Karl-Heinz Gerstenberg: Mit dem grünen Gesetzentwurf könnte Sachsen wirksame Konsequenzen aus den anhaltenden Problemen bei Bachelor und Master ziehen

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor wenigen Tagen kam das 11. Studierendensurvey im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu einer ernüchternden Bilanz des Bologna-Prozesses an den deutschen Hochschulen. Die Böckler-Stiftung fasste die Ergebnisse mit den Worten zusammen: „Bachelor im Mehrfach-Stress“.
Denn nach wie vor hakt es bei den Bachelor-Studiengängen: 40 Prozent der betroffenen Studierenden klagen über zu viele Einzelprüfungen, aber nur jeder Fünfte findet, dass die Studiengänge gut strukturiert und die Prüfungsinhalte darauf abgestimmt sind. In vergleichbaren Diplomstudiengängen sind diese Werte deutlich günstiger. Verschwindende 4 Prozent der Studierenden absolvieren ein Auslandsstudium, gerade einmal 7 Prozent ein Auslandpraktikum, während in den Magisterstudiengängen diese Werte um ein Vielfaches höher liegen. Der permanente Stress, dem Bachelor-Studierende offenbar ausgeliefert sind, wird dadurch verschärft, dass zwei von drei Studierenden nebenbei jobben müssen. Angesicht dieser Situation verwundert es kaum, dass sich jeder zweite Studierende Sorgen macht, ob er den Abschluss schafft.
Diese brandaktuellen Zahlen zeigen, dass sich an den Ursachen der Studierendenproteste im heißen Herbst 2009 offenbar kaum etwas geändert hat. Veränderungen sind weiterhin dringend notwendig. Zwar fällte die Kultusministerkonferenz bereits im Oktober 2009 Beschlüsse zu Kernpunkten der Proteste. Aber nur einige Landesregierungen veränderten tatsächlich ihre Hochschulgesetze, so Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und zuletzt Bremen. Diese gesetzlichen Novellierungen setzten mehr oder weniger stark Kernforderungen der Studierenden um und sie zeigten, dass es eben nicht reicht, an die Hochschulen zu appellieren und die Hände in den Schoß zu legen. Unser heute in zweiter Lesung debattiertes Studienreformgesetz befindet sich also in guter Gesellschaft.
Auch die Staatsregierung bereitet derzeit eine Hochschulgesetznovelle vor. Aber anstatt die Kritiken am Bologna-Prozess sowie die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz konstruktiv aufzugreifen und dadurch wirksame Verbesserungen für die Studierenden auf den Weg zu bringen, würde der Referentenentwurf neben der Behebung handwerklicher Mängel zu deutlichen Verschlechterungen für die Studierenden führen. Die Koalition macht nun offenbar Ernst mit Langzeitstudiengebühren von 300 Euro ab einer Studienzeitüberschreitung von drei Semestern. Aus schlechten Studienbedingungen würde dadurch auch noch ein neues Geschäftsmodell für die Hochschulen: Je geringer die Chancen auf Einhaltung der Regelstudienzeit sind, umso größer wäre die Wahrscheinlichkeit, die betroffenen Studierenden dafür auch noch abkassieren zu können. Das nenne ich wahrlich perfide!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wir machen Ihnen hiermit einen Vorschlag, wie es besser geht. Unser Studienreformgesetz wurde nicht nur in enger Abstimmung mit den Betroffenen entwickelt, sondern seine inhaltlichen Punkte wurden in der Anhörung mehrheitlich von den Experten begrüßt.
Was sind die wichtigsten Änderungen? Wir wollen die Studienorientierung erleichtern und die Zahl der Studienabbrecher verringern und führen deshalb eine verbindliche Studieneingangsphase ein.
Zugleich wollen wir in Anerkennung der vielfältigen Lebenslagen die Möglichkeit des Teilzeitstudiums verbessern. Sowohl Hochschulleitungen als auch Studierende konnten in der Anhörung Wege aufzeigen, wie ein Teilzeitstudium bei intelligenter Organisation grundsätzlich kostenneutral zu organisieren ist.
Nicht mehr, sondern weniger Mobilität ist das absurde Ergebnis der bisherigen Bolognareform. Eine ausgesprochene Mobilitätsbremse ist die verbreitete Unsicherheit, ob an ausländischen Hochschulen erbrachte Prüfungsleistungen nach der Rückkehr überhaupt anerkannt werden. Ein Studierendenvertreter zeigte in der Anhörung mit einem praxisnahen Beispiel einer Studierenden aus Chemnitz, dass es anders geht: „Sie hat in einem Magisterstudiengang studiert und ist nach Finnland gegangen. Der Magisterstudiengang wurde nicht abgeschlossen und sie durfte dort – ohne jegliche Anpassungsmodule etc., wie es bei uns üblich ist – den Masterstudiengang in Finnland beginnen und hat diesen dort auch erfolgreich absolviert.“ Deshalb sollen Studienleistungen, die an deutschen Hochschulen sowie Hochschulen innerhalb des europäischen Hochschulraumes erbracht wurden, künftig als gleichwertig festgestellt und anerkannt werden. Ihre Nichtanerkennung ist begründungspflichtig. Zudem wird gesetzlich neu festgeschrieben, dass Studienordnungen Zeitfenster für Auslandsaufenthalte und Praktika vorsehen sollen.
