Jennerjahn: Die LINKE macht einen bunten Strauß an weitreichenden Forderungen auf, und dann speisen Sie uns mit einer halben Seite Begründungstext ab, in dem Sie noch nicht einmal ansatzweise ernsthaft auf die Forderungen eingehen
Redemanuskript des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum Antrag der Fraktion LINKE „Initiativen der Staatsregierung auf Bundesebene zur Umsetzung der Hartz-IV-Urteile des Bundesverfassungsgerichtes vom 20. Dezember 2007 und vom 9. Februar 2010“ in der 10. Sitzung des Sächsischen Landtages am 11. März 2010, TOP 5
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
der vorliegende Antrag gleicht einem „Rundumschlag mit der gestreckten Linken“. Aber was beim Boxen gilt, ist auch in der Politik von Bedeutung: Wer einen Treffer landen will, muss seinen Gegenspieler beobachten, seine Taktik erkennen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Genau das tut die Linksfraktion jedoch schon mit ihrer ersten Forderung nicht. Wer die Staatsregierung ersucht, sich auf der Bundesebene für die Umsetzung der Hartz-IV-Urteile einzusetzen, nimmt an, dass die schwarz-gelbe Koalition die gleiche Taktik verfolgt, so dass man ihr getrost die Initiative überlassen kann. Ich glaube wir sind uns darin einig, dass dies nicht der Fall ist.
Die aufgezählten Probleme im Antrag der LINKEN sind richtig und wichtig. Es ist aber zu wenig, Forderungen aufzumachen, die dann nicht weiter untersetzt werden. Was ich damit genau meine, schauen wir uns nun einmal im Detail an:
Die Linke will zentrale staatliche Arbeitsvermittlung, um die (ich zitiere) „Trennung von Arbeitslosen erster und zweiter Klasse zu überwinden.“ (Zitat Ende)
Sehr geehrte Damen und Herren von der Linksfraktion, das Problem ist doch: arbeitslos bleiben die Betroffenen deshalb trotzdem. Statt in Polemik abzudriften, wären Sie gut beraten, das differenzierte Bild, das die Realität zeichnet, zur Kenntnis zu nehmen. Viele ALG II-Bezieher fühlen sich bei ihrer optierenden Kommune weit weniger als Arbeitslose zweiter Klasse als diejenigen, die auf den endlosen Fluren der Agentur für Arbeit darauf warten, dass sich jemand ihres Problems annimmt.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will nicht die einen pauschal loben und den anderen den schwarzen Peter in die Schuhe schieben. Aber wir hatten das Thema gestern schon. Die Voraussetzungen vor Ort müssen ausschlaggebend dafür sein, ob eine Kommune die Aufgabe alleine schultern, gemeinsam mit der BA in Angriff nehmen oder ganz der BA überlassen will. Außerdem muss es den örtlichen Einrichtungen gestattet sein, eigene Eingliederungsinstrumente zu entwickeln und auf die jeweiligen Klientelbedürfnisse anzupassen.
Die Überwindung der Bedarfsgemeinschaften, ist ein Ziel für das es sich zu Streiten lohnt. Diese Frage aber aus dem Kontext herausgerissen zu diskutieren, wird dem Thema nicht gerecht. An dieser Stelle muss über eine grundsätzliche Individualisierung bei sozialen Transfers geredet werden, aber damit würden eben auch Privilegien, wie z.B. die Familienversicherung, auf den Prüfstand müssen.
Konzept der bedarfsorientierten GRÜNEN Grundsicherung
Auf die restlichen Forderungen dieses Antrages möchte ich mit dem Verweis auf unser Konzept der bedarfsorientierten Grünen Grundsicherung antworten. Mit ihr soll der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu öffentlichen Gütern gewährleistet und das soziokulturelle Existenzminimums gesichert werden. Um die Teilhabe und bestmögliche Entfaltung insbesondere von Kindern sicherzustellen, wollen wir vorgelagert in Betreuung und Bildung investieren. Und durch die Einführung einer bedingungslosen Kindergrundsicherung wollen wir das System grundsätzlich so reformieren, dass alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft materiell angemessen und gerecht unterstützt werden. Für Erwachsene hatte der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband einmal einen Regelsatz von 420 Euro ins Spiel gebracht, für Kinder und Jugendliche, je nach Alter, Sätze zwischen 280 und 360 Euro.
Auf Basis der Empfehlungen einer Mindestlohnkommission und auf der Grundlage einer Lohnuntergrenze von 7.50 Euro wollen wir die Mindestlöhne in den jeweiligen Branchen festlegen. Das ist allemal realistischer und fundierter als die Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro. Ich bin mir sicher, auch Sie, sehr geehrte KollegInnen der Linksfraktion, halten diese Zahl für einen reinen Wunschtraum. Aber dieses Ei haben Ihnen die Genossen aus dem Westen ins Nest gelegt und Sie brüten es nun tapfer aus. Es hat lange gedauert, bis die Akzeptanz von Mindestlöhnen z. B. bei der Mehrzahl der Handwerksbetriebe gewachsen war. Mit Ihrer Forderung machen Sie dieses Vertrauen wieder kaputt und erreichen gar nichts. Dies ist einer der Gründe, wegen denen wir uns enthalten werden.
Es gibt jedoch eine Sache an Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, die mich richtig ärgert. Sie machen einen bunten Strauß an weitreichenden Forderungen auf, es entsteht der Eindruck, Sie wollten mal testen, ob Sie alle Forderungen der Linkspartei in einem einzigen Antrag unterbringen können. Und dann speisen Sie uns mit einer halben Seite Begründungstext ab, in dem Sie noch nicht einmal ansatzweise ernsthaft auf Ihre Forderungen eingehen.
Ich warte auf den Tag, an dem Sie mit einem Antrag die Staatsregierung dazu auffordern, die sozialistische Weltrevolution vorzubereiten und zeitnah umzusetzen. Und der Begründungstext wird aus einem einzigen Wort bestehen. Und dieses Wort lautet: „selbsterklärend“.
Das ist leider der Politikstil, der bei vielen Ihrer Anträge festzustellen ist und das hat fatale Konsequenzen. Einerseits verhöhnen Sie damit ein Stück weit die Menschen, deren Interessen zu vertreten Sie vorgeben. Andererseits beschädigen Sie diese wichtigen Themen insgesamt.
Der Änderungsantrag der Kolleginnen und Kollegen der SPD heilt die Ungereimtheiten Ihres Antrages zum Glück. Wir werden dem Änderungsantrag daher zustimmen. Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass der Änderungsantrag eine Mehrheit findet, werden wir auch dem zu Grunde liegenden Antrag zustimmen. Andernfalls enthalten wir uns.