Jähnigen: Wir wollen transparente und bürgernahe Polizeiarbeit und so das Ansehen der Polizei stärken

Redemanuskript der Abgeordneten Eva Jähnigen zum Gesetzentwurf der GRÜNEN-Fraktion „Gesetz über die Kennzeichnungs- und Ausweisungspflicht der Bediensteten der Polizei“ in der 8. Sitzung des Sächsischen Landtages am 21. Januar 2010, TOP 3
„Die fehlende Zurechenbarkeit kann den Eindruck erwecken, dass die Polizei es erschweren will, polizeiliches Handeln überprüfen zu lassen – die Rechtsweggarantie ist eine demokratische Selbstverständlichkeit“
Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

wir wollen, dass die Polizei bürgernah und transparent handelt – ein Ziel, in dem sich vermutlich alle demokratischen Fraktionen hier im Hause einig sind.
 
Der Staat darf den Bürgerinnen und dem Bürgern nicht anonym gegenübertreten – besonders da, wo er das staatliche Gewaltmonopol innehat und ausübt.  Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir über die Schritte auf dem Weg dahin reden.

Ein Mittel für diese Transparenz ist die Zuordenbarkeit des polizeilichen Handelns zu den einzelnen handelnden Personen. Oder mit einem Zitat aus dem europäischen Kodex der Polizeiethik gesagt, der am 19. September 2001 vom Ministerkomitee als Empfehlung an die Mitgliedsstaaten beschlossen wurde, gesagt: „Die Bediensteten der Polizei sind auf jeder Ebene für ihre eigenen Handlungen oder Unterlassungen sowie für Anweisungen an ihre Untergeben persönlich verantwortlich.“

Wie sieht das jetzt aus: nach geltendem sächsischen Polizeirecht haben sich „auf Verlangen des Betroffenen … Bedienstete der Polizei … bei der Durchführung von Polizeimaßnahmen auszuweisen. Das gilt nicht, wenn die Umstände es nicht zulassen oder dadurch der Zweck der Maßnahme gefährdet wird.“ Ob die Umstände es zulassen, entscheidet die Polizei und nicht der Betroffene. De facto ist es also ins freie Ermessen der Polizei gestellt, ob sich ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausweisen oder nicht.

Wir finden das nicht ausreichend. Jede Polizistin und jeder Polizist, die sich vorbildlich ausweisen und bereits jetzt auf freiwilliger Basis Namensschilder tragen, verdienen unsere Anerkennung. Aber es ist nicht der gesetzlich vorgeschriebene Standard – Unverbindlichkeit genügt dem Rechtsstaat nicht.

Besonders trifft das auch auf die Situation im sogenannten Einsatz geschlossener Einheiten zu. Geschlossene Polizeieinheiten sind Polizeizüge in Großeinsätzen, insbesondere die Hundertschaften der Bereitschaftspolizei,   wie z. B. zu Demonstrationen oder bei Fußballspielen. Hier agieren Polizistinnen und Polizisten derzeit ohne individuelles Erkennbarkeitsmerkmal und oft auch in Situationen, in denen ihre Gesichter durch das Tragen von Helmen nicht erkennbar sind. Diese Polizeibediensteten tragen derzeit lediglich ein Kennzeichen ihrer Einheiten, das für alle Mitglieder dieser Einheiten gleich ist.
Wir meinen, dass so Ansehen und Bürgernähe der Polizei gestärkt werden.

Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir deshalb das Polizeigesetz so novellieren, dass grundsätzlich alle Angehörigen der Polizei verpflichtet sind, deutlich sichtbare Namensschilder mit ihrem Dienstgrad zu tragen und sich grundsätzlich bei jeder Diensthandlung auf Verlangen auszuweisen haben. Mit Polizei sind hier übrigens alle Angehörigen des Polizeivollzugsdienstes ebenso gemeint wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kommunalen Polizeibehörden (Ordnungsämter). Wir meinen, dass so Ansehen und Bürgernähe der Polizei gestärkt werden.

Eine Besonderheit betrifft die Polizistinnen und Polizisten in den geschlossenen Einheiten bei Großeinsätzen, die sich durch eine hohe Eingriffsintensität durch die Ausübung unmittelbaren Zwangs auszeichnen, um Gefahren abzuwehren und Störungen der öffentlichen Sicherheit zu begegnen.
Für diese Einsätze kann das Tragen eines Namensschilds durch einen Code ersetzt werden. Die eindeutige Zuordnung für die Betroffenen, die eine nachträgliche Identitätsfeststellung zulassen, ist jedoch zu gewährleisten. Mit der Eingriffsintensität steigt auch das Risiko, unverhältnismäßiger Gewaltanwendung.
Wir schlagen vor, entsprechend der Praxis in anderen Bundesländern individualisierte Kennzeichen zu verwenden – Nummerncodes also, aus denen nicht die persönlichen Daten der Polizeibediensteten erkennbar sind, die es aber bei einer Nachprüfung möglich machen, welcher Polizist an welchem Ort des Einsatzes gehandelt haben.

