches Augenmaß unter der Prämisse einer strengen Bewirtschaftung der öffentlichen Gelder.
Die damaligen Kürzungen wurden unter dem Eindruck hoher Einnahmeproblem offensichtlich wenig durchdacht vorgenommen, denn es gibt jetzt jede Menge schlechter Konsequenzen zu beobachten. Unter den Vorzeichen einer anhaltenden Umbruchsituation ist es erst recht wichtig, die schlimmsten Fehler zu korrigieren, z.B. beim ÖPNV, beim Schulhausbau, bei der Gebäudesanierung, im Jugend – und Sozialbereich und beim Studienerfolg.
Das sind wesentliche Grundlagen für stabile Verhältnisse in den nächsten Jahren:
Ihre Entscheidungen für den Straßenbau gegen die Schiene nützen nicht genug Menschen im Freistaat, sondern schließen zu viele Bürgerinnen und Bürger von der Mobilität im ländlichen Raum aus. Die Mobilität ist aber die gelebte Freiheit im ländlichen Raum – ihre eigenen Landräte und Bürgermeister haben Ihnen das immer wieder zu erklären versucht. Sie müssten bei den Regionalisierungsmitteln und dem Landesinvestitionsprogramm für den ÖPNV einen zweistelligen Millionenbetrag in die Hand nehmen, um hier zumindest die größten Fehlentwicklungen zu korrigieren und dem ländlichen Raum ein Angebot für die Zukunft zu machen.
Der Schulhausbau – während im ländlichen Raum die Schülerzahlen ab 2014 stagnieren oder nach unten gehen, werden sie in Leipzig und Dresden auf keinen Fall vor dem Jahre 2030 sinken, wenn überhaupt. Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden sie um mindestens 10 Prozent gestiegen sein. Die CDU bejammert immer den Geburtenrückgang. Wenn zwei Städte in Sachsen aber eine so erfreuliche Entwicklung auf lange Sicht nehmen, dann reicht es nicht, dass die beiden Städte Keller trocken legen und die Mäuse vom Dachboden vertreiben, um Klassenzimmer einzurichten, sondern dann muss auch ordentlich erweitert oder auch mal neu gebaut werden. Wenn man die ausstehenden Investitionsstaus in diesem Bereich realistisch abbilden möchte, muss man ein 8–Jahres–Programm dafür auflegen, dass jetzt noch einmal mit Steuermehreinnahmen angefangen wird und dann 2013 in ein geordnetes Verfahren übergeht, indem andere Aufbau–Ost–Programme, die keine ökonomische Hebelwirkung mehr entfalten, aufgegeben werden und die Kofinanzierungsanteile in dieses Programm gehen. Auch hier wäre eine Anschubfinanzierung für 2012 im zweistelligen Bereich aus den Steuermehreinnahmen nötig, auch, um die Planungsvorläufe zu schaffen.
Für die Erhöhung der Jungendpauschale, die überörtliche Jugendverbandsarbeit und die Wohlfahrtspflege sind noch einmal weniger als 10 Mio. Euro nötig, um erhebliche qualitative Verbesserungen zu erreichen. Ihre Politik folgt auch keiner erkennbaren Linie und schafft eben kein Zukunftsvertrauen: Sie haben nach dem Bekanntwerden des Nazi–Terror–Trios schnell noch eine 1 Mio. für die Programme gegen Rechtsextremismus drauf gelegt. Die mobilen Beratungsteams müssen zum Jahresende aber ihre allgemein anerkannte Arbeit einstellen, weil Sie sie aus ideologischem Eifer zusammen gestrichen haben. Auch diese drastische Fehlentscheidung könnten Sie korrigieren, wenn Sie es wirklich ernst meinen mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus. Und die Wirtschaft wartet darauf, dass dieser anhaltende Imageschaden für unseren Freistaat endlich konsequent beendet wird. Da reicht ein NPD–Verbot in drei Jahren allerdings nicht. das wissen Sie auch, sonst hätten Sie nicht mehr Mittel locker gemacht. Aber die gute Absicht erweist sich als Täuschungsmanöver, wenn Sie zeitgleich die abschaffen, die dieses Geld sinnvoll für diesen Zweck umsetzen können.
Ein ähnlicher Betrag pro Jahr könnte, wie wir schon verschiedentlich ausführten, erheblich dazu beitragen, die Abbrecherquote in den MINT–Studienfächern in etwa zu halbieren. Bei über 30 Prozent Abbrecherquote ist das eine relevante volkswirtschaftliche Größenordnung von mehreren tausend jungen Mathematikern, Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Technikern. Die Wirtschaft sucht händeringend genau solche Leute und würde vielleicht sogar nach beweis der Funktionstüchtigkeit einer solchen Maßnahme schrittweise in die Finanzierung mit einsteigen, was ich akzeptabel fände. Ein solches Pilotprojekt ist zwar teurer als Eierschecke an der Autobahn, aber definitiv Ziel führender.
Je nach Gewichtung der vorgeschlagenen Maßnahmen zur volkswirtschaftlichen Stabilisierung in diesen Zeiten, wäre es mehr als sinnvoll, den Bereich der Gebäudesanierung noch einmal mit einem Impulsprogramm anzugehen. Und ich will auch keine große Summen, weil ich Ihre Einschätzung, Herr Unland, teile, dass eine Überhitzung im Handwerk alles andere als sinnvoll ist. Aber das Handwerk hat diese Initiative begrüßt.
Ihre Haushaltspolitik achtet nicht genug auf solche volkswirtschaftlich–strategischen Partnerschaften in die Gesellschaft hinein. Sie betreiben keine Politik, sondern verstecken sich hinter Ihrer bedingungslosen Austerität wie hinter einer Monstranz. Das bildet aber nur bei wenigen Vertrauen in die Zukunft.     
Das war die politische Begründung für einen Nachtragshaushalt. Nun die haushaltsrechtliche: Bei den angesprochenen Größenordnungen an Steuermehreinnahmen, die in beiden Jahren 5 Prozent deutlich überschreiten, wäre es gegen den Geist der Sächsischen Verfassung, in einem Titel, im EP 15 Kapitel 10, Titel 32501, wie im Haushaltsgesetz vor einem Jahr beschlossen, der Staatsregierung allein eine Verwendungsermächtigung erteilt wird. Da machen Sie mit und dann laufen Sie wieder durch Ihre Wahlkreise und behaupten, Sie hätten da gar nichts machen können. Natürlich können Sie beschlossene Gesetze ändern.