Karl-Heinz Gerstenberg: „Freiheit“ findet sich in diesem Gesetz wirklich nur im Titel

Rede des Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Gerstenberg zur 2. Lesung zum "Gesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Bestimmungen" (Drs. 5/9089), 62. Sitzung des Sächsischen Landtages, 26. September 2012, TOP 5

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Herr Präsident!
Meine Damen und Herren Kollegen!

Dass es nicht leicht ist, ein neues Hochschulgesetz auf den Weg zu bringen, diese Erfahrung hat der Landtag in den vergangenen Jahren ja des Öfteren machen müssen und dürfen. Immerhin gilt es, verschiedenste Interessen der Hochschulen, deren Mitgliedergruppen, der Hochschulumgebung und nicht zuletzt auch die berechtigten Ziele des Staates unter einen Hut zu bringen. Im Grunde geht es doch immer um die Frage der möglichst weitgehenden Freiheitsbestrebungen auf der Seite der Hochschulen und der durch den Freistaat artikulierten gesellschaftlichen Anforderungen an die Hochschulen, was gut ausgebildete Absolventen und hochwertige Forschungsleistungen anbelangt.

Diesen Grundkonflikt möglichst ausgleichend aufzulösen, ist die Aufgabe des Gesetzgebers. Es wäre also Ihre Aufgabe gewesen, meine sehr verehrten Damen und Herren der Regierungskoalition. Wenn ich mir nun die scharfe Kritik, ja den Protest vonseiten der Hochschulen, der Studierenden, der Doktoranden und der Studentenwerke anschaue, kann ich nur zu dem Schluss kommen: Dieses Ziel haben sie um Längen verfehlt!

Ein großes HochschulFREIHEITSgesetz sollte es also werden. Ganz nach nordrhein-westfälischem Vorbild wurde die Freiheit sogar in den Titel des Gesetzes aufgenommen. Damit haben Sie viele Erwartungen bei den Hochschulen geweckt. Aber wie das nun einmal so ist im Leben, nur weil auf der Verpackung Freiheit draufsteht, muss noch lange nicht Freiheit drin sein.

Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass es einige sehr wichtige Neuerungen gibt. Der erleichterte Hochschulzugang und die Beweislastumkehr bei der Anerkennung von außerhalb der Hochschule erbrachten Studienleistungen zählen ebenso dazu wie der erweiterte Masterzugang für Absolventen der Berufsakademie, die Verbesserungen im kooperativen Promotionsverfahren und die Möglichkeit für die Hochschulen, die Bewirtschaftung der Liegenschaften zu übernehmen. Vieles davon haben wir GRÜNEN bereits seit Jahren in unseren Gesetzentwürfen und Anträgen vorgeschlagen, um dem demografischen Wandel ein wirksames Instrument in Form von gut ausgebildeten jungen Menschen entgegenzusetzen. Deshalb ist das vorliegende Gesetz aber keinesfalls die große Entfesselung, die der Titel suggeriert.

Im Gegenteil, Sie legen die Hochschulen sogar stärker an die Leine als bisher. Nehmen wir zum Beispiel die Zielvereinbarungen. Natürlich ist es richtig und notwendig, dass sich der Staat und die Hochschulen auf gemeinsame Vorgaben zu Profilbildung, Qualitätssicherung, Immatrikulations- und Absolventenzahlen usw. einigen. Aber wenn Sie gleichzeitig bestimmen, dass das Ministerium bei Nichteinigung auch die Ziele einseitig festlegen kann, dann sind das doch keine Vereinbarungen, keine Verhandlungen von gleichberechtigten Partnern auf Augenhöhe, dann ist das lediglich eine Farce. Dann haben die Hochschulen also genau genommen lediglich die Freiheit, zu den Vorgaben des Ministeriums "Ja und Amen" zu sagen.

Werte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie selbst haben sich hingegen die Freiheit genommen, dringend notwendige Regelungen nicht in das Gesetz aufzunehmen. Dazu gehört beispielsweise die Frage der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Wissenschaft. Im Frühjahr musste der Wissenschaftsrat konstatieren, dass trotz der jahrelangen Bemühungen Frauen bei den besetzten Professuren nach wie vor stark unterrepräsentiert sind. Er hat deshalb, in Weiterentwicklung seiner Position, eine 40%-Quote für wissenschaftliche Gremien empfohlen – keine Spur davon in diesem Gesetzentwurf. Auch über die Probleme der Promovierenden gehen sie einfach hinweg. Ihr mitgliedschaftliche Stellung muss geklärt werden, die Promovierendevertretungen, die sich an den sächsischen Hochschulen bilden, brauchen endlich eine Rechtsgrundlage. Sowohl Gleichstellung als auch Promovierendenrechte finden sich in den heutigen Änderungsanträgen der SPD-Fraktion, deren Unterstützung ich jetzt bereits ankündige.

