Jähnigen: Besserer Schutz statt symbolischer Muskelspiele

CDU und FDP wollen von Kürzungen bei der Polizei durch scheinbaren Schulterschluss ablenken
 
Redemanuskript der Abgeordneten Eva Jähnigen zur Aktuellen Debatte „Null Toleranz bei Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte“ in der 8. Sitzung des Sächsischen Landtages am 21. Januar 2010, TOP 1

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

für uns GRÜNE gehört die aktive Ablehnung von Gewalt zum politischen Grundkonsens und umfasst selbstverständlich alle, die sich im Polizeidienst oder in Feuerwehr und Rettungswesen mit Gewalt in vielfältigen Erscheinungsformen auseinandersetzen müssen. Die Kraft von gewaltlosem Handeln haben viele von uns in der friedlichen Revolution 1989 erlebt und diese Erfahrung ist eine wichtige unserer Geschichte.

Sind unsere Strafgesetze zu milde und schützen wir unsere Polizeibediensteten vor Gewaltausbrüchen, wenn wir Strafrahmen ausdehnen und Strafandrohungen erhöhen? Hilft eine Verschärfung der Einsatzhärte und der Strafen tatsächlich im Umgang mit Polizisten? Was brauchen die Bediensteten der Polizei tatsächlich in ihrem täglichen Umgang mit Gewalt?

Schauen wir in Fakten:
Laut Auskunft des Innenministeriums wurden 2008 336 Polizeiangehörige verletzt, 2007 waren es 371. Will ich vor Angriffen schützen will, muss ich wissen, unter welchen Umständen sie geschehen und welche Verletzungen und Traumatisierungen sie nach sich ziehen.

Da fühlt sich Sachsen schon schlau genug und beteiligt sich nicht an der von der Innenministerkonferenz im Dezember 2009 vereinbarten Studie zur Erforschung der Ursachen für Gewalt gegen Polizisten. Das kritisieren wir ausdrücklich – eine solche Studie wäre sehr nötig gewesen. Datenschutz kann man mit Anonymisierung wahren und ungeeignete Fragen gff. aus dem Fragebogen streichen.
 
Eigentlich hielt das Innenministerium die Studie aber für überflüssig: „Entsprechende Untersuchungen liegen für Sachsen schon vor!“ – so das Innenministerium in Presseverlautbarungen.

Nur: wo sind sie? Es wird im Parlament gerade sehr viel von Gewalt nach Fußballspielen oder bei linken Gewaltdemonstrationen gesprochen. Damit wird aber ein ganz erheblicher Teil von Verletzungen ausgeblendet:

Aus der leider nicht sehr tiefschürfenden Antwort auf eine Anfrage des Kollegen Johannes Lichdi im März 2009 (Drs. 4/ 14678) geht folgendes hervor:
Ein nicht geringer Teil derjenigen Polizistinnen und Polizisten wurden Opfer von Gewaltanwendungen bei Streifenfahrten, Verkehrskontrollen, der Klärung von Familienstreitigkeiten und Blutentnahmen. „Fußballspiel“ wurde nur in fünf der angegebenen 101 Verletzungen von Polizeibediensteten ausdrücklich als Einsatzanlass genannt, die zu mehrtägiger Dienstunfähigkeit führten und Demonstrationen gar nicht, sofern diese sich nicht hinter anderen Einsatzzwecken verbergen.
 
Im einem Zwischenbericht zur Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) von 2002 wird festgestellt, dass Angriffe gegen Polizisten zu großen Teilen der untersuchten Fälle unter Alkoholeinfluss geschehen und in ein Viertel der Fälle mit mindestens 1 Promille. Auch stellt die Studie fest, dass der überwiegende Anteil der Angriffe sich gegen Polizisten im Streifendienst richtet; geschlossene Einsätze sind weniger gefährdet.

