Jennerjahn: Wir brauchen keine diffuse Extremismusdiskussion – wir müssen die demokratische, an den Menschenrechten orientierte Alltagskultur stärken
Wir brauchen dringend eine Qualitätsdebatte, wohin das Landesprogramm ‚Weltoffenes Sachsen‘ entwickelt werden soll – gemeinsam mit den anderen demokratischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Akteuren
Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum GRÜNEN-Antrag „‚Weltoffenes Sachsen‘ – Evaluation des Landesprogramms veröffentlichen“ in der 4. Sitzung des Sächsischen Landtages am 12. November 2009 zum TOP 7
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit dem vorliegenden Antrag möchten wir die Diskussion über die Zukunft des Landesprogramms „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ eröffnen. Gestern hat das Innenministerium in einer Pressemitteilung einen Internet-Link veröffentlicht, unter dem ein Teil der Ergebnisse der Evaluierung des Programms „Weltoffenes Sachsen“ zu finden sind.
Ich weiß, dass dies auch für Mitglieder des Beirates des Landesprogramms neu war. Ich nehme das mal als eine freudige Überraschung, denn jetzt ist endlich mehr Transparenz hergestellt, auch wenn mit diesem Link noch nicht alle Ergebnisse aus der gesamten Zeit des Landesprogramms veröffentlicht worden sind.
Wir möchten heute die Gelegenheit nutzen, in die Debatte über die künftige Gestaltung des Landesprogramms einzusteigen. Die Regierungskoalition hat die Fortführung des Programms im Koalitionsvertrag verankert. Grund, sich beruhigt zurück zu lehnen, ist das für uns allerdings nicht, denn im Koalitionsvertrag stolpert man über folgende Formulierung: „Wir verteidigen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen die Extremisten von links und rechts.“ Das ist nicht ermutigend, denn es wirft uns in der inhaltlichen Auseinandersetzung um Jahre zurück. Wir waren, was die Problemanalyse betrifft, schon einmal deutlich weiter und es ist bedauerlich, dass Sie diesen Schritt zurück gemacht haben.
Ich könnte jetzt Nebenschauplätze aufmachen und darauf verweisen, dass allein die realen Zahlen ein solch undifferenziertes Nebeneinanderstellen von Links- und Rechtsextremismus verbieten. Schließlich zeigt schon ein kurzer Blick in den Verfassungsschutzbericht 2008 für den Freistaat Sachsen, dass Rechtsextremismus das sehr viel größere Problem ist. So werden hier für das Jahr 2008 2.425 Delikte des Phänomenbereichs „Politisch motivierte Kriminalität rechts“ gezählt, demgegenüber stehen 487 Straftaten des Phänomenbereichs „Politisch motivierte Kriminalität links“.
Das Kernproblem ist jedoch ein anderes. Statt Probleme und Gefahren konkret beim Namen zu nennen, arbeiten Sie mit dem durch und durch schwammigen, inhaltlich nicht ernsthaft untersetzten Begriff des Extremismus
Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf die jüngst veröffentlichte Erklärung von zehn Wissenschaftlern, die mit Bezug auf den Bund davor warnen – ich zitiere – die Extremismen in einen Topf zu werfen und gegeneinander auszuspielen.
Das Kernproblem ist jedoch ein anderes. Statt Probleme und Gefahren konkret beim Namen zu nennen, arbeiten Sie mit dem durch und durch schwammigen, inhaltlich nicht ernsthaft untersetzten Begriff des Extremismus. Mehr noch, Sie blenden den größten Teil des Problems aus. Sie tun so, als gebe es eine an sich intakte demokratisch gefestigte Gesellschaft, die lediglich von ihren Rändern her bedroht werde. Dass menschenfeindliche und damit im Grunde antidemokratische Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichen, ist aus wissenschaftlicher Sicht mittlerweile ein Gemeinplatz.
Ich musste kürzlich trotz des ernsten Themas ein wenig schmunzeln, weil verschiedene sächsische Zeitungen erschrocken die weite Verbreitung fremdenfeindlicher Einstellungen in der sächsischen Bevölkerung thematisierten. Sie bezogen sich dabei auf eine Studie, die bereits im Jahr 2006 veröffentlicht worden ist. Es ist bedauerlich, dass es so lange gedauert hat, bis es thematisiert wurde. Bei Ihnen, meine Damen und Herren von CDU und FDP, dauert es offenbar leider noch länger.
