Johannes Lichdi: Keine Entwarnung beim Datenschutz

Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zu Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses "Schutz des Persönlichkeitsrechts im öffentlichen Bereich, 15. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten, Berichtszeitraum: 1. April 2009 bis 31. März 2011" (Drs. 5/10163) und ""Schutz des Persönlichkeitsrechts im nicht-öffentlichen Bereich, 5. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten, Berichtszeitraum: 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2010" (Drs. 5/10180), 55. Sitzung des Sächsischen Landtages, 26. September 2012, TOP 14

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

es war zu erwarten, dass die heutige Debatte dominiert wird von Danksagungen und guten Wünschen für die Zukunft, auch die GRÜNEN schließen sich dem Dank an Herrn Schurig und sein Team zunächst an –  aber, liebe Vertreter von CDU und FDP, es hat schon etwas Verlogenes: Sie schmieren heute dem Datenschutzbeauftragten  – bildlich gesprochen –  „Honig ums Maul“, während sie ihm im gleichem Atemzuge das Wasser abgraben!

I. Datenschutzkontrolle im nicht-öffentlichen Bereich findet nicht statt!
Der Datenschutzbeauftragte findet in seiner Vorbemerkung zum 5. Tätigkeitsbericht zum Schutz der Persönlichkeitsrechte im nicht-öffentlichen Bereich sehr dramatische Worte. Diese muss man zur Kenntnis nehmen, alles andere bedeutet zu akzeptieren, dass Datenschutzkontrolle im nicht-öffentlichen Bereich nicht mehr stattfindet!

Oder passt es etwa in Ihre Vorstellung von "Wirtschaftsförderung", dass bei ausufernder und grundrechtsverletzender Videoüberwachung in Gaststätten oder beim Arbeitnehmerdatenschutz in Unternehmen nicht so genau hingeschaut wird?

Aktuell sind im Stellenplan des Datenschutzbeauftragten 22 Stellen ausgewiesen. Die  Stelle  eines  Referatsleiters, der Ende vergangenen Jahres aus Altersgründen ausschied, wurde nicht wieder besetzt und soll nun ganz gestrichen gestrichen werden. Wir unterstützen den Datenschutzbeauftragten in seiner Kritik an dieser weiteren Stellenstreichung.

Damit wird eine Verstärkung, die der DSB in Konsequenz der Datenschuzskandale und zur Bewältigung der Aufgabenübertragung zur Datenschutzkontrolle im nicht-öffentlichen Bereich zugesprochen bekommen hatte, entgültig zurückgefahren! Wir halten das für nicht akzeptabel! Im Vergleich zum vorangegangenen Berichtszeitraum sind fast 60% mehr Beschwerden eingegangen; die Zahl der Beratungsanliegen ist um 160 % gestiegen.

Ich erspare ihnen nicht, aus dem Bericht zu zitieren:

„Dieses erhebliche Arbeitspensum zu bewältigen war nur möglich, indem einerseits den doch recht zahlreichen Anfragen zu Vorträgen oder Schulungen bzw. zur aktiven Teilnahme an Tagungen, Diskussionspodien oder ähnlichen Veranstaltungen nur in wenigen Ausnahmefällen entsprochen und andererseits die Durchführung von anlassfreien Kontrollen auf ein Minimum zurückgefahren worden ist. Gerade letzteres schmerzt besonders, da die Erfahrungen zeigen, wie sinnvoll, dh. wegen bestehender Datenschutzmängel notwendig und wegen der damit verbundenen öffentlichen Auswertung für andere Unternehmen auch äußerst hilfreich derartige Kontrollen sind.“ (S. 13)

und weiter heißt es: „[…] die Folgen sind ebenso absehbar wie fatal: Die Aufsichtsbehörde wird sich auch künftig in erster Linie mit der Bearbeitung von Eingaben befassen und daher überwiegend nur reaktiv tätig sein können. Die Tätigkeit im präventiven Bereich [..] wird sich auch weiterhin im Wesentlichen nur auf die Erfüllung der gesetzlichen Pflichtaufgaben (Tätigkeitsbericht, weitgehender Verzicht auf anlassfreie Kontrollen) beschränken müssen, die Mitarbeit in bundesweiten Gremien nur eingeschränkt.“

Es geht nicht um Datenschutz mit der Brechstange. Nur liest man den Bericht genau, erkennt man tatsächlich seltsame Vorstellungen von Persönlichkeitsrechten, denen durch Kontrollen begegnet werden muss. Die schleichende Gewöhnung der Gesellschaft an ausufernde Videoüberwachung auch in Gaststätten, Schwimmbädern, in Einkaufscentren oder auf öffentlichen Plätzen ist eben kein Grund, die Einhaltung der rechtlichen Voraussetzungen nicht einzufordern und zu kontrollieren. Auch sollte die Mißachtung von Arbeitnehmer- und Sozialdatenschutz nicht zu einem akzeptierten Phänomen werden.

