Johannes Lichdi zum Protest gegen Naziaufmärsche zum 13. Februar 2012

Wir fordern, keine Vorfeldkriminalisierung, keine Behinderung der Anreise, Offenlegung der Aufzugsorte, Transparenz der Einsatzkonzepte, Ermöglichung des Protests in Sicht- und Hörweite und keine pauschale Kriminalisierung friedlicher Platzbesetzer
Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zum GRÜNEN Antrag der Fraktion GRÜNE "Zivilgesellschaftlichen Protest gegen Naziaufmärsche in Dresden um den 13. Februar 2012 unterstützen" (Drs. 5/7946) in der 49. Sitzung des Sächsischen Landtages, 26.01., TOP 6
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
engagierte Bürgerinnen und Bürger Dresdens und aus ganz Deutschland haben es in den letzten Jahren geschafft, die Blockade konservativer Kräfte in der CDU Dresdens aufzubrechen, die glaubte, "still gedenken" zu können, während die geistigen Nachfahren der Zerstörer Dresdens mit Fackeln, Fahnen und aufgesetzt lauter Trauermusik durch die Stadt trampeln.
Wir GRÜNE haben das Bedürfnis vieler Dresdnerinnen und Dresdner immer respektiert, am 13. Februar individuell oder gemeinsam der Toten ihrer Familie zu gedenken. Allerdings haben wir uns auch immer gegen ein blindes Vergessen gewandt: Wir vergessen nicht, dass die Stadt Dresden eine Nazihochburg und wichtiger Militärstandort war, dass die Nazis hier mit Zustimmung weiter Kreise der Bevölkerung eine vitale Kulturszene zerschlagen, mit Zustimmung evangelischer Christen die Hakenkreuzfahne an die Frauenkirche gehängt und Menschen im Namen der deutschen "Volksgemeinschaft" ausgegrenzt haben.
Wir vergessen nicht, dass Judendeportationen, Zwangsarbeiter und amtliche Morde etwa am Münchner Platz zumindest mit Duldung der Dresdner Bevölkerung stattfanden. Und wir vergessen nicht, dass die Bombenangriffe des 13 und 14. Februar manchen Menschen auch die Freiheit gebracht hat.
Jahrelang waren für die CDU Dresden und die von ihr gesteuerte Stadtverwaltung – besonders unrühmlich Ordnungsbürgermeister Sittel – die Gegendemonstrationen gegen die Nazis ein schlimmeres Übel und Ärgernis als die Nazidemos selbst. Jahrelang räumte die Stadtverwaltung die Innenstadt für die Nazis frei und führte sie an der Synagoge vorbei.
Hoffentlich werden Sie von der CDU einmal verstehen, wie sehr sie durch ihr Verhalten in den letzten 20 Jahren den von der Nazipropaganda begründeten und vom SED-Regime fortgeführten Mythos von der "unschuldigen Stadt" genährt haben.
Trauriger Höhepunkt der Geschichte ihres Versagens war die amtlich-administrative Behinderung der Geh-Denken-Demo und der provokative Polizeieinsatz im Jahre 2009.
Aufgrund dieser Dresdner Verhältnisse konnte sich der europaweit größte Naziaufmarsch mit breiter Mobilisierungswirkung in der gesamten rechtsextremistischen Szene Europas entwickeln. Unmittelbare Folge dieser Dresdner Verhältnisse war der bundesweite Aufruf des Bündnisses "Dresden Nazifrei", die Nazidemos 2010 zu blockieren. Dies ist auch trotz der Verbotspolitik der CDU-Seilschaften in Stadtverwaltung, Polizei und Innenministerium erfolgreich gelungen.
Zugleich hat die Initiative der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz für eine Menschenkette das Tabu aufgebrochen, dass am 13. Februar keine politischen Versammlungen stattfinden dürften. Wir GRÜNE haben stets Menschenkette und Platzbesetzungen unterstützt.