Glauben Sie denn wirklich, dass sich Alkoholisierte oder vorbestrafte Täter durch eine Erhöhung des gesetzlichen Strafrahmens oder neuen Straftatbeständen von ihren Taten abhalten werden?

Interessant ist auch die Aussage dieser Studie, wonach das Risiko eines Polizisten, mit Tötungsabsicht angegriffen zu werden um ein Vielfaches höher ist, als des einen Normalbürgers. Ausbildung, Ausrüstung und professionelles Handeln der Polizeivollzugsbeamten senken aber dass Risiko tatsächlich im Polizeiberuf durch einen Angriff zu Tode zu kommen, auf ein Niveau, welches unter dem statistischen Risiko eines Normalbürgers liegt – nachzulesen auf S. 6 der Studie.

Das soll Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten nicht bagatellisieren – jeder ist einer zu viel -, sondern allein folgendes deutlich machen: unsere politischen Anstrengungen müssen darauf gerichtet werden, dass Ausbildung, Ausrüstung und Anzahl die Polizeibediensteten befähigt, Angriffen professionell entgegenzutreten!

An der Ausbildung, Anzahl und genügender Besetzung der Polizei zu sparen und zu meinen, man müsse die Risiken eines Angriffs durch Abschreckung von Gewalttätern und der allgemeinen Bevölkerung erreichen, ist illusorisch und in einer offenen Gesellschaft wie der unseren auch nicht möglich. Die Arbeitszusammenhänge innerhalb der Polizei müssen motivierend und vertrauensfördernd sein – z. B. feste Arbeitspartner, auf die man sich verlassen kann, im Dunklen keine Streifengänge allein).
Wir brauchen aber eine differenzierte Auseinandersetzung mit Ursachen und Gegenkonzepten

Aus vielen Aussagen und Studien ist bekannt, dass Polizeibedienstete oft überrascht werden, weil sie gefährliche Situationen als ungefährlich eingeschätzt haben. Bekannte Defizite – auf Basis konkreter Befragungen innerhalb der Polizei und nicht von mir unterstellt – liegen bei der psychologischen Beurteilung der Situation und bei der Fähigkeit zur Konflikthandhabung. Hier braucht es neue und gute Ansätze in der Ausbildung wie Stressbewältigungsseminare, stetige Auffrischung und Verbesserung der Eigensicherung und konkretes Training zur Schulung psychologischer Beurteilungsfähigkeit.

Ich würde mir wünschen, dass die Koalition und die Staatsregierung heute deutlich macht, was sie präventiv zum Schutz der Polizei tut. Bisher wurden nur Feinbilder (Feinbild Demonstrant, Feinbild Fußballfan) gemalt – wir brauchen aber eine differenzierte Auseinandersetzung mit Ursachen und Gegenkonzepten.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU: Sie machen es sich insgesamt zu einfach, mit der Forderung nach „Null Toleranz“. Politische Muskelspiele anstelle besseren Umgangs mit den konkreten Problemen der Polizei hilft den Polizistinnen und Polizisten nicht.

Es war unakzeptabel, dass der Ministerpräsident die Debatte um den Personalabbau innerhalb der wirklich ausgelasteten Polizei mit ihrem nachweisbar hohem Krankenstand mit öffentlicher Schelte über angeblich zu viele dienstunfähige Polizisten einläutet. Das motiviert die Polizistinnen und Polizisten nicht!

Heute kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die eben gehörte Debatte über „Null Toleranz“ hauptsächlich Symbolbedeutung hat. Mit der Polizei soll so ein scheinbarer Schulterschluss hergestellt werden, um von den Arbeitsverhältnissen und kommenden Dienststellenkürzungen auf dem Rücken der Polizei abzulenken.

Das wird nicht helfen und nicht gelingen. Zurück also zur Sachlichkeit und zur Ursachensuche gegen Gewalt: das braucht eine moderne Polizei und das braucht die Bevölkerung Sachsens.