Karl-Heinz Gerstenberg: Studienreformgesetz soll Bedingungen für Studien und Promotionen verbessern sowie den Hochschulen eine größere organisatorische Autonomie bieten

Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Gerstenberg zur 1. Lesung des Entwurfes „Studienreformgesetz“ der Fraktion GRÜNE (Drs 5/3443) in der 20. Sitzung des Sächsischen Landtages, 2. September, TOP 3
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,liebe Kolleginnen und Kollegen,“Wir sind das Hackfleisch in der Bolognese“ – so drastisch und emotional brachten Studierende ihre Kritik an der Umsetzung des Bologna-Prozesses während der Studentenproteste im vergangenen Sommer und im darauf folgenden heißen Herbst zum Ausdruck.
Die Aktionsformen des Bildungsstreiks – Demonstrationen, Hörsaalbesetzungen, Offene Foren- waren sehr vielfältig. Einhellig war aber die Kritik an der „Verschulung des Studiums“ und dessen stofflicher Überfrachtung, der enormen Prüfungsdichte und den strengen Anwesenheitskontrollen. Weitere Kernkritikpunkte waren der begrenzte Zugang zum Masterstudium, die Verschlechterung der Mobilität – national wie international-, die restriktive Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen und selbstverständlich die bereits eingeführten oder drohenden Studiengebühren.
Auch Vertreterinnen und Vertreter von Wissenschaft und Wirtschaft äußerten seit Jahren Kritik. Der Beschluss der Kultusministerkonferenz von Oktober 2009 nahm die Kernpunkte der Proteste auf. Auch von Hochschulrektorenkonferenz und Akkreditierungsrat gab es danach positive Reaktionen und Zusagen.
Heute, fast ein Jahr später, bleibt festzustellen, dass die Reform der Reform beim Bolognaprozess nach wie vor nur wenig vorangekommen ist. Es scheinen die Studierenden recht zu behalten, die zum Jahreswechsel befürchteten, dass alle Zusagen und Beschlüsse vor allem das Ziel hätten, sie ruhig zu stellen. Angesichts der hohen Zahl nicht-akkreditierter Studiengänge reicht es eben nicht aus, auf die Hochschulen oder das Akkreditierungswesen zu verweisen. Wir brauchen Mindeststandards im Gesetz, auf die sich Studierende und Lehrende verlassen können.
Vor diesem Hintergrund bringt unsere Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute ein Studienreformgesetz zur 1. Lesung, welches das Sächsische Hochschulgesetz in den Bereichen Studium und Lehre mit Augenmaß novelliert. Es sieht verbindliche Regelungen zur Verbesserung der Studienbedingungen und Promotionen vor, zugleich aber eine größere organisatorische Autonomie der Hochschulen.
Unser vorliegender Gesetzentwurf sieht ausgehend von den beschriebenen Problemen Änderungen in acht Bereichen vor:
Erstens wollen wir Studieneingangsphase und die Möglichkeit des Teilzeitstudiums verbessern.
Um den Studieneinstieg zu erleichtern, werden die Hochschulen verpflichtet ein bedarfsgerechtes Angebot an Einführungsveranstaltungen wie Sommerakademien und wissenschaftliche Propädeutika zu schaffen. Studierende, die dies wünschen, können eine Studieneingangsphase, ein sogenanntes Schnuppersemester, absolvieren, nach der sie sich endgültig für ein Fach entscheiden. Es wird ein Individualrecht verankert, nachdem auf Antrag der Studierenden ein Teilzeitstudium oder berufsbegleitendes Studium zu ermöglichen ist. Dadurch trägt das Hochschulgesetz den höchst unterschiedlichen Lebenssituationen heutiger Studierender Rechnung.
Zum zweiten soll der Gesetzentwurf zu einer Verbesserung der Mobilität der Studierenden führen.
Die verbreitete Unsicherheit, ob an anderen Hochschulen erbrachte Prüfungsleistungen nach der Rückkehr überhaupt anerkannt werden, ist eine ausgesprochene Mobilitätsbremse. Deshalb sollen Studienleistungen, die an deutschen Hochschulen sowie Hochschulen innerhalb des europäischen Hochschulraumes erbracht wurden, künftig als gleichwertig festgestellt und anerkannt werden. Ihre Nichtanerkennung ist begründungspflichtig. In dieser Frage erfolgt sozusagen eine Umkehrung der Beweislast.
Zudem wird gesetzlich neu festgeschrieben, dass Studienordnungen Zeitfenster für Auslandsaufenthalte und Praktika vorsehen sollen. Auch hier sind Abweichungen nur in Ausnahmefällen möglich.

