Karl-Heinz Gerstenberg zu Fort Zinna – Die Linke zielt auf eine komplette Neugestaltung des Gedenkortes, dies würde die Debatte um Jahre zurückwerfen

Die Linke zielt auf eine komplette Neugestaltung des Gedenkortes, dies würde die Debatte um Jahre zurückwerfen
Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag „Getrenntes Erinnern am Gedenkort Fort Zinna / Torgau ermöglichen“ in der 18. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. Juni, TOP 8
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten vereint mit Bautzen, Dresden/Münchner Platz und Torgau mehrere Gedenkorte mit doppelter Vergangenheit. Orte, an denen sowohl in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als auch unter der kommunistischen Diktatur Menschen gefangen gehalten, gequält und getötet wurden.
In Torgau befanden sich in der NS-Zeit mit „Fort Zinna“ und „Brückenkopf“ zwei Wehrmachtsgefängnisse. Mit der Verlegung des Reichskriegsgerichtes im Jahr 1943 war es zur Zentrale des Wehrmachtstrafsystems geworden. Nach 1945 richtete das NKWD im Fort Zinna und der benachbarten Seydlitz-Kaserne die sowjetischen Speziallager Nr. 8 und Nr. 10 ein. Hier wurden Menschen zum Teil ohne Urteil und nicht selten ohne konkreten Tatvorwurf interniert. Oft reichte die bloße Mitgliedschaft in einer nationalsozialistischen Organisation dafür aus.
Später wurden hier auch sowjetische Staatsbürger gefangen gehalten, denen nach ihrer Verurteilung durch Militärtribunale die Deportation in Zwangsarbeitslager bevorstand. Nach sowjetischen Angaben sind in den beiden Speziallagern über 800 Menschen ums Leben gekommen, Menschen, denen unsere Erinnerung und Würdigung gilt.
Trotzdem steht außer Zweifel: Torgau ist in erster Linie der zentrale Gedenkort für die Opfer der NS-Militärjustiz! Torgau und insbesondere Fort Zinna stehen für das mörderische Wehrmachtstrafsystem schlechthin. Hier litten tausende Verurteilte deutscher Militärgerichte: Wehrdienst- und Befehlsverweigerer, Deserteure, der „Wehrkraftzersetzung“ Angeklagte sowie wegen krimineller Delikte verurteilte Soldaten.
Verurteilt von einer Justiz, die vor allem eines nicht war: unabhängig und rechtsstaatlich. Die Wehrmachtjustiz pervertierte die Rechtsprechung zu einer exzessiven Todesurteilspraxis, flankiert von barbarischem Strafvollzug. Sie wurde daher mit Recht 1991 endlich vom Bundessozialgericht als das bezeichnet, was sie tatsächlich war: «ein Instrument des politischen Terrorsystems der NS-Herrschaft».
Mit Recht forderten daher die letzten Opfer der NS-Militärjustiz, aber auch andere Opferverbände, Wissenschaftler und engagierte Bürger, dass diese traurige Bedeutung Torgaus als Schwerpunkt der Gedenkkultur in Torgau herausgestellt wird.
Mit Recht fordern sie eine respektvolle und würdevolle Ehrung dieser so lange vergessenen und verleumdeten Opfergruppe und mit Recht forderten sie für sich und die Angehörigen der Opfer endlich die Möglichkeit, am authentischen Ort würdevoll zu gedenken und vor allem zu erinnern.
Das am 9. Mai dieses Jahres enthüllte Mahnmal bietet in seiner Klarheit, seiner so aufrüttelnden wie schmerzenden Stille in beeindruckender Form diese Möglichkeit. Es ist zweifelsohne der künstlerische Höhepunkt des Gedenkortes Fort Zinna.
Doch dieses Mahnmal kam spät. Für viele kam es zu spät – wie die Rehabilitierung der von Militärgerichten verurteilten Personen.
