Jennerjahn: Sie sollten weniger in Symbole wie eine Ehrenamtskarte investieren und mehr in tragfähige Strukturen

Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Aktuellen Debatte der Fraktion LINKE „Verhinderung des bürgerschaftlichen Engagements durch die Staatsregierung – die LandesSeniorenVertretung nur ein Beispiel von vielen!“ in der 11. Sitzung des Sächsischen Landtages am 30. März 2010, TOP 1

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte die beiden Punkte, die die LINKE in dieser Aktuellen Debatte miteinander verbindet, gerne trennen.
Das eine ist, dass auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN scharf kritisiert, dass das Land die Förderung für die Landesseniorenvertretung für Sachsen eingestellt hat. Dabei geht es nicht nur um Geld.
Die Landesseniorenvertretung bildet in Sachsen Heimbeiräte aus. Sie ist eine zivilgesellschaftliche Institution, die nicht gleichzeitig Heimträger ist. Sie ist also unverzichtbar als kritische Öffentlichkeit in den Heimen und als Interessenvertreterin der Heimbewohner, die ihre Interessen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt selbst wahrnehmen können.
Das alles läuft im Ehrenamt und dieses Engagement ist gerade aktuell aus der Förderrichtlinie genommen worden. Wenn Sie, Frau Clauß, da jetzt die eingespielten Strukturen kappen, ist das kurzsichtig. Sie sparen Geld an einer Stelle, das Sie dann an einer anderen wieder ausgeben müssen. Es sei denn, Sie beabsichtigen die Heimmitwirkung aus dem künftigen sächsischen Heimgesetz zu streichen.
Es geht aber um mehr als die Landesseniorenvertretugn. Verhinderung des Ehrenamtes durch die Staatsregierung ist das Thema unserer Debatte. Ja, die sächsische Staatsregierung gibt viel Geld aus für das bürgerschaftliche Engagement. Aber: Gut gemeint ist nicht gleichbedeutend mit gut gemacht. So zeigt die Studie Freiwilligensurvey zwar für die Jahre 1999 bis 2004 einen Anstieg des Engagements in Ostdeutschland, seitdem ist es jedoch stagniert. Es stagniert, obwohl Jahr für Jahr mehr Geld für das Programm „Wir für Sachsen“ ausgegeben wird und es stagniert, obwohl die Engagementbereitschaft zunimmt.
Sie kann nicht abgerufen werden, weil Sie das Pferd völlig falsch aufzäumen.
Sie hören nicht auf Beratung und ignorieren Ergebnisse von Studien und Berichten.
Haben Sie bedacht, wie sich die Kürzungen im Jugendbereich auf heutiges und künftiges bürgerschaftliches Engagement auswirken werden?
Schon 2001 hatte die Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ über Sachsen berichtet: „eine Förderung und Entwicklung von Strukturbildungen zu Gunsten einer neuen Kultur des Engagements“ sei nicht erkennbar. Die konkreten Handlungsempfehlungen für Sachsen waren, damit ein nachhaltiger Aufbau Engagement fördernder Infrastrukturen und deren Vernetzung ermöglicht würde: Selbsthilfekontaktstellen, Seniorenbüros und Freiwilligenagenturen. Die Staatsregierung konnte und kann sich aber aufgrund der damit verbundenen Folgekosten (Personalkosten!) im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht zu einer Umsetzung dieser Empfehlungen entschließen.
Und jetzt sind Sie munter dabei, einen weiteren zentralen Fehler zu begehen. Es ist fast schon eine Binsenweisheit: Engagement wird gelernt – in jungen Jahren. Haben Sie bedacht, wie sich die Kürzungen im Jugendbereich auf heutiges und künftiges bürgerschaftliches Engagement auswirken werden?
Jugendverbände bilden Jugendliche aus – die erwerben eine Jugendleitercard, die zwei Jahre gültig ist. Das ist der Einstieg in ehrenamtliches Engagement. Diese Jugendlichen leiten Jugendgruppen oder begleiten Gruppen bei Ferienlagern oder Freizeitcamps. Der Wegfall der Förderung in diesem Bereich verhindert, dass neue junge Leute an das Ehrenamt herangeführt werden. Die jetzt tätigen werden ab spätestens 2011 keine Grundlage mehr für ihre Tätigkeit haben.
Wenn Ihnen die Förderung des Ehrenamts so wichtig ist wie sie in Ihrem Koalitionsvertrag behaupten, warum treten Sie dann jetzt dem Nachwuchs die Beine weg? Sie sollten weniger in Symbole wie eine Ehrenamtskarte investieren und mehr in tragfähige Strukturen. Dann hat auch das Ehrenamt in Sachsen eine Perspektive.