Wenn es zu unzulässigen Ausübungen von Gewalt der Polizei gegen Dritte kommt, kann leichter überprüft werden, welcher Polizist gehandelt hat – innerdienstlich oder auch im Gerichtsverfahren. Bisher sind solche Überprüfungen erschwert, da im Fall der Fälle alle Polizistinnen und Polizisten der beteiligten Gruppe sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Beschuldigte berufen können – das ihnen zusteht – und die Opfer unzulässiger Gewaltausübung Monate später die Täter nicht mehr verifizieren können oder ihr Gesicht nicht gesehen haben. Wir greifen damit eine langjährige Forderung von Menschenrechtsorganisationen und von Petenten an sächsischen Landtag auf.
Unterstellen sie uns nicht ein generelles Misstrauen gegen die Polizei!

Das Argument, dass damit die Gefahr von Denunziationen erhöht wird, ist nicht richtig. Es ist sicher so, dass PolizistInnen immer wieder in schwierige Situationen kommen, bedroht und angegriffen und auch zu Unrecht angezeigt werden. Anzeigen liegt auch oft die irrtümliche Annahme zu Grunde, Polizisten dürften generell überhaupt keinen körperlichen Zwang, Gewalt ausüben. Fakt ist aber, dass Denunziationen, das heißt bewusst falsche Verdächtigungen, eine Straftat darstellen. Das heißt, sie werden strafrechtlich verfolgt – man kann und muss ihnen mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnen. Und nicht Ängste wecken, um das Ansinnen nach rechtsstaatlich gebotener Nachvollziehbarkeit als unlauter hinzustellen.

Unterstellen sie uns nicht ein generelles Misstrauen gegen die Polizei! Das ist falsch – wir stempeln keine Polizeibediensteten als potenzielle Gewalttäter ab. Das Gegenteil ist der Fall: Wir stellen niemand unter Generalverdacht. Die fehlende Zurechenbarkeit kann den Eindruck erwecken, dass die Polizei es den Bürgerinnen erschweren will, polizeiliches Handeln überprüfen zu lassen. Die Rechtsweggarantie ist eine demokratische Selbstverständlichkeit. Ich betone noch einmal: Wir wollen Polizeiarbeit transparent und bürgernah machen und so das Ansehen der Polizei stärken.

Laut Antwort auf eine meines Kollegen Lichdi (Drs. 4/13401) gab es im Jahr 2008 in Sachsen 81 Ermittlungsverfahren gegen Polizistinnen und Polizisten in Sachsen wegen des Vorwurfs der Körperverletzung im Amt. Leider wurde nicht mitgeteilt, wie viel davon eingestellt wurden und aus welchen Gründen das geschah. Auch wenn die unzulässige Ausübung von Gewalt durch die Polizei ein Einzelereignis ist: auch hier gilt: jeder Fall ist einer zu viel.
Weil es um Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols  geht, müssen solche Fälle aufgeklärt werden – damit nicht in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass die Polizei etwas zu verbergen hätte.
Für die von uns vorgeschlagene „Ausweisungs- und Kennzeichnungspflicht“ sind Ausnahmen möglich – zum Zweck des polizeilichen Einsatzzieles ebenso wie zum Schutz von Leib, Leben und Freiheit von Personen. Letzteres dient besonders zum Schutz von Polizistinnen und Polizisten und ihrer Angehörigen. Neu ist aber, dass diese Ausnahmen und die Begründung aktenkundig gemacht werden muss. So kann man im Zweifel später nachvollziehen, ob die Entscheidung gerechtfertigt war. Auch hier hilft uns die von Kollegen Hartmann aus der CDU-Fraktion in der Aktuellen Debatte eingeforderte Erweiterung der Dokumentationspflichten.

Datenschutz für Angehörige der Polizei ist für uns sehr wichtig. Wir schlagen im Gesetzentwurf vor, dass die Staatsregierung die konkreten Einzelheiten der Ausweisungs- und Kennzeichnungspflicht durch Rechtsverordnung, mit Beteiligung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten regelt.

Diese Ausweisungs- und Kennzeichnungspflicht wird derzeit in verschiedenen Ländern diskutiert, u. a. in Sachsen-Anhalt und in Berlin – überall, wo es den Willen gibt, Polizeiarbeit modern und transparent zu gestalten.

Dieses hohe Haus beschäftigt sie dennoch nicht zum ersten Mal: Bereits bei der Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum ersten sächsischen Polizeigesetz 1991war eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten vorgeschlagen – damals übrigens auf Grundlage eine FDP-Antrages – , die erst und leider in der letzten Lesung des Gesetzes im Landtag herausgestrichen wurde.

Diese Diskussion aus der Zeit unmittelbar nach der friedlichen Revolution greifen wir mit unserem Vorschlag erneut auf.

Der Freistaat Sachsen kann und sollte hier eine Vorreiterrolle in Transparenz und Bürgernähe wahrnehmen.

In diesem Sinne wünschen wir unserem Gesetzentwurf eine sachliche und offene Diskussion in Parlament, Polizei und Öffentlichkeit.