Johannes Lichdi: Das Verfahren gegen Pfarrer König hat zu einer Vertrauenskrise in die sächsische Justiz geführt
Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zur Aktuellen Debatte der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Prozess gegen Pfarrer König: Anklagen wie es politisch gefällt? Geht so sächsisch?", 81. Sitzung des Sächsischen Landtages, 11. Juli, Top 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sie haben es sicher den Medien entnommen: Am 2. Juli 2013 hat das Amtsgericht Dresden den Prozess gegen Pfarrer Lothar König auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Es hat bis dahin schon eine umfangreiche Medienberichterstattung stattgefunden, die nach meiner Beobachtung durchweg sehr kritisch ausgefallen ist. Aber das, was am 2. Juli im Gerichtssaal hier in Dresden passiert ist, hat, glaube ich, auch Beobachter, die schon einiges von der Staatsanwaltschaft Dresden gewöhnt waten, in Erstaunen versetzt. Die Verteidigung war in der Lage, 200 Stunden – ich wiederhole: 200
Stunden – nicht ausgewertetes einschlägiges Videomaterial der Polizei und anderer Teilnehmer vorzulegen.
Meine Damen und Herren, es kommt sehr selten vor, dass das Amtsgericht einen Prozess aussetzt, nachdem es ihn überhaupt eröffnet hat. Nachdem sieben Verhandlungstage prozessiert wurden, nachdem zahlreiche Zeugen gehört wurden, nachdem schon viel Videomaterial einvernommen wurde, kam es zu dieser Aussetzung. Allein dieser Umstand rechtfertigt, dass wir hier heute eine Debatte dazu führen, und zwar zu einem Zeitpunkt – das wird mir sicher als Kritik entgegengehalten werden -‚ bevor der Prozess rechtskräftig beendet ist und ein Urteil eines unabhängigen Gerichts vorliegt. Denn wir können feststellen: Allein diese Aussetzung, der die Staatsanwaltschaft Dresden ausdrücklich zugestimmt – sie hat ihr zugestimmt –
– Herr Staatsminister Martens, im Gegensatz zu Ihnen war ich anwesend, und ich habe ausdrücklich gehört, wie Frau Schmerler-Kreuze gesagt hat, dass sie diese Aussetzung mitträgt.
Damit steht fest: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat ihre Pflichten in mehrerlei Hinsicht verletzt. Sie hat zum einen die Pflicht zur Leitung des Ermittlungsverfahrens verletzt, zum anderen hat sie die Pflicht zur Vorlage aller einschlägigen Unterlagen in den Prozess verletzt, und sie hat offensichtlich nur die belastenden und nicht die entlastenden Umstände vorgelegt. Was für die Prozessbeobachter und für mich besonders bestürzend war, war der Sachverhalt, dass Polizeibeamte teils nachweislich – ich sage das in vollem Bewusstsein des Wortes – die Unwahrheit gesagt haben, und dass bei den anderen erhebliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Absprachen zulasten des Angeklagten Lothar König getroffen haben.
Damit steht für mich und für meine Fraktion fest: Pfarrer Lothar König wurde zwei Jahre lang in der Öffentlichkeit und der sächsischen Justiz wie ein Schwerverbrecher behandelt, obwohl Polizei und Staatsanwaltschaft nach jetzigem Erkenntnisstand nichts, aber auch gar nichts in der Hand hatten.
Dies reicht von der berüchtigten Sachsen-Razzia in Jena – die sogar die Länderbeziehungen zwischen Thüringen und Sachsen belastet haben – mit der Durchsuchung seiner Dienst- und Privaträume, über die Beschlagnahme des Lautsprecherwagens bis hin – man hat sich schon damals gewundert – zur Beschlagnahme einer St.-Pauli-Fahne als Tatwerkzeug.
Aber diese Debatte um Lothar König hat auch weitere sehr unschöne Äußerungen hier in der sächsischen Öffentlichkeit – gerade in den letzten Tagen – hervorgerufen.
Ich finde es mehr als beschämend, dass die Thüringer Landeskirche, die Mitteldeutsche Landeskirche zu ihrem Pfarrer steht – ganz anders als die Sächsische Landeskirche.
