Karl-Heinz Gerstenberg: Der 8. Mai ist der richtige Tag, um an die Befreiung vom Nationalsozialismus und an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zu erinnern

Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum „Gesetz zur Einführung eines Tages des Erinnerns und Gedenkens .. (Tag der Befreiung)“ (Drs 5/2099) in der 19. Sitzung des Sächsischen Landtages, 01.09., TOP 7
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
für mich gibt es keinen Zweifel: Der 8. Mai ist der richtige Tag, um an die Befreiung vom Nationalsozialismus und an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zu erinnern und dieser Ereignisse zu gedenken. Unsere Fraktion teilt deshalb das Grundanliegen des Gesetzentwurfes, die Bedeutung dieses Tages in ganz Sachsen wahrzunehmen.
Auch wir sehen die bei der 1. Lesung des Entwurfes benannten Entwicklungen auf europäischer Ebene, wie beispielsweise entsprechende Feiertage in Frankreich, Tschechien, Niederlanden und Russland oder die Debatte um einen europaweiten Gedenk- und Feiertag. Wir kennen auch die UNO-Resolutionen von 2004 und 2010 und teilen deren Anliegen. In letzterer Resolution 64/257 erklärt die Generalversammlung der UNO den 8. und 9. Mai zu Tagen des Gedenkens und der Versöhnung und bittet alle Mitgliedsstaaten jedes Jahr zu Ehren aller Opfer des Zweiten Weltkriegs entweder einen oder beide Tage in gebührender Weise zu begehen, wobei ihr bewusst ist, dass die Mitgliedstaaten möglicherweise eigene Sieges-, Befreiungs- und Gedenktage begehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten es für dringend geboten, der unzähligen Opfer des Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken – Opfer einer Herrschaft, die keine Fremdherrschaft und auch keine Diktatur einer Minderheit war, sondern ein Terrorsystem mit Furcht und Schrecken, dessen Massenbasis weit über den Bereich der NSDAP und der anderen nationalsozialistischen Organisationen  hinausreichte.
Wir begrüßen aber auch gleichzeitig den Aspekt des Feierns. Wir können feiern, dass es statt eines Schreckens ohne Ende eine Ende mit Schrecken gab, ein Ende, das uns die Möglichkeit bot, ein – bei allen Unvollkommenheiten – friedliches demokratisches Gemeinwesen aufzubauen. Ja, der 8.Mai bot die Chance für einen Neubeginn, für die Schaffung rechtsstaatlicher, demokratischer Verhältnisse in Deutschland – eine Chance die im Osten und Westen Deutschlands höchst unterschiedlich genutzt wurde.
Und weil an diesem Tag Erinnern, Gedenken und Feiern nicht zu trennen sind, sehen wir die Einrichtung eines Gedenktages am 8. Mai auch ergänzend und nicht konkurrierend zum 27. Januar, der seit 1996 in Deutschland Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus und zugleich Internationaler Holocaust-Gedenktag ist. Das ist ein Gedenktag, den ich für eine wirklich große erinnerungskulturelle Errungenschaft halte und der keinesfalls abgewertet werden darf.
Angesichts der Bedeutung des Themas kann ich überhaupt nicht verstehen, wie wenig Arbeit die Linksfraktion in ihren Gesetzentwurf gesteckt hat. Im Wesentlichen verstecken Sie sich hinter der historischen Rede von Richard von Weizsäcker aus dem Jahr 1985. Die Formulierung der Zielsetzung des Entwurfes entspricht vollumfänglich der Begründung der Gesetzesinitiative auf Bundesebene und enthält mehr Zitate als eigene Gedanken.
Das ist ausgesprochen schade, denn gerade im Bereich der Erinnerungskultur ist doch oft der Weg das Ziel. Durch die Beschäftigung mit Geschichte in öffentlichen Debatten wird Erinnerung geschaffen. Das heißt, der diskursiven Auseinandersetzung mit dem Thema kommt zentrale Bedeutung zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns nichts vor: Die Festlegung eines solchen Gedenktages wird ohne eine vorangehende breite gesellschaftliche Debatte nichts an der Wahrnehmung des Tages und an der ihm zugesprochenen Bedeutung ändern. Sie wird auch nicht ohne weiteres dazu führen, dass die notwendigen gesellschaftlichen Debatten darüber geführt werden, wie es zur Etablierung eines so menschenverachtenden Herrschaftssystems, zum Krieg und zu den Verbrechen im Zweiten Weltkrieg kommen konnte. Ein solcher Gedenktag wird ebenfalls nicht zu verstärktem Nachdenken über die Möglichkeiten des Widerstands, aber auch die Folgen von Passivität und Mitläufertum führen, wenn ihm insbesondere die notwendige Begleitung in den Lehrplänen unserer Schulen fehlt.
Und speziell an die Adresse der Linksfraktion: Eine solche Gesetzesinitiative verliert an Glaubwürdigkeit, wenn Sie sich der Debatte über den Missbrauch des Gedenkens verweigern. Die berechtigten Feiern am 8./9. Mai wurden von der damaligen Partei- und Staatsführung der Sowjetunion – und damit auch von deren Satellitenstaaten inklusive der DDR – schnell zur Machtdemonstration mit aufwendigen Militärparaden missbraucht. Der Anteil der westlichen Alliierten an der Befreiung wurde ausgeblendet. Schlimmer noch: Aus der Würdigung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus wurde ein Aufruf zum Kampf gegen die so genannten „imperialistische Westmächte“ abgeleitet. Dieser Aspekt gehört auch zur Diskussion gestellt!
Der ursprüngliche Gesetzentwurf hat einen schweren Fehler, der ihn bei aller Sympathie für das Grundanliegen für uns nicht zustimmungsfähig macht. Es ist die Einordnung des 8. Mai als Gedenk- und Trauertag nach § 2 des Sächsischen Sonn- und Feiertagsgesetzes. Diese ist mehr als unglücklich, denn damit geben Sie unbelehrbaren Geschichtsrevisionisten  eine  Steilvorlage. Glücklicherweise haben Sie die dahingehende Kritik von GRÜNEN und SPD im Verfassungs- und Rechtsausschuss aufgenommen und einen Änderungsantrag eingebracht. Dadurch wird der Gesetzentwurf für unsere Fraktion zustimmungsfähig. Wird der Änderungsantrag abgelehnt, dann werden wir uns bei der Abstimmung zum ursprünglichen Gesetzentwurf enthalten.
Meine Damen und Herren, die Ablehnung dieses Gesetzentwurfes ist absehbar. Es verbleibt mir jedoch eine Hoffnung: Ich setze darauf, dass es auch ohne förmlichen Gedenktag den demokratischen Fraktionen im Sächsischen Landtag künftig gelingen wird, nicht nur den 27. Januar, sondern auch den 8. Mai in einer würdigen Form zu begehen.