Hermenau zu den Jugend- und Sozialkürzungen: Die Kürzungen im Jahre 2010 sind nicht zwingend, sie sind nicht zwingend!

Redebeitrag der Landtagsabgeordneten Antje Hermenau zum GRÜNE-Antrag „Kürzungen im Jugend- und Sozialbereich aussetzen – transparent und planvoll konsolidieren“ in der 09. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. März 2010, TOP 6

Es gilt das gesprochene Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Frau Neukirch, die Parlamentarier der CDU und der FDP haben noch gar nichts entschieden; die haben von ihrer Regierung zum Teil medienöffentlich nachträglich die Information bekommen, wo gespart wird – das ist ein Unterschied.
Sie denken wirklich, Sie regieren, meine Damen und Herren von der CDU, nicht wahr, Sie denken das? Sie regieren nicht, Sie haben da ein paar Leute in der Regierung sitzen, und das ist ein großer Unterschied. Sie haben darauf verzichtet, als Parlamentarier selbst in dieses Geschehen einzugreifen/Das waren kapitale politische Fehler, die Sie im letzten halben Jahr gemacht haben.
Es war 2009 voraussehbar – Finanzplanungsrat, zwei Steuerschätzungen –, dass es im Jahr 2010 steuereinnahmetechnisch ähnlich schlecht aussehen würde wie 2009. Das war klar, jeder hat es gewusst. Ich habe damals vorgeschlagen, noch im Wahlkampf, also bevor Sie gewählt worden sind, man könnte zum Beispiel überlegen, ob es eine anteilige Vermögensveräußerung geben könnte, um diese Kürzungen, die so planlos verlaufen wie gerade, auszusetzen und nichts machen zu müssen und in Ruhe zu beraten, wie man ab 2011 den Staat Sachsen auf völlig neue Füße stellt, weil natürlich von jetzt ab die Finanzierung bergab geht. Das ist völlig klar. Das haben Sie abgelehnt.
Wir haben hier im Parlament vorgeschlagen, Sie mögen einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2010 machen, damit wir im Parlament beraten können, was Hand und Fuß hat und was Schnaps ist. Aber nein, das haben Sie abgelehnt, dem wollten Sie sich nicht unterziehen. Das sind kapitale politische Fehler, die sich jetzt rächen. 190 Millionen Euro Kürzungen inklusive der Kürzungen im Sozialministerium stehen 2010 in den einzelnen Häusern zur Debatte. Die Staatsregierung hat noch 300 Millionen Euro in Reserve. Ich weiß ja gar nicht, ob Sie das wissen, wenn Sie immer alles aus der Zeitung erfahren, was die so machen. Aber das ist genau der Punkt, verstehen Sie?! Verantwortung, Regieren, Bezahlbarkeit, Seriosität – da müssen Sie einmal selbst anfangen zu arbeiten.
„Sparen ist noch keine Politik“
Da möchte ich kein denkwürdiges Tremolo in der Stimme junger Abgeordneter hören, die hier auf die Bühne geschickt werden, um noch einmal in ihrer Jugendlichkeit Seriosität vorzutäuschen.
„Sparen ist noch keine Politik“ – Zitat eines altgedienten CDU-Parlamentariers der letzten Woche. Ich sage Ihnen, es ist auch keine Stärke, Schwache an die Wand zu drücken, nur weil man zu faul ist, sich mit Details zu beschäftigen oder Verantwortung zu übernehmen.
Es ist verantwortungslos, den strategischen Dialog mit der Bevölkerung nicht zu suchen. Eine Regierung, die weiß, dass sie ab 2011 in der Verantwortung steht, einem Volk klarzumachen, dass die dicken Jahre vorbei sind, kann doch nicht das Jahr zuvor blind und ohne Sinn und Verstand und ohne jeden Dialog mit den Betroffenen einfach mal wild herumkürzen. Damit schaffen Sie keine Basis für eine Verständigung zwischen der Regierung, den Parlamentariern und der Bevölkerung über die nächsten Haushaltsjahre. Das ist ein kapitaler politischer Fehler.