Seit 2010 und 2011 haben wir in Dresden dank der erfolgreichen Platzbesetzungen eine neue politische Lage: Viele Dresdner Bürgerinnen und Bürger jeden Alters haben sich mit den Gegendemonstranten solidarisiert, Bürgerinnen und Bürger, die nicht in das Feindbild vom Steine werfenden Linksextremisten gepresst werden können. Daher ist die Kriminalisierungskampagne der Herren Merbitz, Flath und Zastrow trotz einiger medialer Unterstützung gescheitert.
Aber diese neue politische Lage hinterlässt zum Glück jetzt auch politische Spuren im Betonwerk namens sächsische CDU: Jetzt erst anerkennt der Ministerpräsident und der Innenminister das Grundrecht auf Protest in Sicht- und Hörweite, dass jahrelang administrativ und gerichtlich unterbunden wurde. Aber selbst diese Anerkennung verbindet der ebenso ahnungslose wie unverschämte Ministerpräsident mit Beleidigungen der Dresdner Bürgerschaft, die es nicht geschafft hätten, die Nazis zu vertreiben. – Ja wie denn, wenn Sie jahrelang den Nazis den roten Teppich ausgerollt und von der CDU diskriminiert wurden!
Wir stehen jetzt vor der neuen Auseinandersetzung am 13. und am 18. Februar 2012. Es gab immer schon zwei Naziaufmärsche: Stets am 13.2. der Fackelmarsch der "Freien Kräfte" und am Wochenende die große Demonstration der JLO. Es zeichnet sich ab, dass es am 18.2. nicht zu einer großen Nazidemonstration kommen wird. Dies ist ein großer Erfolg des Bündnisses "Dresden Nazifrei".
Die Debatte konzentriert sich auf den 13.2.. Ab 17 Uhr findet die Menschenkette wieder statt. Leider verheimlicht die Staatsregierung bis heute, wo der Fackelmarsch der Nazis angemeldet ist, so dass die Lage für die Teilnehmer der Menschenkette unübersichtlich ist. Ich sage: mit dieser Geheimniskrämerei verhindert die Staatsregierung Protest in Sicht- und Hörweite.
Ich habe überhaupt den Verdacht, dass sie jetzt zwar verbal das Grundrecht auf Protest in Sicht- und Hörweite anerkennen, aber im Vorfeld mit verdeckten Karten spielen, um den Protest doch noch zu verhindern.
Dazu passt auch die alljährliche Panikmache des Verfassungsschutzpräsidenten Boos, der übrigens die NSU nicht gefunden haben will, und auch die Drohkulisse des in diesem Jahr amtierenden Dresdner Polizeipräsidenten Kroll, der schon mal den Wasserwerfereinsatz und eine erneute Funkzellenabfrage androht. Was besonders auffällt: diese beiden Vertreter des Sicherheitsapparats malen nur die Gefahr linker Gewalttäter an die Wand, wollen aber keine Gefahr bei rechten Gewalttäter erkennen. Politisch-motivierte Lage-Analysen stärken nicht das Vertrauen in die oft beschworene nur den Gesetzen verpflichtete Rolle der Polizei.
Ja, meine Damen und Herren, ich bin unfair: In Zeiten, in denen die Polizei weiterhin die Funkzellenabfrage für rechtmäßig hält, in denen die Staatsanwaltschaft sich weigert, den Forderungen des Sächsischen Datenschutzbeauftragten nach Benachrichtigung der Bestandsdatenabfrage und in Zeiten, in denen wir jeden Tag neue Erkenntnisse zur NSU und dessen Unterstützer in Sachsen erfahren. 
Wir fordern: keine Vorfeldkriminalisierung, keine Behinderung der Anreise, Offenlegung der Aufzugsorte, Transparenz der Einsatzkonzepte, Ermöglichung des Protests in Sicht- und Hörweite und keine pauschale Kriminalisierung friedlicher Platzbesetzer. In einem demokratischen Rechtsstaat muß sich die Polizei und ihr Innenminister gefallen lassen, dass sie Rechenschaft ablegt auch über ihre Einsatzkonzepte.
Dazu fordern wir sie heute auf!