Ganz besonders „bedanken“ für ihre vielen Freiheitsideen werden sich die Studierenden – und sie tun es ja bereits, wie auch ein Blick auf die andere Elbseite zeigt. Wie sehr muss Ihnen diese größte Mitgliedergruppe der Hochschulen ein Dorn im Auge sein, wenn Sie aus einem sogenannten Freiheitsgesetz gleich ein Studentengeißelungsgesetz machen. Freiheit nach den Vorstellungen von CDU und FDP bedeutet für die Studierenden ganz konkret Langzeitstudiengebühren, kein Freiversuch mehr und Schwächung ihrer Interessenvertretungen.

Zu den Langzeitstudiengebühren: Studierende, die länger für ihr Studium brauchen, etwa weil sie arbeiten müssen, weil sie gesundheitliche Probleme haben, weil sie ein Kind betreuen oder weil sie schlicht und ergreifend nicht in ihre überfüllten Seminare hineinkommen, werden dafür mit der Freiheit belohnt, ab dem 5. Semester über der Regelstudienzeit 500 Euro zahlen zu dürfen – pro Semester! Da stellt sich die Frage nach dem Grund für solch eine Regelung? Im Ausschuss konnten Sie dafür einzig und allein die „Entlastung der Steuerzahler“ anführen. Aber welche Kosten verursachen denn diese Studierenden? Semesterbeitrag und Semesterticket zahlen sie selbst, die ermäßigte Krankenversicherung gibt es nur bis 30, das BAföG wird nur für die Dauer der Regelstudienzeit bezahlt und die Lehrveranstaltungen finden statt, ob sie da sind oder nicht. Da drängt sich schon der Gedanke auf, dass hier keine Sachpolitik gemacht wird, sondern der Einstieg in allgemeine Studiengebühren vorbereitet werden soll.

Ganz und gar perfide ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass sie gleichzeitig den Freiversuch abschaffen – ausgerechnet das Instrument, dass zügiges Studieren mit einem zusätzlichen Prüfungsversuch belohnt und so einen Anreiz schafft, eine Prüfung eher abzulegen. Ist das ihr Konzept von Freiheit, ein Anreizsystem zugunsten einer Strafandrohung abzuschaffen?

Der Tiefpunkt schließlich ist Ihr Versuch, die verfasste Studierendenschaft durch ein Austrittsrecht auszuhöhlen und die Studentenräte zu schwächen. Ausgerechnet die Institution, die als Ergebnis der friedlichen Revolution an den Hochschulen zur Wahrung der demokratischen Mitwirkung etabliert wurde, soll nun von der Freiheit beglückt werden, nicht zu wissen, wie viele Mitglieder sie im jeweils nächsten Semester haben wird. Die zu erledigenden Aufgaben stehen allerdings nach wie vor im Gesetz.
Für mich stellt sich die Frage: Für wen machen Sie das eigentlich? Für eine CDU-nahe Studentenorganisation, die sich bei der Anhörung zum Gesetz für eine Abschaffung ausgesprochen hat? Es kann Ihnen nicht entgangen sein, dass sich inzwischen außer vielen Studierenden und ihren Vertretungen die Landesrektorenkonferenz, die Rektorate der TU Dresden und TU Freiberg, die Studentenwerke und die sächsischen Studentenpfarrer gegen diese Änderung ausgesprochen haben. Das ist keine Freiheitspolitik, die sie hier betreiben, das ist reine Parteiklientelpolitik.

Bei all dieser Freiheit nach schwarz-gelben Vorstellungen fallen die wirklichen Verbesserungen für die Hochschulen nicht mehr ins Gewicht. Nein, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, der Ausgleich zwischen den Interessen der Hochschulen und denen des Staates ist ihnen gründlich misslungen. "Freiheit" findet sich in diesem Gesetz wirklich nur im Titel. Der Balanceakt ist gescheitert – Sie sind abgestürzt!

Eine gute Nachricht möchte ich Ihnen allerdings noch abschließend auf den Weg geben: Sie haben heute und hier noch die freie Wahl, ob sie sich richtig oder für diesen Gesetzentwurf entscheiden. Denken Sie bitte an den Satz des französischen Schriftstellers und Aufklärers Nicolas Chamfort: „Die Fähigkeit, das Wort "Nein" auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit.“

Ich danke Ihnen.

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