Johannes Lichdi zur Aktuellen Debatte über das rechtswidrige Ausspähen von Handydaten
Herr Staatsminister, ich sage hier vor dem Plenum des Hohen Hauses: Mir liegt ein Dokument vor, das nachweist, dass am 19. Februar auf dem Territorium der Landeshauptstadt Dresden ein IMSI-Catcher eingesetzt wurde. Wir wissen alle, wofür man dieses Teil braucht: Man braucht es zur Feststellung der Mobilverbindungsdaten und zum Abhören der Inhalte.
Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zur Aktuellen Debatte "Bei Anruf Überwachung – die Verantwortung der Staatsregierung für das rechtswidrige Ausspähen von Handydaten am 19. Februar 2011 in Dresden" (LINKE, 29.06., TOP 2
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Jetzt haben meine beiden Vorredner schon einen sehr hohen Ton angeschlagen. Ich halte aber sehr viel davon, dass wir uns, bevor wir über die politischen Konsequenzen debattieren, noch einmal über den Sachverhalt austauschen.
Ich glaube, die Funkzellendatenerfassung ist bekannt. Es ist vielleicht durchaus schwierig, dort den Überblick zu behalten. Mir ist aufgefallen, dass laut Berichterstattung der letzten Tage — die „Sächsische Zeitung“ hat das berichtet — von diesen 896 027 Mobilfunkverbindungsdaten bei mehreren Hundert Bestandsdaten erfasst werden. Das geschieht auch in dem Augenblick, wo wir hier miteinander sprechen. Das heißt, wir reden nicht über einen Skandal, der abgeschlossen ist, sondern wir reden über einen Skandal, der gerade stattfindet.
Herr Staatsminister Ulbig, es ist zwar honorig, dass Sie hier als Erster vor das Plenum getreten sind und versucht haben, Aufklärung zu schaffen, aber Sie haben es eben nicht geschafft, Aufklärung zu schaffen. Ich werde darauf zurückkommen.
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie zu den Maßnahmen, die jetzt im Augenblick laufen, und zu deren Rechtmäßigkeit Stellung nehmen. Das haben Sie vermieden. Ihre Auskünfte, die Sie uns im Ausschuss gegeben haben, kann ich nicht glauben.
Ich sage Ihnen das ganz offen.
Sie haben uns berichtet, dass die über eine Million Datensätze auf bestimmte Funkzellen zu bestimmten Zeiten beschränkt gewesen sein sollen. Herr Staatsminister, mir liegen Akten vor, bei denen ich eine Funkzellenauswertung zwischen 11:30 Uhr und 17:30 Uhr, und zwar laufend sieben oder acht Stück, sehe.
Mir ist daraus nicht ersichtlich, dass das tatsächlich zeitlich und räumlich eingeschränkt war. Das, was mir vorliegt, sieht anders aus. Sie haben versichert, dass Berufsgeheimnisträger — Anwälte, Journalisten, Abgeordnete — nicht erfasst werden. Warum läuft dann das Strafverfahren gegen meine Fraktionskollegin Eva Jähnigen, die eindeutig in Ausübung ihres Mandats vor Ort war, die sich nicht, wie beispielsweise ich, worauf ich stolz bin, auf die Straße gesetzt hat, um gegen Nazis zu demonstrieren?
Meine Damen und Herren, auch die Anordnung der Staatsanwaltschaft und des Amtsgerichts Dresden war eindeutig rechtswidrig. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie, Herr Staatsminister der Justiz, und auch Sie, Herr Innenminister, das endlich öffentlich einräumen.
Denn der Paragraph 100 g ist gegen den Beschuldigten zu richten und nicht gegen Tausende, Zehntausende, man muss fast sagen Hunderttausende von Unbeteiligten.
Diese Maßnahme ist per se unzulässig. Was Sie gemacht haben, ist keine übliche Funkzellenabfrage im Sinne von Paragraph 100 g, sondern eine Rasterfahndung, ein Verdachtschöpfungsinstrument. Dafür haben Sie diese Rechtsgrundlage missbraucht. Nichts anderes haben Sie getan!
