Johannes Lichdi: Google street view war gestern – Und heute wollen Sie state home view beschließen
Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zum „Gesetz zur Ausführung des Zensusgesetzes 2011 …“ (Drs 5/2570) in der 19. Sitzung des Sächsischen Landtages, 01.09., TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
Meine Damen und Herren,
I.
in den letzten Wochen konnten wir eine erstaunliche Entwicklung beobachten – auch in der CDU-Landtagsfraktion. Herr Fischer und Herr Gemkow sprachen sich im Sinne des Verbraucher- und Datenschutzes gegen google street view aus und forderten bürgernahe Widerspruchsmöglichkeiten. Ich konnte es erst gar nicht glauben: ausgerechnet die CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag setzt sich für Datenschutz ein – eine Erfahrung, die ich seitdem ich dem Landtag angehöre noch nie machen durfte. Ich will jetzt nicht annehmen, dass sich die Kollegen nur dem gängigen hype anschließen wollten, sondern hoffe, dass dies einen wirklichen Wandel der CDU-Politik andeutet.
Aber meine Damen und Herren: google street view war gestern und heute wollen Sie state home view beschließen. Das Sächsische Zensusausführungsgesetz ist eben kein harmloses technisches Gesetz, sondern erlaubt den Zugriff auf zahlreiche persönliche Daten und führt diese zusammen. Es handelt sich um den umfassendsten Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der letzten Jahre. Der Wissensdurst des Staates ist unersättlich.
II.
Was ist mit einem „Zensus“ gemeint?: Es geht um die Sammlung unserer Meldedaten, unserer Daten bei der Bundesagentur für Arbeit und bei unseren Vermietern. Davon merken wir gar nichts, weil diese Stellen unsere persönlichen Daten an die Statistischen Landesämter einfach weitergeben. Diese Daten werden dann in einer „Haushaltsstichprobe“ durch unsere persönliche Befragung auf Fehler überprüft. 10% der Bevölkerung werden daher im Mai ungebetenen Besuch vom staatlichen Datenbeschauer erhalten.
Die Meldeämter melden unsere Meldedaten wie Namen und Anschrift samt der unserer Familien und Mitbewohner, bei Migranten, aus welchen Staaten sie stammen, sowie unsere Religionsangehörigkeit. Die Bundesagentur für Arbeit übermittelt unseren Beruf, ob wir arbeitslos sind oder nicht, die Anschrift unseres Arbeitsplatzes, die Branche in der wir arbeiten, sowie den Namen unseres Arbeitgebers. Der Staat möchte auch gerne den erreichten Schul- und Bildungsabschluss wissen. Die Wohnungsgenossenschaften und Vermieter berichten über unsere Wohnverhältnissen, etwa in welchen Gebäuden wir wohnen, wieviele Zimmer wir bewohnen und wo unsere Toiletten und Duschen liegen.
Diese unsere Daten liegen alle schon vor, jetzt sollen sie mithilfe von Ordnungsnummern eindeutig zusammengeführt werden. Nach Paragraf 13 des Bundes-Zensusgesetzes erhält jede Anschrift, jedes Gebäude, jede Wohnung, jeder Haushalt und jede Person eine Ordnungsnummer, die bei den Datenzusammenführungen verwendet werden. Paragraf 13 Abs. 3 erlaubt ausdrücklich, dass die Ordnungsnummern „zusammen mit den Erhebungsmerkmalen gespeichert“ werden dürfen.
III.
Das bedeutet: eine einzige staatliche Stelle kennt zum Stichtag 9. Mai 2011 wesentliche Teile unserer Existenz. Die Statistiker wollen natürlich diese Verknüpfung, um Fehlerquellen auszuschließen. Was aber das Ziel der Statistiker ist, ist für unsere Grundrechte brandgefährlich. Es entsteht tatsächlich ein Persönlichkeitsbild, wie es das Bundesverfassungsgericht verboten hat.
Zwar ordnet das Gesetz die Löschung der Ordnungsnummern, die die Verknüpfung der Daten erlauben, nach „Abschluss der Aufbereitung des Zensus“ an, doch kann dies dauern. Die Ordnungsnummern sind erst „spätestens vier Jahre nach dem Berichtszeitpunkt zu löschen.“ Aufbereitung meint die zentrale Zusammenführung aller Daten beim Bundesamt für Statistik. Fristen sind dafür nicht vorgesehen, so dass es am Arbeitstempo der Statistiker liegt, wann die Löschungspflicht greift. Der Berichtszeitpunkt liegt nach der EU-Richtlinie am 1. April 2014, so dass die Löschung bis zum 1. April 2018 herausgezögert werden kann!
Etwas datenschutzfreundlicher sind allerdings die Löschungspflichten für Hilfsmerkmale ausgestaltet. Ein Hilfsmerkmal ist etwa die Straße. Hilfsmerkmale sind nach Paragraf 19 sind „zum frühest möglichen Zeitpunkt“ von den Erhebungsmerkmalen zu trennen und gesondert aufzubewahren. Sie sind zu löschen, sobald die Statistischen Landesämter die Überprüfung der Erhebungsmerkmale auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit abgeschlossen haben. Der späteste Löschungszeitpunkt ist hier aber auch der 1.4. 2018.
Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, dass wir einmal eine Debatte führen, ob wir wirklich sämtliche Träume der Statistiker und Fachplaner auf Kosten schwerer Grundrechtsgefährdungen erfüllen sollten. Solche Erhebungen mögen teilweise sinnvoll sein, sie erfordern aber auch einen hohen Datenschutzstandard.
Das sächsische Zensusausführungsgesetz müsste diese Grundrechtsgefährdungen verfahrensrechtlich einhegen. Dies tut es leider nicht. Im Einzelnen werde ich das bei unseren Änderungsanträgen begründen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.