Was wir in den letzten Tagen hier vernehmen mussten – ich erinnere an den stellvertretenden Verfassungsrichter Schurig, der sich in seiner Eigenschaft als Leiter des Landeskirchenamtes geäußert hat -‚ aber auch was der Polizeipfarrer Werneburg in einem Interview mit den „DNN“ geäußert hat.
– das ist für mich natürlich von der Meinungsfreiheit der beiden Herren umfasst; es berührt aber sehr seltsam, dass Sie Ihren Glaubensbruder – ich sage es ganz bewusst – offensichtlich vorverurteilen –
– und davon ausgehen, dass es dann, wenn die Staatsanwaltschaft etwas anklagt, wohl so sein wird – ohne sich jemals mit dem Prozess tatsächlich befasst zu haben, Herr Kollege Piwarz. Wir haben jeden einzelnen Prozesstag verfolgt und ich habe es mit eigenen Ohren und Augen gehört und gesehen, was die Polizeibeamten dort vorgetragen haben.
Selbst die „Sächsische Zeitung“, die sehr kritisch gegen Lothar König berichtet hat, hat ja mittlerweile zu einer objektiven Berichterstattung zurückgefunden.
Meine Damen und Herren, ich finde es schon bezeichnend, dass ausgerechnet der Mann, der im Thüringen der Neunzigerjahre vor den Nazi-Umtrieben gewarnt hat, der Opfer von Naziumtrieben geworden ist, ausgerechnet vor der Justiz des Bundeslandes angeklagt wird, in dem die NSU-Mörder wie Fische im Wasser untertauchen konnten. – Das sollte auch Ihnen zu denken geben.
Ich werde jetzt, auch wenn es mir schwerfällt, von meiner knappen Redezeit noch einmal einige Bekenntnisse für unseren Oberrechtsstaatler, Herrn Biesok, abgeben, damit das endlich einmal aufhört.
Erstens. Es hat keiner behauptet, dass es hier unerlaubt sei, eine Anklage gegen Personen zu führen, gegen die tatsächlich der Verdacht besteht. Es ist völlig eindeutig, dass die Frage des Berufes total irrelevant ist. Was Sie hier vortragen, ist üble Nachrede, es sind Behauptungen. Sie bauen einen Popanz auf, weil Ihre Kriminalisierungskampagne, die Sie seit dem Abend des 19.02.2011 hier in Sachsen, in Deutschland führen, damit geplatzt ist.
Ich habe es schon einmal gesagt, Herr Biesok, da haben Sie nicht zugehört, ich habe diesen schönen italienischen Satz zitiert, der in jedem italienischen Gericht steht. Dieser ist mir sehr eindrücklich: ‘,La lecce epulae per tutti“ – das Gesetz ist für alle gleich. Das gilt auch für die deutsche Justiz, und ich würde mir wünschen, es würde auch für die sächsische Justiz gelten.
Aber, Herr Biesok, Sie kommen hier in dieser Debatte nicht weiter mit Ihren Lehrbuchweisheiten vom Rechtsstaat angesichts dessen, was wir hier erleben.
Kollegin Friedel hatte vollkommen recht. Wenn ein Anfangsverdacht bestanden hätte, dann hätte natürlich die Anklage erhoben werden müssen, aber die Aussetzung bedeutet, und das sollte Ihnen als Jurist vielleicht einmal in einer ruhigen Minute klar werden, dass der Anfangsverdacht bei Herrn Richter Stein jetzt nicht mehr vorliegt.
Sonst hätte er nicht ausgesetzt. Das ist völlig klar und eindeutig.
Das sind einfach juristische Dinge, die Sie zur Kenntnis nehmen müssen.
Das Zweite ist, und davor verschließen Sie die Augen: Mittlerweile hat nicht nur der Prozess um Lothar König – Klaus Bartl hat unter anderem darauf hingewiesen – dazu geführt, dass wir uns in einer ausgewachsenen Vertrauenskrise der sächsischen Justiz gegenüber befinden.
