Herrmann: Hartz IV funktioniert nur, wenn Arbeitsplätze vorhanden sind

Redebeitrag der Landtagsabgeordneten Elke Herrmann zur Aktuellen Debatte „5 Jahre Armutsrisiko Hartz IV und die Staatsregierung verharrt in Untätigkeit“ in der 7. Sitzung des Sächsischen Landtages am 20. Januar 2010 zum TOP 5

Es gilt das gesprochene Wort!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist etwas ungewöhnlich, aber an manchen Stellen sind wir uns durchaus einig. Auch Teile der Linksfraktion werden mir da zustimmen: Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld war notwendig. Das wollen wir auch nicht zurückdrehen. Wir sind uns auch einig, dass wir Veränderungen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende brauchen.
Aber dann hört die Einigkeit auf, weil die Konzepte, die wir uns vorstellen, wie diese Veränderung passieren soll, durchaus ganz unterschiedlich sind. Das reicht von den Vorstellungen, die Herr Rüttgers geäußert hat, also der Grundrevision von ALG II über die Vorstellungen, wie sie Herr Koch geäußert hat, die eine Arbeitspflicht enthalten. Von der FDP gibt es den Vorschlag von Herrn Pinkwart und Herrn Solms, die meinen, dass die Transferleistungen transparenter gestaltet werden sollen. Sie denken in dem Zusammenhang an ein Bürgergeld. Darüber hinaus hat Herr Pinkwart gesagt, dass er die negativen Anreize für Familien abschaffen will. Ich weiß nicht genau, was er damit gemeint hat. Wir waren uns aber hier im Landtag eigentlich einig, dass wir die Grundsicherung für Kinder eher als zu niedrig als für zu hoch bewerten. Das heißt, wenn das Bundesverfassungsgericht entscheiden würde, dass die Kindergrundsicherung angehoben werden müsste, wäre der Anreiz für Familien im Sinne von Herrn Pinkwart eher noch größer.
Wir alle wünschen uns Kinder in diesem Land. Der versteckte Vorwurf in dieser Äußerung von Herrn Pinkwart bedeutet eine Diskriminierung von Menschen, auch von alleinerziehenden Frauen, die aufgrund dessen, dass sie Kinder haben, Familienarbeit verrichten und zu Hause bleiben, auch deshalb, weil sie keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder finden.
Diese Konzepte, die ich hier kurz angerissen habe, müssen wir, wenn wir sie bewerten wollen, danach abfragen, wem sie denn wirklich nützen und ob sie wirklich die Situation der Menschen in Landzeitarbeitslosigkeit verbessern. Das sehe ich nicht bei dem Konzept, das uns die Herren Solms und Pinkwart vorgestellt haben. Wenn wir ein Bürgergeld im Sinne einer negativen Einkommensteuer einführen, dann bedeutet das einfach, dass der Staat einen Teil der Arbeit bezahlt.
Das würde nur gehen – wenn es überhaupt funktioniert – , wenn wir gleichzeitig Mindestlöhne einführen, liebe Kolleginnen und Kollegen. FDP und CDU sind nicht gerade große Vorreiter von Mindestlöhnen. Alle Dinge, die darauf abzielen, wie Hinzuverdienstmöglichkeiten, sind zwingend daran gebunden, dass wir Mindestlöhne einführen. Ansonsten bekommen wir einen Niedriglohnsektor, der dermaßen ausgeweitet ist und vom Steuerzahler finanziert werden muss, nämlich Arbeit, die der Arbeitgeber nicht finanzieren will, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist kein Vorteil für ALG-ll-Empfänger, sondern nur für Arbeitgeber. Daran muss man diese Konzepte messen.
Wenn wir mehr Teilhabe wollen, dann wollen wir nicht nur mehr Teilhabe in materieller Hinsicht, sondern insgesamt mehr Teilhabe an dem, was die Gesellschaft bereithält. Natürlich wollen wir auch, dass Menschen wieder Visionen entwickeln können. Dazu brauchen wir andere Konzepte.
Wir brauchen ganz einfach einen sozialen Beschäftigungssektor. Es ist falsch, in Sachsen diesen abzuschaffen. Das war eine der ersten Handlungen, die die FDP ausgeführt hat. Wir werden ihn aber auf längere Sicht brauchen. Es zeigt sich, dass bestimmte Langzeitarbeitslose nicht in Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Dem müssen wir gerecht werden.
Wir müssen die Förderung durch die Agenturen verändern. Sie muss vielmehr individuell angepasst werden. Wenn wir zum Beispiel an jugendliche Arbeitslose denken, dann müssen wir verzeichnen, dass die Maßnahmen, also die Konzepte, mit denen versucht wird, Jugendliche wieder in Arbeit zu bringen, einfach nicht mehr funktionieren, weil wir Jugendliche haben, die in einem Elternhaus groß geworden sind, in dem die Eltern schon sehr lange arbeitslos sind.
Wir brauchen also viel mehr Motivation. Darauf sind die Maßnahmen der Arbeitsagentur im Moment aber nicht ausgerichtet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb brauchen wir in Beziehung der Förderung ein totales Umdenken.