Meine Damen und Herren, es handelt sich eindeutig um einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und bei den Journalisten um Eingriffe in die Recherchefreiheit, Artikel 5.
Schwere Straftaten wie Landfriedensbruch haben stattgefunden. Ob das auch hinsichtlich einer kriminellen Vereinigung gilt, wissen wir nicht. Aber nehmen wir an, diese Straftaten wurden begangen. Dann dienen sie nur als Türöffner für etwas ganz anderes, nicht zur Ermittlung dieser Straftaten, sondern zu einer Generalüberwachung der gesamten Stadt Dresden am 19. Februar.
Herr Staatsminister, ich muss Ihnen widersprechen, und zwar sehr deutlich. Sie haben gerade gesagt, Ihnen liege eine dienstliche Erklärung vor, dass am 19. Februar kein IMSI-Catcher eingesetzt worden sei.
Ich sage hier vor dem Plenum des Hohen Hauses: Das entspricht nicht der Wahrheit: Mir liegt ein Dokument vor, das nachweist, dass am 19. Februar auf dem Territorium der Landeshauptstadt Dresden ein IMSI-Catcher eingesetzt wurde. Wir wissen alle, wofür man dieses Teil braucht: Man braucht es zur Feststellung der Mobilverbindungsdaten und zum Abhören der Inhalte. Genau das haben Sie am 19. Februar gemacht, das hat Ihre Polizei gemacht! Und Sie legen heute immer noch nicht alles auf den Tisch. Das ist empörend, Herr Staatsminister!
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Biesok hat es in seiner bemerkenswerten Rede, der ich in großen Teilen zustimmen kann, gesagt: Wir müssen in der Strafprozessordnung einiges ändern. Wir sehen erheblichen Änderungsbedarf. Die Anordnung einer Funkzellenabfrage darf nur noch bei Straftaten von tatsächlich erheblicher Bedeutung im Einzelfall erfolgen. Das muss klargestellt werden. Die Begründungs- und Darlegungspflichten der Staatsanwaltschaft und der Richter müssen erhöht werden. Es darf nicht so sein wie bisher, dass ein Richter einfach ein Formblatt abzeichnet, wie das hier geschehen ist.
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Richtervorbehalt, wenn auf der Grundlage der Mobilverbindungsdaten Bestandsdaten abgefragt werden.
Nein, meine Damen und Herren, wir sind noch lange nicht am Ende. Ich habe den Eindruck, wir sind gerade am Anfang der Aufklärung. Sie, Herr Staatsminister Ulbig, aber auch Sie, Herr Staatsminister Dr. Martens — ich möchte Sie ausdrücklich nicht auslassen —‚ Sie haben bisher wenig dazu getan, Aufklärung zu schaffen, und das müssen Sie endlich leisten.
Vielen Dank.
Herr Staatsminister, ich stelle fest, dass Sie gerade gesagt haben, es sei kein IMSI-Catcher von der Polizeidirektion Dresden eingesetzt worden,und bei den Daten, die in den Berichten genannt wurden, die Sie am Freitag gegeben haben, seien keine Inhalte abgehört worden. Das war aber nicht die Aussage in Ihrer Rede und das war nicht Ihre Aussage im lnnenausschuss.
Dort und in Ihrer Rede — das können wir anhand des Protokolls nachvollziehen — haben Sie gesagt: Am 19.2. wurde von der sächsischen Polizei kein IMSI-Catcher eingesetzt. — Ich sage hier noch einmal ganz eindeutig: Mir liegen die Beweise vor, dass am 19. Februar 2011 von der sächsischen Polizei IMSI-Catcher eingesetzt und höchstwahrscheinlich Telekommunikationsinhalte abgehört wurden. Dazu haben Sie bisher die Öffentlichkeit getäuscht. Das sage ich in aller Deutlichkeit.