Drittens sollen die Prüfungslast deutlich reduziert und Anwesenheitskontrollen auf das unbedingt notwendige Maß begrenzt werden.
Über die Dauerbelastung durch Prüfungen klagen Studierende wie Lehrende zu Recht. Anstelle von derzeit zwei oder drei Prüfungsleistungen pro Modul wird entsprechend der Vorschläge der Kultusministerkonferenz gesetzlich festgeschrieben, dass je Modul nur eine Prüfungsleistung zu erbringen ist. Damit entsprechen wir auch einer Forderung der Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen. Dabei sind Ausnahmen für größere und komplexere Module möglich. Zusätzlich wird die Anzahl der Modulprüfungen pro Semester auf fünf begrenzt.
Wir wollen die Freiheit des Studiums wahren und keine unnötigen Hürden für den Studienabschluss errichten. Deshalb sollen Anwesenheitskontrollen nur zulässig sein, wenn die Teilnahme unmittelbare Voraussetzung für den Studienerfolg ist, wie beispielsweise bei Laborpraktika.
In einem vierten Komplex werden der freie Zugang zum Master und die Studiengebührenfreiheit für den Master geregelt.
Zusätzliche Hürden vor dem Masterstudium widersprechen der Intention konsekutiver, also direkt aufeinander aufbauender Studiengänge. Deshalb soll die Zulassung zum Masterstudium in konsekutiven Studiengängen aufgrund des Bachelorabschlusses ohne weitere Zugangsvoraussetzungen erfolgen.
Sachsen wirbt um Studierende und nutzt dafür das Argument der Studiengebührenfreiheit. Nach dem derzeitigen Hochschulgesetz sind aber lediglich konsekutive Masterstudiengänge studiengebührenfrei. Durch die gesetzlich verbindliche Gebührenfreiheit bis zum ersten Master wird die Lücke bei nicht-konsekutiven Studiengängen geschlossen.
Fünftens wollen wir die studentische Mitbestimmung in studienrelevanten Angelegenheiten stärken.
Bisher kann ein Votum der Mehrheit der Studierendenvertreter eines Gremiums von zwei Dritteln der Gremienmitglieder überstimmt werden. Diese Regelung wird aufgehoben, damit keine Beschlüsse zur Studienorganisation gegen die Interessen der Studierenden getroffen werden.
Gerade im Zuge der Studentenproteste ist das Interesse an der Hochschulselbstverwaltung unter den Studierenden größer geworden. Um dieses ehrenamtliche Engagement zu unterstützen, werden die Beurlaubungsregelungen für Arbeit in den studentischen Gremien großzügiger gestaltet.

Sechstens führen wir die Dissertationsvereinbarung und das Promotionsrecht für Fachhochschulen ein.
Mit dem Instrument der Dissertationsvereinbarung soll die Qualität auch in der Promotionsphase verbindlich gesichert werden. Damit tragen wir den verbreiteten Abstimmungsproblemen bei der Durchführung von Dissertationsvorhaben Rechnung, um die Abbruchquote von Dissertationen zu senken.
Sächsische Fachhochschulen weisen zumindest in einzelnen Fachgebieten   hervorragende Forschungsleistung auf – und das geht weit über die oft zitierte Laserforschung in Mittweida hinaus. Deshalb soll auf Antrag einzelnen Fachgebieten das Promotionsrecht übertragen werden können. Voraussetzung dafür ist eine positive Bewertung der wissenschaftlichen Voraussetzungen durch eine Fachkommission.

Zum Siebenten stärken wir die Hochschulautonomie durch erweiterte Abweichungsmöglichkeiten von den hochschulgesetzlichen Regelungen.
Im Zuge der Ausdifferenzierung der sächsischen Hochschullandschaft müssen die Hochschulen die Möglichkeit haben, ihre Organisationsweise an jeweils spezifische Problemlagen anzupassen. Die bisherige Erprobungsklausel wird deshalb durch eine Abweichungsklausel ersetzt, die es zusätzlich erlaubt, die zentrale Organisationsebene bei Gremien und Einrichtungen sowie die Personalkategorien abweichend zu gestalten.
Und schließlich schaffen wir Achtens die rechtlichen Voraussetzungen dafür, dass die Hochschulen ihr Personal flexibel einsetzen können.
Die Verantwortung für den Personaleinsatz wird vollständig in die Hände der Hochschulen gelegt werden, ohne die Tarifbindung und die Beschäftigung als Landesbedienstete aufzugeben. Die Hochschulen sollen künftig Umfang und Art der Dienstaufgaben ihres Personals eigenständig durch eine Ordnung oder durch Vereinbarung des Gesamtlehrvolumens mit den Fakultäten regeln können.

Meine Damen und Herren,
bei der Erarbeitung und Diskussion dieses Gesetzes haben wir ganz bewusst Studierende, Hochschullehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter und Hochschulleitungen eingebunden und deshalb den Gesetzentwurf bereits im Juni öffentlich zur Diskussion gestellt. Im Ergebnis konnten wir den Entwurf in einer Reihe von Punkten verbessern – ein gutes Beispiel dafür, dass sich Beteiligung und Diskussion lohnen können. Einen solchen Prozess der offenen, konstruktiven Diskussion wünsche ich mir auch für die weitere parlamentarische Bearbeitung. Mit dieser hoffnungsvollen Aussicht bitte ich Sie um Zustimmung zur Überweisung in den Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien.