Johannes Lichdi zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses „Sachsensumpf II“
Wir sind verpflichtet, zu einem durch Aktenkenntnis und Zeugenvernehmung gestützten, abgewogenen und eigenen Gesamturteil zu kommen
Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses „Korruptive Netzwerke Sachsen…“, 16. Sitzung des Sächsischen Landtages, 20. Mai, TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Was erwarten wir eigentlich vom Staat?
Wir wollen, dass die Verwaltungen streng nach Gesetz und Recht handelt, die Polizei und Staatsanwaltschaft die Verbrecher fängt und die Justiz sie verurteilt. Wenn etwas schief läuft, erwarten wir, dass die Regierung kontrollierend eingreift und die Missstände abstellt. Und die Bürgerinnen und Bürger, unsere Wähler, erwarten von uns frei gewählten und unabhängigen Abgeordneten, dass wir die Regierung kontrollieren und erkannte Missstände durch bessere Gesetze abstellen.
Alle diese Aufgaben stehen in der Sächsischen Verfassung und den Gesetzen. Und daran haben wir uns zu halten. Meine Aufgabe als Parlamentarier ist noch nicht erledigt, ich bin verpflichtet zu einem durch Aktenkenntnis und Zeugenvernehmungen gestützten, abgewogenen und eigenem Gesamturteil zu kommen.
Warum setzen wir heute den Untersuchungsausschuss zum Thema ‚Sachsensumpf‘ oder Aktenaffäre, wenn ihnen das lieber ist, wieder ein. Wir lösen damit eine Ankündigung und ein Versprechen ein, das GRÜNE und LINKE am Ende der 4. Wahlperiode gegeben haben. Wir lassen uns nicht durch ihre verfassungswidrige Blockade von unserer Pflicht zur Aufklärung abhalten. Und wir richten uns auch nicht nach den Konjunkturen der öffentlichen Berichterstattung und was sie gerade für bedeutend und wichtig hält.
Obwohl die Hauptarbeit noch zu tun ist, hat der Untersuchungssausschuss der letzten Wahlperiode wichtige Erkenntnisse und Hinweise erbracht, die leider nicht in zureichende Maße in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen sind:
Erstens: Es gibt erhebliche Hinweise darauf, dass die OK-Referatsleiterin nicht unabgestimmt, jedenfalls aber mit Kenntnis und Billigung ihrer Vorgesetzten im Landesamt für Verfassungsschutz die Aktensammlung angelegt hat.
Selbst Innenminister de Maizière hat nach dem Verbot der OK-Beobachtung durch den Sächsischen Verfassungsgerichtshof die Weiterbeobachtung ausdrücklich angeordnet. Er war also der Überzeugung, dass die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes auf eine Bedrohung der freiheitlich demokratischen Grundordnung deuten.
Die Theorie der Staatsregierung, ein Leipziger Polizist sei die Haupt-Quelle GEMAG gewesen, erscheint durch Zeugenaussagen widerlegt. Damit sind die wesentlichen Säulen des Verteidigungsgebäudes der Staatsregierung erschüttert.
Zweitens: Dennoch erscheint auch gesichert, dass die Tätigkeit des OK-Referats die einfachsten Voraussetzungen einer seriösen polizeilichen Ermittlungsarbeit nicht eingehalten und ungeprüft Gerüchte zusammengetragen hat. Eine Fach- und Rechtsaufsicht im Innenministerium hat aufgrund grenzenloser Naivität und Respekt vor den ach so geheimen ‚Schlapphüten‘ faktisch nicht stattgefunden.
Die offenbar in weiten Teilen unseriöse Arbeit im OK-Referat darf aber nicht dazu verleiten, die aufgeschriebenen und angeblich ermittelten korruptionsverdächtigen Sachverhalte als bloße Hirngespinste zu verabschieden. Dies ist der Kurzschluss der CDU-Fraktion. – Wenn der Bote einer Nachricht diese verstümmelt, ist damit die Unwahrheit der Botschaft noch nicht erwiesen!
Drittens: Folgendes erscheint nach den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses über die in Rede stehenden Sachverhalte als gesichert:
Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte haben die sogenannten „Freier“ des Minderjährigenbordells Jasmin, das Ende Januar 1993 von der Polizei geschlossen wurde, nicht ermittelt und sind Zeugenaussagen nach Freiheitsentziehung und Vergewaltigungen auch von einer unter 14 jährigen im Bordell nicht nachgegangen. Der Zuhälter und Vergewaltiger W. kam trotz Vorstrafen mit einer überschaubaren Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 2 Monaten davon. Dies steht für mich aufgrund einer Aktenlektüre fest!