Wenn beispielsweise ein Unternehmen Krankenlisten unternehmens-öffentlich aushängt, um den Krankenstand zu senken, dann ist es dringend geboten, dies öffentlich auszuwerten und als kritikwürdiges Verhalten zu outen. Schließlich braucht es Kontrollen um festzustellen, ob es sich nur um die berühmten "schwarzen Schafe" handelt oder ein Arbeitgeber-Verhaltensmuster zur Überwachung und Kontrolle ihrer Arbeitnehmer.

Schließlich: beim Blick in die Rubrik „Auch das gibt`s“ bleibt einem das Lachen im Halse stecken: Dort verteidigt sich ein Unternehmen gegenüber dem Datenschutzbeauftragten, der ihn auf die zweckwidrige Nutzung des datenschutzsensiblen Serverraums aufmerksam macht, dass eine solche schon deshalb nicht vorläge, weil es sich um einen kombinierten Server- und Fahrradabstellraum handele!

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Unterbesetzung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten ist unumgänglich. Wir halten eine Personalaufstockung von mindestens vier Stellen für dringend erforderlich und auch realisierbar. Dies fordern wir in unserem Entschließungsantrag.

II. Datenschutz im öffentlichen Bereich – kein Grund zur Entwarnung
Noch ein paar Worte zum Tätigkeitsbericht im öffentlichen Bereich. Der Datenschutzbeauftragte hat sich im Innenausschuss sehr wohl lobend über eine gestiegene Datenschutzaufmerksamkeit bei sächsischen Behörden geäußert. Das nehmen wir zur Kenntnis, bei genauer Lektüre des Berichts zeigt sich aber, dass auch im öffentlichen Bereich sehr wohl anlasslose Kontrollen erforderlich sind und Weiterbildungsbedarf in Sachen Datenschutzsensibilität besteht.

Beispielhaft genannt sei der Umgang mit polizeilichen Datenbanken – ein altes Thema und auch die vorhergehenden Tätigkeitsberichte machten deutlich, dass der polizeiliche Handlungsrahmen Korrekturen erfordert – ich erinnere nur an die jahrelangen Betrieb des PASS als Verbunddatei ohne Rechtsgrundlage. Diese wurde mit der Polizeigesetzänderung im September 2011 zwar geschaffen, ohne jedoch bürgerrechtlich gebotene materiellrechtliche und Verfahrenssicherungen einzubauen – wir haben damals einen entsprechenden Änderungsantrag vorgelegt.

Dankenswerterweise hat der DSB im Bericht auch offenbart, welche seltsamen Auffassungen es zum Thema Datenschutz bei der Polizei so gibt.  Der Datenschutzbeauftragte dokumentierte in Punkt  5.9.4 auf S. 96 dass die Ansicht vertreten wurde „das ein Abruf nicht unbefugt sein könne, wenn er aufgrund der Zugriffsrechte technisch möglich sei“.
Herr Schurig hat daraufhin jährliche Belehrungen angeregt, das SMI hat nach eigenen Angaben wohl auch „darum gebeten“ dies zu tun. Ob allgemeine Apelle ausreichen wage ich aber zu bezweifeln – Es ist kein Einzelfall, dass Bürgerrechte in Sachsen schnell mal polizeitaktischen Erwägungen geopfert werden.

Schließlich mussten wir dem besonderen Prüfbericht des Datenschutzbeauftragten in Sachen Handygate entnehmen, dass bei den Strafverfolgungsbehörden Dresdens die Ansicht vertreten wird, dass heimliche Ermittlungsmaßnahmen keinen Einschüchterungseffekt für Unbeteiligte hätten! Eine Auffassung die mit der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und auch des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs nicht in Einklang gebracht werden kann!

Und damit längst nicht genug: Der nächste Prüfbericht steht uns ins Haus: das Landesamt für Verfassungsschutz meinte seit dem 4.11.2011 hunderte von Einzeldokumenten aus Akten ohne weiteres vernichten zu können. Grundrechts- und Datenschutzsensibilität sieht anders aus!

Es bleibt daher festzustellen: Datenschutz bleibt ein Stiefkind der Koalition und Sachsen brauch eine starke unabhängige Datenschutzkontrolle sowohl im öffentlichen als auch nicht-öffentlichen Bereich.

Vielen Dank!

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