Über die Dauerbelastung durch Prüfungen klagen Studierende wie Lehrende zu Recht. Anstelle von derzeit zwei oder drei Prüfungsleistungen pro Modul greifen wir die Vorschläge der Kultusministerkonferenz auf und wollen gesetzlich festlegen, dass je Modul nur eine Prüfungsleistung zu erbringen ist. Dabei sind Ausnahmen für größere und komplexere Module möglich. Zusätzlich wird die Anzahl der Modulprüfungen pro Semester auf fünf begrenzt. Anwesenheitskontrollen sollen nur zulässig sein, wenn die Teilnahme unmittelbare Voraussetzung für den Studienerfolg ist, wie beispielsweise bei Laborpraktika.
Hochaktuell ist die Frage des möglichst freien Zugangs zum Master, denn die ersten großen Bachelor-Jahrgänge stehen jetzt vor der Entscheidung zwischen Praxis- und Masterphase. Wir wollen, dass die Zulassung zum Masterstudium in konsekutiven Studiengängen auf Grundlage des Bachelorabschlusses ohne weitere Zugangsvoraussetzungen erfolgt.
Neben unmittelbaren Regelungen zum Studium kommt es auch auf die Rahmenbedingungen an. Deshalb wollen wir die bisherige Erprobungsklausel des Hochschulgesetzes durch eine Abweichungsklausel ersetzen, die es zusätzlich erlaubt, zentrale Gremien wie Rektorat oder Senat, aber auch Personalkategorien, abweichend zu gestalten. In diesem Zusammenhang wollen wir auch die Verantwortung für den Personaleinsatz vollständig in die Hände der Hochschulen legen, ohne die Tarifbindung und die Beschäftigung als Landesbedienstete aufzugeben. Die Hochschulen sollen künftig Umfang und Art der Dienstaufgaben ihres Personals eigenständig durch eine Ordnung oder durch Vereinbarung des Gesamtlehrvolumens mit den Fakultäten regeln können. Dem Rektor der TU Chemnitz, Prof. Matthes, sprechen diese Regelungen wie wahrscheinlich vielen anderen „aus dem Herzen“. An diesem Punkt bin ich gespannt, wie sich insbesondere die FDP, die erst am vergangenen Wochenende für mehr Hochschulautonomie eingesetzt hat, verhalten wird.
Der vielleicht umstrittenste Punkt betrifft das Promotionsrecht. Der Bologna-Prozess nähert Universitäten und Fachhochschulen an. Eine logische Konsequenz daraus ist aus unserer Sicht die Öffnung der Fachhochschulen für die Promotion. Die Koalition eiert in dieser Frage seit Monaten herum. Während Herr Prof. Schmalfuß immer wieder den Durchbruch ankündigt, finden sich im Referentenentwurf des Wissenschaftsministeriums nur kleine Änderungen beim kooperativen Promotionsverfahren. Jeder, der sich mit der Materie auskennt, weiß jedoch, dass das kooperative Verfahren, bei aller Achtung vor den wenigen laufenden Verfahren, nie die große Lösung sein wird. Die hohen Hürden für Fachhochschulabsolventen gegenüber Universitäten sind strukturell angelegt.
Sächsische Fachhochschulen weisen zumindest in einzelnen Fachgebieten hervorragende Forschungsleistungen auf – und mir ist auch keine einzige Fachhochschule bekannt, die das Promotionsrecht in voller Gänze möchte. Deshalb soll nach unserem Gesetzentwurf auf Antrag einzelnen Fachgebieten mit besonderen Forschungsleistungen das Promotionsrecht übertragen werden können. Voraussetzung dafür ist eine positive Bewertung der wissenschaftlichen Voraussetzungen durch eine Fachkommission – genau diese zielgenaue Lösung wird von den Fachhochschulen eingefordert. Lieber Herr Prof. Schmalfuß, statt weiter mit einer Schmalspurlösung am kooperativen Promotionsverfahren herumzudoktern, geben Sie sich einen Ruck und unterstützen Sie unseren Gesetzentwurf zumindest in diesem Punkt.
Meine Damen und Herren,
mit dem vorliegenden Gesetzentwurf könnte der Freistaat wirksame Konsequenzen aus den anhaltenden Problemen bei Bachelor und Master ziehen. Ich fordere Sie auf, unser Angebot anzunehmen und endlich zu handeln. Ansonsten könnte der permanente Mehrfach-Stress für die Bachelor-Studierenden in einem nächsten Protest-Herbst oder -Frühling zum Stress-Test für die Regierenden werden.