Wenn in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, dass möglicherweise falsche Beweise fabriziert werden, dass die Staatsanwaltschaft sich auf diese falschen Beweise stützt, weil sie nicht ermittelt, dass ein Gericht keine andere Chance hat, auch auf Intervention der Verteidigung, weil ihr keine Beweismittel zur Verfügung stehen und dann Menschen verurteilt werden, dann greift das wirklich die Grundfesten des Vertrauens in den Rechtsstaat an. Ich fürchte, wir nähern uns diesem Zeitpunkt.
Die Frage von Lothar König, die er gestellt hat, ist richtig.‘Was macht eigentlich der Angeklagte, der keine Unterstützungsgruppe, der kein entlastendes Videomaterial vorlegen kann? Der wird möglicherweise in Sachsen ganz rechtsstaatlich, Herr Biesok, verurteilt und sitzt dann ganz rechtsstaatlich zu Unrecht im sächsischen Gefängnis.
Das sollten wir nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Herr Ulbig, Herr Martens, zu Ihrer Verantwortung: Es ist klar, Sie tragen für die schlampige Arbeit der Soko 19/2 die Verantwortung. Die Beamten sind Ihnen weisungsunterworfen. Was aber noch schlimmer ist: Die Steineschmeißer und die wirklichen Gewalttäter haben Sie bisher nicht ermitteln können. Trotz Funkzellenabfrage, trotz des ganzen strafprozessualen Überwachungsaufwandes haben Sie die eigentlichen Gewalttäter bisher nicht dingfest gemacht. Lag das vielleicht daran, dass Sie eine falsche Schwerpunktsetzung getroffen haben, dass es Ihnen wichtiger war, die friedlichen Platzbesetzer, die 351 Menschen, die couragiert gegen die Nazis aufgetreten sind, zu verknacken, anstatt die wirklichen Gewalttäter dingfest zu machen? Das ist doch die Frage, die hier steht.
Herr Staatsminister Martens, Sie schaffen es ja immer so toll, sich zurückzuhalten:
„Ich lasse ja die Staatsanwaltschaft ganz rechtsstaatlich unabhängig arbeiten.“
Sie haben sich die Anklage zuarbeiten lassen. Die Anklage Lothar König wurde Ihnen zugearbeitet. Sie haben nicht interveniert, Sie haben sich berichten lassen. Sie haben das mitgetragen.
Herr Staatsminister, Sie sind unmittelbar verantwortlich für die mangelnde Qualität der Arbeit der Staatsanwaltschaft Dresden!
Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Staatsanwaltschaft Dresden hier negativ auffällt.
Herr Bartl hat es schon gesagt, Sie haben ja selbst einen Bericht vom Generalstaatsanwalt angefordert. Ich bin gespannt, ob Sie jetzt hier in der Debatte berichten wollen, Sie haben es ja angekündigt und haben es dann zurückgenommen.
Welches sind die Konsequenzen? Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend eine Reform der Justiz. Das bedeutet für uns: Wir brauchen die Selbstverwaltung der Justiz.
Ich gestehe ganz offen: Angesichts der bisherigen Entwicklung bin ich auch zweifelnd geworden, ob diese Selbstverwaltung der Justiz schon zugebilligt werden kann.
Wir fordern eine gleiche Bezahlung für alle Richterinnen und Richter, und wir fordern, dass die Karriere einzelner Staatsanwälte und Richter nicht mehr wie bisher vom Wohlverhalten des Personalreferenten in Ihrem Ministerium abhängt.
Vielen Dank.
Ich möchte auf Kollegen Biesok entgegnen: Erstens stelle ich fest, ich bin weder Mitglied der evangelisch-lutherischen Landeskirche noch Mitglied der BAG Kirche und Rechtsextremismus.
Zum Zweiten finden Sie solche Aussagen von mir nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie vielleicht genauer hinhören, anstatt Ihre Klischees und Vorurteile zu bemühen, was ich tatsächlich gesagt habe und was ich nicht gesagt habe.
Zum Dritten sage ich Ihnen ganz eindeutig: Ich bin stolz darauf, dass sich innerhalb der evangelischen Kirche solche Leute wie die BAG Kirche und Rechtsextremismus befinden und tatsächlich auch hier Gesicht zeigen und da, wo es darauf ankommt, gegen die Nazis aufzutreten, auf der Straße sind. Da habe ich Sie noch nie gesehen.
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