Karl-Heinz Gerstenberg: Bibliotheken sind heute weit mehr als öffentliche Bücherregale

Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag der Fraktionen GRÜNE und SPD "Gesamtverantwortung des Freistaates für das sächsische Bibliothekswesen" (Drs. 5/11131), 71. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13. März 2013, TOP 8


– Es gilt das gesprochene Wort –

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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Bibliotheken sind heute weit mehr als öffentliche Bücherregale. Bibliotheken sind Orte der Bildung für alle Altersgruppen und wichtige Partner in der sächsischen Bildungslandschaft. Sie haben eine Schlüsselrolle in der Medien- und Informationsgesellschaft, bei der Förderung von Lesekompetenz und beim lebenslangen Lernen. Deshalb stehen auch die nichtwissenschaftlichen Bibliotheken vor der Herausforderung, zukunftsweisende Dienstleistungen zu entwickeln.

Frau Staatsministerin von Schorlemer, Sie haben diese Aufgaben scheinbar erkannt. Im August 2010 haben Sie bei der Präsentation der Bibliotheksentwicklungskonzeptionen von 14 Bibliotheken den sozialen Lernort Bibliothek im Zusammenwirken von Elternhaus, Schule und anderen Bildungseinrichtungen für unverzichtbar erklärt. Auf diesem Stand sind aber viele unserer Bibliotheken noch nicht, sie müssen sich erst dahin entwickeln. Umso unverständlicher ist es, dass die Staatsregierung und die Koalitionsfraktionen nicht bereit sind, daraus Konsequenzen zu ziehen.

Werte Kolleginnen und Kolleginnen von CDU und FDP,
Sie wehren sich bislang mit Händen und Füßen dagegen, dass die Bildungspolitik des Freistaates heute auch die Bibliotheken einbeziehen muss. Ich halte es für mehr als naiv, wenn Sie erwarten, dass die Bibliotheken ohne ordentliche Rechtsgrundlage und allein als Kultursparte legitimiert die notwendigen Schritte gehen könnten.

Wir wollen Ihnen heute gemeinsam mit der SPD-Fraktion noch einmal die Gelegenheit geben, diese Schere in Ihrem Kopf zu schließen. Unsere Fraktion hat bereits mit dem Entwurf eines sächsischen Bibliotheksgesetzes gezeigt, dass sie eine gesetzliche Normierung für überfällig hält. Ich möchte jetzt nicht wiederholen, welche Probleme dieses Gesetz gelöst hätte. Aber heute fordern wir Sie, die Staatsregierung und die Koalitionsfraktionen, auf, nach der Ablehnung des Gesetzentwurfes doch zumindest eigene Lösungen für bessere rechtliche Rahmenbedingungen für die Bibliotheken zu suchen.

Wir sind durchaus bereit, verschiedene Lösungsalternativen zu diskutieren. Nach wie vor steht ja Ihre Ankündigung im Raum, Frau Fiedler, dass durch die Erhöhung der Gestaltungsspielräume im SLUB-Gesetz Verbesserungen für die Bibliotheken erzielt werden können. In Ihrem Antrag im Januar-Plenum ging es diesbezüglich aber nur um Serviceaufgaben. Die Unterstützung durch die SLUB bei Koordinierung, Fortbildung und Digitalisierung ist ohne Zweifel sehr wichtig, aber das ist doch nie und nimmer ausreichend.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, uns GRÜNEN geht es um eine rechtlichen Aufwertung und fachliche Untermauerung der öffentlichen Bibliotheken. Es ist notwendig, deren Bildungsauftrag zu definieren und Qualitätsstandards zu setzen. Solche Normen haben eine wichtige Orientierungsfunktion für die Träger, sie geben bei der Bibliotheksentwicklung verbindlich die Richtung vor.

Der vorliegende Antrag greift weitere wichtige Regelungsdefizite und Rahmenbedingungen auf. Zwei wunde Punkte im sächsischen Bibliothekssystem will ich ergänzend zu meinem Vorredner von der SPD vertiefen:
Die Sächsische Landesfachstelle für Bibliotheken berät die Bibliotheken  bei der Fortbildung, koordiniert Verbünde und hilft mit Ergänzungsbeständen aus. In der Stellungnahme der Staatsministerin zum Antrag heißt es lapidar: „Die Landesfachstelle […] ist mit derzeit 5,5 VZÄ für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben hinreichend ausgestattet.“ Unter Experten besteht jedoch Konsens – das haben wir auch in der Anhörung zu unserem Gesetzentwurf gehört – dass die Leistungsfähigkeit der Stelle sehr eingeschränkt ist. Nicht zuletzt der Vertreter des Sächsischen Städte- und Gemeindetages plädierte dafür, die Angebote der Landesfachstelle auszubauen, insbesondere für ehrenamtliches Personal.
Wichtig ist heute zudem die Unterstützung des landesweiten Bibliothekssystems bei der Entwicklung benutzerorientierter Bildungs- und Dienstleistungszentren. Wenn die Aufgaben der Bibliotheken gewachsen sind, dann muss die Landesfachstelle dem auch entsprechen können.

Ebenfalls besteht in der Fachwelt weitgehende Einigkeit darüber, dass die Anbindung der Landesstelle unangemessen ist. Erst wurde sie aus dem SMWK herausgeschnitten und ins Regierungspräsidium gepackt. Heute steckt sie in der Landesdirektion Sachsen, in der Unterabteilung 2 für Inneres, Soziales und Gesundheit, im Referat 26. Meine Damen und Herren von Staatsregierung und Koalition, es ist höchste Zeit, die Landesfachstelle aus dem Abseits zu holen und als leistungsfähigere Behörde aufzustellen. Der gegenwärtige Zustand steht in einem absoluten Missverhältnis zur großen Bedeutung der Bibliotheken, der auch Sie stets beipflichten.

Sehr verehrte Kolleginnen und Kolleginnen,
mein zweiter Punkt ist die Leseförderung. Sie hat in den letzten Jahren eine zunehmende Aufmerksamkeit gefunden. Zu Recht, denn ohne besondere Anregung erwerben viele Kinder und Jugendliche zu geringe Lese- und Sprachfähigkeiten und damit nur einen eingeschränkten Zugang zum Wissen über die Welt.

Wir haben in Sachsen ja bereits Modellprojekte. Seit dem letzten Jahr wird das Modellprojekt Buchsommer Sachsen über die Förderrichtlinie Kulturelle Bildung des SMWK unterstützt. 2012 bekamen knapp 4.000 Schülerinnen und Schüler von der 5. bis zur 8. Klasse in 60 Bibliotheken in den Sommerferien Jugendbücher. Das ist ein Anfang und er zeigt, wie die Zusammenarbeit von Bibliotheken und Schulen gelingen kann. Die Staatsregierung ist nun in der Verantwortung, eine Perspektive für eine höhere Breitenwirksamkeit solcher Angebote zu entwickeln, denn Sachsen hat in den Klassen 5 bis 8 ja nicht nur 4.000, sonden über 150.000 Schülerinnen und Schüler.

Die Annahme, dass nach dem Modellprojekt die Leseförderung in diesen Netzwerken ganz von selbst weiterläuft, ist nicht realistisch, schon weil in den Kulturräumen Leseförderung nicht als Aufgabe verortet ist. Die Angebote der Leseförderung müssen jedoch fortlaufend koordiniert und vor allem ressortübergreifend weitergeführt werden. Hier steht die Staatsregierung in der Verantwortung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir bitten um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag, damit endlich notwendige Verbesserungen für das gesamte sächsische Bibliothekswesen auf den Weg gebracht werden.

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