Erst 1998 hob der Bundestag die Unrechtsurteile der NS-Militärjustiz auf. 2002 beschloss das Parlament endlich die pauschale Rehabilitierung von Deserteuren.
Aber für Urteile nach dem berüchtigten Kriegsverrats-Paragrafen galt selbst danach noch die Einzelfallprüfung. Im vergangenen Jahr konnte endlich auch die CDU im Bundestag der pauschalen Rehabilitierung zustimmen. Spät, viel zu spät. Inzwischen sind die meisten Opfer der Militärjustiz, die das Dritte Reich überlebten, entwürdigt gestorben.
Meine Damen und Herren, das ist eine Schande! Und diese Schande gilt es klar zu benennen und nicht schön zu reden. Es ist daher schon befremdlich und  auch eine Verhöhnung der Opfer, wenn die Gedenktafel vor Fort Zinna den ersten Bundestagsbeschluss als generelle Rehabilitierung benennt. Und wenn zudem auf die berechtigte Kritik des Opferverbandes nur lapidar geantwortet wird, es wäre keine Zeit für Korrekturen gewesen. Diese Korrekturen müssen jetzt umgehend nachgeholt werden!
Solche unnötigen Fehler sind vor allem deshalb unakzeptabel, weil die Gestaltung des Gedenkortes Torgau zwischen den Opfergruppen von Anfang an umstritten, ja oft sogar hart umkämpft war. Umso wichtiger war es, dass  Ludwig Baumann und die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz nach langen schweren Debatten in einem hoch anzuerkennenden Schritt einem Ort der gemeinsamen Erinnerung zugestimmt haben.
Grundlage dafür, dass das Konzept der gemeinsamen Erinnerung weiterhin prinzipiell gilt, war die Erfüllung von drei Forderungen: Erstens sollte eine räumliche Trennung geschaffen werden. Zweitens müsse dem bereits 1992 errichteten drei Meter hohen Kreuz für die Opfer des Stalinismus durch eine eigenständige Aussage in Form einer Skulptur entsprochen werden. Und drittens sollte die Feststellung öffentlich gemacht werden, dass unter den in Torgau Internierten und Inhaftierten auch Nazi-Täter waren, die eben jene NS-Militärjustiz mit ihren Opfern zu verantworten haben.
Das eigenständige Denkmal kam – in beeindruckender Weise. Es kam auch die versprochene räumliche Trennung an dem gemeinsamen Gedenkort – klar und deutlich in Form einer übermannshohen Hecke. Eine massivere Trennung würde Mauern erfordern. Solche Mauern schaffen aber nur Mauern in den Köpfen – die kann niemand wollen!
Der Kompromiss fordert gerade die Bezugnahme aufeinander, nicht das Verschweigen
Werte Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, mit Ihrem Antrag zielen Sie auf eine komplette Neugestaltung des Gedenkortes. Die würde den Kompromiss aufkündigen und mithin die Debatte um Jahre zurückwerfen. Sie hinken hinterher!
Der Kompromiss, zu dem die Bundesvereinigung damals bereit war, ging viel weiter und war viel komplexer, als es Ihr Antrag ist. Denn der Kompromiss fordert gerade die Bezugnahme aufeinander, nicht das Verschweigen.
Es ist aber zu fragen, warum der so wichtigen dritten Forderung nach dem Öffentlichmachen der Tatsache, dass unter den Internierten der Speziallager auch Nazi-Täter waren, von Seiten der Stiftung und des Freistaates bisher nicht entsprochen wurde. Warum werden statt dessen direkte Bezüge zwischen der Gruppe der Opfer der Militärjustiz und den in den Speziallagern einsitzenden  Kriegsgefangenen, mithin Täter-Opfer-Beziehungen, generell verneint?