Wissen Sie, ich habe Sparzeiten unter Finanzminister Waigel erlebt, ich habe Sparzeiten unter Finanzminister Eichel erlebt – mal in der Opposition, mal in der Koalition –, ich kenne auch diese ganzen Tremoloreden, ich habe das alles schon gehört.
Die Kürzungen im Jahre 2010 sind nicht zwingend, sie sind nicht zwingend!
Das lege ich Ihnen jetzt dar, weil ich möchte, dass Sie nicht wie der Naseweis auf die Debatte im Parlament verzichten, sondern unserem Antrag folgen, sich jetzt zwei Monate Zeit zu nehmen, sich das genau anzuschauen und dann eine sachkundige Entscheidung zu treffen, um zu heilen, dass Sie auf den Nachtragshaushalt verzichtet haben.
Lassen Sie doch nicht Beamte entscheiden! Dafür sind wir doch vor 20 Jahren nicht auf die Straße gegangen, dass es so kommt.
Sie drücken sich, Sie sagen, Sie kennen keine Tabus beim Sparen. Super, das sagen Sie als Christen; ich bin irritiert. Die Einsparbeiträge im Jahre 2009 unterscheiden sich nicht wesentlich von denen im Jahr 2010. 2009 ging es darum, 119 Millionen Euro in den Häusern einzusparen; 2010 geht es um 190 Millionen Euro – das ist ein bisschen mehr, aber kein dramatischer Unterschied. Im letzten Jahr hatte das Sozialministerium einen Bedarf und hat 55 Millionen Euro Haushaltsreste von 2008 nach 2009 übertragen.
30 Millionen Euro Verstärkungsmittel im Haushalt
Dieses Jahr brauchte es nur knapp 25 Millionen Euro – und das aufzubringen sei nicht möglich, obwohl Haushaltsreste existieren?!
Lassen Sie sich doch von Ihrer eigenen Regierung keinen Bären aufbinden! Oder, wenn Sie es gewusst haben, dann bringen Sie bitte nicht diese besonders brutale Chuzpe hier zutage.
Die Haushaltsrücklage betrug zum 31.12.2009 – wir haben es schriftlich als Kleine Anfrage nachgefragt – 812,4 Millionen Euro. Das sind reichlich 200 Millionen Euro mehr, als der bisherige Kenntnisstand in diesem Parlament war.
Die haben wir also extra. Außerdem sind natürlich noch 30 Millionen Euro Verstärkungsmittel im Haushalt. Das sind in der Summe mehr als 300 Millionen Büro, die erst einmal da sind, ungeplant, mehr, benutzbar – und gebunkert. Es ist nämlich so, dass im Prinzip alle im Finanzministerium wissen, dass im Laufe dieses Jahres ein dreistelliger Millionenbetrag für die Bürgschaftszahlung infolge des Verkaufes der Sachsen LB fällig wird.
Also wird zurückgelegt in der Hoffnung, dass es ungefähr reichen könnte. Die Staatsregierung ist an Transparenz in diesem Verfahren 2010 bei den Kürzungen nicht interessiert, denn sie möchte nicht schon wieder für die Sachsen LB in Haftung genommen werden – auch Ihnen gegenüber nicht. Und Sie lassen sich das gefallen. Das ist Ihre Regierung. Stellen Sie sie, wenn Ihnen das nicht passt, was da gemacht wird; formulieren Sie Ihre eigene Politik und beauftragen Sie die Regierung mit der Umsetzung.
2009 hat das SMF, das Finanzministerium, auch eine Einsparung von 15 Millionen Euro bringen sollen. Das haben die aus den Verstärkungsmitteln genommen; das ist also erlaubt, der Finanz-minister hat es auch gemacht. Dieselbe Keksdose steht Ihnen auch offen, da können Sie ruhig hineinlangen – für das SMS diesmal.
2010 soll das Sozialministerium jetzt 25 Millionen Euro einsparen, und das soll nicht auch als Verstärkungsmittel hinausgehen? Das ist doch absurd, was Sie hier vortragen.
