Karl-Heinz Gerstenberg in der Debatte zur Sächsischen Hochschullandschaft
Investitionen in die Zukunft müssen nicht in Beton, sondern in Köpfe erfolgen
Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag „Sächsische Hochschullandschaft weiterentwickeln – zukunftsfähige Strukturen schaffen“, 16. Sitzung des Sächsischen Landtages, 20. Mai, TOP 6
Es gilt das gesprochene Wort!
—————————————————————————-
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich ausdrücklich, dass nunmehr auch die Koalitionsfraktionen die Hochschulentwicklungsplanung auf die Tagesordnung gesetzt haben und dass sie endlich gemerkt haben, dass die Zeit drängt, denn in genau 225 Tagen läuft die seit 2003 geltende Hochschulvereinbarung aus.
Bereits im Frühjahr 2009 hat unsere Fraktion eine klare Haltung des Landtages eingefordert. Zu diesem Zeitpunkt hätte eigentlich eine neue Hochschulvereinbarung unterschriftsreif sein müssen. Damals schon war allen klar, dass zusätzlich zu den auslaufenden Solidarpaktmitteln auch die Folgen der Finanzkrise und der SachsenLB-Pleite zu schultern sind. Auch die Rahmenbedingungen des Hochschulpaktes 2020 – mit allen seinen Mängeln – waren beschlossene Sache. Es war also der richtige Zeitpunkt, den Hochschulen eine berechenbare Perspektive zu geben.
Frau Stange, es wäre ihr größtes Verdienst als Wissenschaftsministerin gewesen, wenn Sie diese Hochschulvereinbarung rechtzeitig vor der Wahl in trockene Tücher gebracht hätten. Stattdessen wurden die Hochschulen bis heute im Unklaren gelassen. Die Leidtragenden dieser Fehleinschätzung sind die Wissenschaftler und Studierenden an den sächsischen Hochschulen.
Unsere Position war und ist klar: Der Gesamtumfang der Finanzierung und die Stellenausstattung der Hochschulen – über 18.000 Stellen und um 2.200 Professuren – sollen auch nach 2010 mindestens im jetzigen Umfang erhalten werden.
Das ist weder billiger Populismus noch ein leichtsinniger Wechsel auf die zukünftigen Staatsfinanzen. Das ist eine klare Prioritätensetzung für Lehre und Forschung – für den Bereich, der die Grundlagen für die weitere gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung Sachsens legt!
Die Anhörung im Wissenschaftssausschuss zu einem entsprechenden Antrag unserer Fraktion hat uns eindeutig in dieser Haltung bestätigt. Nach einhelliger Auffassung der Hochschulen gehen weitere Kürzungen unmittelbar an die Substanz. Bevor über Veränderungen entschieden werden kann, muss erst einmal, so der Rektor der TU Dresden, eine „hochschulpolitische Vision des Landes bestehen.“
Diese Vision muss sich klar daran ausrichten, wohin der Freistaat in seiner gesamten Entwicklung will. Ich nenne einige Beispiele:
Erneuerbare Energien sind ein zentraler Wachstumsmotor der sächsischen Wirtschaft. An dieser Stelle kann ich mir eine deutliche Profilstärkung in Freiberg und Dresden vorstellen, bei der man offen diskutieren muss, ob die derzeitigen Forschungsaktivitäten bei Kohle und Kernkraft wirklich sinnvoll sind.
Die Universitätsmedizin in Leipzig weist hervorragende Ergebnisse bei Lehre und Forschung auf. Jeder Euro, der dort vom Freistaat investiert wird, holt circa 75 Prozent durch drittmittelintensive Forschungsaktivitäten hinzu und leistet zudem einen Beitrag zur Bekämpfung des Ärztemangels. Hier zu kürzen, wie es derzeit geschieht, ist auch ökonomisch völlig kontraproduktiv.
Weitere Bereiche sind die Erzieher- und Lehrerausbildung. An dieser Stelle stimme ich dem Koalitionsantrag ausnahmsweise zu, wenn er die Studienplatzkapazitäten an der Nachfrage ausrichten will. Hier muss ein Schwerpunkt liegen – und das nicht nur in Leipzig.
Der vorliegende Koalitionsantrag beschreibt jedoch nicht eine zukunftsweisende Idee von der sächsischen Hochschullandschaft, sondern liegt ganz auf der neuen Koch-Tillich-Linie, nach der mehr Geld nicht klüger macht.
Werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Ihnen geht es nicht um die von den Hochschulen eingeklagte Vision, nicht um die Chancen und Potentiale, sondern um Doppel- und Mehrfachangebote und Konzentrationsmöglichkeiten. Das ist entlarvend!
Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass Mehrfachangebote hier und da reduziert werden können. Aber bereits mit der letzten Hochschulvereinbarung wurden die Grenzen des Machbaren ausgelotet. Dass bestimmte Fächer an mehreren Hochschulen angeboten werden, ist auch nicht zwangsläufig unsinnig. Innovative Studiengänge und Forschungsprojekte sind kaum denkbar ohne eine Mindestvielfalt von Fächern, die sich gegenseitig befruchten.
Wer unter Profilbildung vor allem Konzentration und Zusammenlegen von Instituten versteht, der hat die Veränderungsdynamik der Wissenschaft nicht verstanden. Profilbildungen können umso besser gelingen, je größer die finanziellen Spielräume und je geringer der Kürzungsdruck ist. Wenn der Großteil der Professuren einfach ausläuft und nicht neu ausgeschrieben und besetzt werden kann, ist Innovation schlecht möglich.
Dass sich die Koalition offensichtlich das erste Mal mit dem Thema befasst, zeigen die weiteren Punkte des Antrages. Um Personalbestand und Studierendenzahlen zu erfahren, genügt ein Blick in die Berichte des statistischen Landesamtes. Ich will Ihnen aber gern die Zahlen noch mal nennen. Seit 2003 wurden 1.200 von 19.500 Stellen abgebaut, darunter über 400 von 2.600 Professuren – also ein Sechstel der wissenschaftlichen Ressourcen! Gleichzeitig ist die Anzahl der Studierenden um 20 Prozent gestiegen.
Das Ergebnis ist an den Hochschulen deutlich spürbar: die Betreuungssituation hat sich drastisch verschlechtert. Für die Innovationsfähigkeit und Profilbildung wichtige neue Professuren konnten nicht eingerichtet werden. Die Ausgaben des Freistaates pro Student liegen mittlerweile mit 6.676 Euro unter dem Durchschnitt der Bundesländer von 7.272 Euro. Die Qualität von Forschung und Lehre hat deshalb insgesamt gelitten, wie nicht zuletzt das mäßige Abschneiden bei Exzellenzinitiative und Befragungen zur Studienqualität zeigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
ja, der Freistaat muss sparen. Wir können gern an anderer Stelle darüber sprechen, wie die Einnahmesituation der öffentlichen Hand zu verbessern wäre – diese Debatte ist ja schon längst im Gange. Aber für das Hier und Jetzt gilt es Prioritäten zu setzen.
Die von der CDU-Fraktion in dieser Woche verabschiedeten Haushaltseckpunkte lassen da Schlimmes erwarten. Sie wollen bei Bildung und Wissenschaft sparen und die Investitionsquote weiterhin hoch halten. Und das halten wir für falsch – die Zeiten der großen Infrastrukturmaßnahmen sind endgültig vorbei, die Investitionen in die Zukunft müssen nicht in Beton, sondern in Köpfe erfolgen!
Das immer wieder herangezogene Vergleichsland Rheinland-Pfalz weist eben eine Investitionsquote von 11,5 Prozent und nicht von 18,4 Prozent wie Sachsen auf, um die notwendigen Mittel in Bildung und Wissenschaft investieren zu können. In anderen Bundesländern ist das Verhältnis noch deutlicher. Das heißt: Prioritätensetzungen sind möglich, man muss sie nur politisch wollen.
Frau Staatsministerin von Schorlemer, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar, dass sie in den letzten Tagen hier eine klare Position bezogen haben. Ja, Bildung ist das Wichtigste. Ja, Bildung und Forschung sind kein Selbstzweck. Ich zitiere: „Umfang und Art der Investitionen in diesen Bereichen entscheiden, wo Deutschland und Sachsen in zehn Jahren stehen werden. Der globale Wettbewerb ist unerbittlich und unsere Innovationsfähigkeit ist die einzige Chance, den Wohlstand zu halten.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren von der Koalition, folgen Sie Ihrer Ministerin.