Die Stiftung selbst veröffentlichte eine zahlenmäßige Aufstellung zu den als Kriegsgefangene im Speziallager 8 Internierten. Lagerleiter Nikitin meldete darin knapp 500 Angehörige der Gestapo, des SD und anderer Straforgane. Gestapo und SD wurden vom Nürnberger Militärtribunal als verbrecherische Organisationen eingestuft und sie waren gerade in Strafverfolgung und Strafvollzug tätig – auch im Wehrmachtsstrafsystem.
Bis zum heutigen Tag lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, wie viele der unter den Gefangenen erwähnten 25 Richter und Staatsanwälte auch Kriegsrichter waren. Die Forschung arbeitet gerade an den Lücken auf diesem Gebiet. Ein Name ist bisher  quellenmäßig bereits abgesichert: Kurt Lüddemann. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft ab 1940 im Luftwaffen-Justizdienst und Kriegsgerichtsrat. Er saß von 1945-1946 nachweislich in Torgau ein, zuerst im Fort Zinna, danach in der Seydlitz-Kaserne.
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministerin,
es ist an der Zeit, diese Tatsachen zu akzeptieren und endlich der  berechtigten Forderung der Bundesvereinigung nach ihrer öffentlichen Bekanntmachung nachzukommen. Ein weiteres Hinhalten ist nicht akzeptabel!
Einer Opfergruppe, die jahrzehntelang verleumdet oder vergessen wurde und deren Einsatz für ein würdevolles Gedenken tatsächlich zu einen Kampf gegen die Zeit wurde, muss mit größerer Sensibilität begegnet werden. Abänderungen und Aufklärung immer nur zu versprechen, ohne sie umzusetzen, das ist unsensibel und schafft Misstrauen.
Mehr Sensibilität und vor allem eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte fordere ich aber auch von der Bezirksgruppe Torgau der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS). In einer Nacht- und Nebelaktion stellte sie kurz vor Eröffnung des Mahnmals am 9. Mai die schon einmal aus gutem Grund vom Evangelischen Friedhof entfernte Gedenktafel für den NS-Arzt Dr. Friedrich Timm auf.
Timm war Doktorvater des Buchenwald-KZ-Arztes Erich Wagner, der Hautexperimente an über 800 tätowierten Häftlingen unternahm – oft verbunden mit tödlichem Ausgang und Verarbeitung der Haut zu Lampenschirmen. Durch diese Gedenktafel verletzte die VOS-Gruppe schmerzlich die Gefühle der NS-Opfer, provozierte Ludwig Baumann dazu, die Gedenkstätte als «Schandmal» zu bezeichnen und brüskierte auch alle, die versuchen, im Torgauer Gedenkstättenstreit ein Lösung zu finden. Ich bin daher sehr froh, dass das DIZ Torgau schnell gehandelt und diese Tafel am 2. Juni entfernt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: Torgau ist nun einmal eine Gedenkstätte mit doppelter Vergangenheit. Auch hier kann Geschichte nicht nachträglich verändert werden. Die Entstehung von Ausstellung und Gedenkstätte und ihre Gestaltung boten und bieten zum Teil auch heute noch Anlass für Kritik. Aber in der Zwischenzeit hat sich die Stiftung für Anregungen und Kritik geöffnet.
Es gibt das erwähnte Forschungsprojekt. Der Wissenschaftliche Beirat hat Vorschläge für eine räumliche Trennung gemacht. Auch Frau von Schorlemer versicherte als verantwortliche Ministerin ihre Bereitschaft zu einer Umarbeitung der «Spuren des Unrechts». Vielleicht  kann sich der Stiftungsrat in seiner nächsten Sitzung nun endlich zu einer praktischen Umsetzung der Absichtserklärungen durchringen. Das wäre wichtig!
Von diesem Parlament sollte deshalb die dringende Ermunterung zu diesem Schritt ausgehen. Er ist die Voraussetzung dafür, dass Torgau und Fort Zinna zu einem Ort der gemeinsamen Erinnerung werden können. Der vorliegende Antrag hingegen will Trennen und Teilen. Deshalb ist er leider kein sinnvoller Beitrag zur Lösung des Konfliktes.