Ich bleibe dabei: Wenn die Bevölkerung Vertrauen in diese Regierung für den schwierigen Weg ab 2011 fassen soll – und es ist Ihre demokratische Pflicht, dafür zu sorgen –, dann jetzt, in die-sen Wochen, im Parlament, mit Engagement als Volksvertreter: Ran an den Haushalt 2010 und den Umgang noch einmal diskutieren, die richtigen Entscheidungen treffen und zeigen, dass Sie sich wirklich die Mühe machen, in jedes Eckchen dieses Landes zu schauen, um keinem unrecht zu tun, nur weil Sie zu faul sind, sich Details anzuschauen!
Die Kürzungen, die Frau Clauß jetzt im Sozialbereich in den Raum gestellt hat, sind weder sozial noch finanzpolitisch logisch
Zu Ihnen, Frau Runge: Sie mussten ja heute noch irgendeinen Vorschlag zur Gegenfinanzierung machen, nachdem das in Ihrem Antrag leider nicht vorgekommen ist: Ich halte überhaupt nichts davon, das sage ich Ihnen ganz offen, die Pro-Kopf-Verschuldung nicht stabil zu halten und da hineinzugehen; das ist absurd.
Wenn Sie für die nachfolgenden Generationen etwas tun wollen, dann halten Sie den Schuldenstand so niedrig, wie er jetzt ist, und versuchen ihn nicht auch dadurch zu erhöhen, dass Sie die Stabilität infrage stellen. Das ist eine Schnapsidee, Frau Runge.
Es kann nicht sein, dass wir den Schuldenberg jetzt anwachsen lassen, indem wir die Pro-Kopf-Ausgleichszahlung nicht mehr vornehmen; das ist verrückt. Genau das ist das Problem mit dem Antrag und warum wir es nötig hatten, einen eigenen zu machen. Es kommt darauf an, dass man das alles mit Augenmaß macht. Es ist jedem im Haus bekannt, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kein Interesse daran hat, eine höhere Neuverschuldung oder eine Erhöhung des bestehenden Schuldenstandes vorzunehmen. Das ist so. Darüber muss man sich natürlich auch einmal unterhalten.
Die Kürzungen allerdings, die jetzt von den Ministerien kommen und was Sie jetzt verlautbart haben, Frau Clauß; die Kürzungen, die Sie jetzt im Sozialbereich in den Raum gestellt haben, sind weder sozial noch finanzpolitisch logisch. Deswegen, meine Damen und Herren, sind sie ideologisch, auch wenn Sie es noch brüsk von sich weisen; das ist Ideologie.
Ich nehme an, es war eine bewusste Entscheidung oder Sie waren nicht informiert. Eines von beidem muss zutreffen; beides spricht nicht für Sie und gereicht Ihnen nicht zur Ehre. Wenn es unbewusst und damit fahrlässig war, ist es eigentlich sogar noch schlimmer.
Die FDP in Sachsen nimmt sich ja nicht viel von der FDP auf Bundesebene. Sie glauben an Ihre Mission – Steuern runter, Ausgaben runter. Die Gesellschaft ist komplexer geworden, und wenn sie komplexer geworden ist, ist sie auch ausdifferenzierter. Das heißt natürlich, dass man genau überlegen muss, wohin
mit dem jedes Jahr steigenden Wohlstand?! Es ist doch nicht so, dass wir noch dasselbe Wohlstandsniveau haben wie in den Sechzigerjahren; deswegen müssen auch die Steuern nicht wieder auf das Niveau der Sechzigerjahre zurück, das ist absurdes Theater. Dieser missionarische Eifer macht Sie blind. Aber offensichtlich sitzen Sie ab und zu mal in einem Irish Pub bei einem Ale und reden sich dann gegenseitig besoffen, wie die Welt sein könnte, wenn es nur FDP gäbe.
Aber wissen Sie, Sie sind eine Minderheit! Sie sind eine Minderheit – und Sie haben keine Mission, Sie haben keine Ahnung!