Ich habe bereits gestern in der Aktuellen Debatte zu neonazistischer Gewalt in Sachsen darauf verwiesen, dass die eigentliche Frage lautet, wie wir eine demokratische, an den Menschenrechten orientierte Alltagskultur stärken können. Wer in diesem Sinne arbeiten möchte, muss selbstverständlich wissen, was an demokratiegefährdenden Potentialen vorhanden ist, seien es Antisemitismus, Rassismus, Verherrlichung des Nationalsozialismus oder andere menschenverachtende Ideologien.
Und natürlich, wenn es Autonome gibt, die sich als „links“ verstehen, die Gewalt als Mittel der politischen Interessendurchsetzung rechtfertigen, ist auch dagegen vorzugehen. Das darf aber nicht dazu führen, dass so getan wird, als sei im Grunde alles das Gleiche und jede Gefahr sei gleich groß. Das hat dann nämlich nichts mehr mit einer Analyse der Realität und dem Ausrichten des eigenen politischen Handelns an dieser Realität zu tun. Es erinnert vielmehr daran, die Realität krampfhaft an die Prämissen der eigenen Ideologie anpassen zu wollen.
Statt eine diffuse Extremismusbekämpfung zu propagieren, wäre es wichtig, wenn sich die Koalitionsparteien zur Unterstützung ortsangemessener Strategien zur Demokratieförderung bekennen würden. Denn unser eigentliches Problem liegt in der mangelnden Verankerung der Demokratie und ihrer Werte.
Viele Bürgerinnen und Bürger akzeptieren die Demokratie nicht in ausreichendem Maße als die ihre. Die Hauptherausforderung liegt somit nicht in der staatlichen Bekämpfung irgendwelcher politischer Gruppen, sondern in der Stärkung unserer Demokratie. Das ist die eigentliche Aufgabe des Landesprogramms „Weltoffenes Sachsen“ und in diesem Sinne haben die vielen Projekte, Vereine und Initiativen in den letzten Jahren überwiegend erfolgreich gewirkt.
Nichtsdestotrotz wäre es genauso ein Fehler, ausschließlich am Bestehenden fest zu halten. Jedes Förderprogramm und jede Arbeit muss kontinuierlich weiter entwickelt werden. Wir brauchen also dringend eine Qualitätsdebatte, wohin das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen“ entwickelt werden soll. Diese Debatte möchten wir gerne mit den anderen demokratischen Parteien und selbstverständlich den zivilgesellschaftlichen Akteuren führen.
Eine solche Debatte kann allerdings nicht im luftleeren Raum und spekulativ geführt werden. Sie braucht eine solide Basis. Diese Basis bilden aus Sicht meiner Fraktion die Ergebnisse der Evaluation des Landesprogramms, die in den letzten Jahren durchgeführt wurde.
Herr Zastrow, Sie haben noch im August gesagt: „In der politischen Bildung gegen rechtes Gedankengut müssen wir ständig alle Maßnahmen auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls Korrekturen vornehmen.“ Eine kritische Überprüfung der zurückliegenden Arbeit ist sicherlich erforderlich, aber gerade deshalb ist es erforderlich, sich an der Evaluation des Landesprogramms zu orientieren.
Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, die Erfolge der im Rahmen des Landesprogramms geförderten Projekte zur Kenntnis zu nehmen und das erfolgreiche Engagement der Initiativen zu ermutigen.
Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, liegt mittlerweile eine Übersicht über aktuelle Evaluationsergebnisse im Internet vor. Das Innenministerium hat gestern in einer Pressemitteilung darauf verwiesen. Unser Antrag hat sich damit allerdings noch nicht erledigt.
Wir bitten weiterhin darum, dass die Evaluationsergebnisse dem Landtag in einer geeigneten Form zur Kenntnis gegeben werden. Dabei sollte sich die Darstellung nicht auf die Ergebnisse der letzten Evaluationsrunde beschränken, sondern der gesamte Zeitraum des Landesprogramms sollte beleuchtet werden, damit die Bewertung aller geförderten Projekte vorliegt.