Offenbar gab es in Leipzig schon früh Gerüchte, dass es einen Deal zugunsten des Zuhälters und Vergewaltigers gegeben hat. Jedenfalls nahm im Jahr 2000 eine Leipziger Polizeieinheit den Faden wieder auf und versuchte den Zuhälter und Vergewaltiger als Informanten zu gewinnen. Dies bestätigten die Ermittler durch die Blume. Jedenfalls wurden die Opfer des „Jasmin“ im Sommer 2000 unter Umständen vernommen, die darauf hindeuten, dass Ermittlungen ohne vollständigen Niederschlag in der Ermittlungsakte geführt wurden. Sie waren offensichtlich auf die Ermittlung der Freier gerichtet. Obwohl zwei Zeuginnen Personen nannten, wurden die Ermittlungen unter nicht nachvollziehbaren Umständen Ende 2000 abgebrochen. Kurz darauf hat jedenfalls einer der beschuldigten Richter eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Beamten eingeleitet.
Viertens: Bei der Vermögenszuordnung des Grundstücks Riemannstraße 52 in Leipzig im Jahre 1994 und der unglaublich großzügigen Förderung der Sanierung des Hauses in den Folgejahren wird auf Seiten der Leipziger Wohnungsgesellschaft, der Erwerberin und später befasster Richtern derselbe Personenkreis fassbar, der aus unklaren Quellen auch in irgendeiner Weise mit dem Minderjährigenbordell Jasmin in Verbindung gebracht wurde. Die Staatsregierung hat uns bisher glauben machen wollen, dass die Förderung im Wesentlichen rechtmäßig gewesen wäre. Der Rechnungshofbericht hat uns im November 2009 eines Besseren belehrt. Warum verteidigt die Staatsregierung hier so entschlossen?
Fünftens: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat nach der Übermittlung der Verfassungsschutzakten offenbar in falsch verstandenen Korpsgeist alles daran gesetzt, die beschuldigten Juristen zu entlasten. Sie hat offenbar nicht ins Bild passende Ermittlungserkenntnisse solange „bearbeitet“, bis sie passten.
Obwohl die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen erst im April 2008 für beendet erklärt wurden, verkündete bereits am 15. September 2007 der leitende Oberstaatsanwalt, dass die Aktensammlung nur „heiße Luft“ sei. Dies ist ungewöhnlich, da wir ja sonst stets mit dem Hinweis auf laufende Ermittlungen abgespeist werden. Heute wissen wir, dass die Staatsanwaltschaft die Belastungszeugen überhaut nicht vernehmen wollte und sich erst im Dezember 2007 dazu entschlossen hat.
Als die Vernehmungen der Opfer im Januar und Februar 2008 Belastungen ergaben, bemühten sich die Staatsanwälte Schwürzer und Kohle nicht um weitere Aufklärung, sondern um den Nachweis der Unglaubwürdigkeit der Belastungszeuginnen. Dies taten sie auch gegenüber der aufsichtführenden Person im Justizministerium, der die Aussagen der Zeuginnen für glaubwürdig hielt, und erwog, Richter zu suspendieren. Die intellektuellen Klimmzüge der ermittelnden Staatsanwälte können in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Dresden von Ende April 2008 nachgelesen werden. Stattdessen leiteten die Staatsanwälte Strafverfahren gegen berichtende Journalisten und die Zeuginnen ein.
Meine Damen und Herren,
es hat offensichtlich in der Staatsregierung ein Drehbuch der Scheinaufklärung zur Vertuschung gegeben. Die haben wir aufzuklären. Dies ist neu und konnte der alte Untersuchungsausschuss nicht leisten.
Die einjährige verfassungswidrige Blockade des Untersuchungsausschusses diente dazu mit verwaltungsinternen Kontrollkommissionen mit unklarem Auftrag und Aktenzugang Aufklärung und Entlastung zu simulieren. Währenddessen wurde mit der Referatsleiterin ein Sündenbock präpariert und durch gezielte Indiskretionen zur öffentlichen Schlachtung freigegeben. Im Februar 2010 wurden die Ermittlungen gegen die Referatsleiterin wegen Geheimnisverrats eingestellt, vor zwei Wochen setzte sie gerichtlich die ihr von der Staatsregierung verweigerte Akteneinsicht durch. Sie will damit die von ihr behauptete Aktenmanipulation durch die Hausspitze nachweisen.
Die Staatsregierung hat einfach auf Zeit, ihren Medieneinfluss und die Vergesslichkeit dieses Parlaments und der Öffentlichkeit gesetzt. Wir sorgen heute dafür, dass ihre Rechnung nicht aufgeht!
Trotz allem sage ich hier ausdrücklich an dieser Stelle: korruptive Netzwerke in Sachsen sind für mich bisher nicht nachgewiesen. Alle Sachverhalte können mit Nachlässigkeit, Schlamperei, Fehlsteuerungen der Ermittlungsbehörden, Korpsgeist gegen angebliche Nestbeschmutzer oder dem politischen Überlebenskampf eines angeschlagenen Ministerpräsidenten erklärt werden. Auch dies wären wir verpflichtet aufzuklären und zu ändern.
Dennoch stimmt auch dieser Satz: Es bestehen weiterhin wachsende Anhaltspunkte für korruptive Netzwerke. Beide Möglichkeiten zwingen uns als Parlament zu handeln.
Und ich bin froh, dass sich der 5. Sächsische Landtag heute als handlungsfähig erweist!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.