Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag „Planungssicherheit für die sächsischen Hochschulen herstellen“
Es nicht zu spät, vom eingeschlagenen Weg des Abstiegs wegzukommen – Investieren sie nicht weniger, sondern mehr in Hochschule und Wissenschaft
Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag "Planungssicherheit für die sächsischen Hochschulen herstellen" (SPD, Drs. 5/7462) in der 45. Sitzung des Sächsischen Landtages, 24.11., TOP 5
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
"Lernen macht glücklich und reich" – dieser Satz geistert seit Montag durch die Medien. Er versucht eine Studie der Bertelsmann-Stiftung auf den Punkt zu bringen: Bildung, ökonomische Prosperität und Lebenszufriedenheit hängen eng miteinander zusammen. Dabei gibt es ein gravierendes Gefälle zwischen den Bundesländern. Bayern und Baden-Württemberg schneiden im Deutschlandvergleich hervorragend ab, alle anderen Bundesländer rangieren deutlich dahinter – Sachsen ist zwar Dritter, führt aber bei genauem Hinsehen nur die abgehängten Bundesländer an.
Die Hochschulen haben in dieser Studie zwar keine Rolle gespielt. Ich bin mir jedoch sicher, dass mit ihrer Einbeziehung die Unterschiede noch größer wären. Die Ursache liegt auf der Hand: Bayern und Baden-Württemberg haben in den letzten Jahren massiv in Bildung und Wissenschaft investiert und dies zum Erfolgsfaktor ihrer ökonomischen Entwicklung gemacht. Die finanzielle Grundausstattung je Student liegt in Sachsen bei 6.100 Euro, in Bayern und Baden-Württemberg bei über 8.000 Euro. Die Drittmittelaufkommen sind hier noch gar nicht mitgerechnet – sie vergrößern noch einmal das Gefälle.
Es lässt sich sehr genau zurückverfolgen, wann und wie diese Kluft entstanden ist. Noch vor zehn Jahren befand sich Sachsen in der Grundausstattung auf Augenhöhe mit den Spitzenländern. Statt diese günstige Ausgangslage zu nutzen, wurde sie im Rahmen der Hochschulvereinbarung 2003 mit einem einschneidenden Stellenabbau – darunter ein Sechstel der Professuren – bei gleichzeitigem Studierendenzuwachs gnadenlos verspielt.
Das bittere Ergebnis lässt sich bei der Exzelleninitiative wie auch bei jeder Bleibeverhandlung von Professoren beobachten. Meine Damen und Herren, machen wir uns doch nichts vor: Den sächsischen Hochschulen ist mit Ausnahme weniger Leuchttürme in der Aufholjagd längst die Luft ausgegangen. Die Verantwortung dafür tragen nicht die engagierten Wissenschaftler an den Hochschulen, sondern einzig und allein die CDU-geführten Staatsregierungen der letzten zehn Jahre.
Werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich bitte Sie, halten Sie inne mit dem Klopfen auf die eigenen Schultern und schauen Sie aufmerksam nach Baden-Württemberg und Bayern. Sie müssen ja nicht einmal über ihren parteipolitischen Schatten springen, machen Sie sich diese beiden unionsgeführten Länder in der Prioritätensetzung bei Hochschule und Wissenschaft zum Vorbild.
Die Planungen der Staatsregierung sprechen bis jetzt eine andere Sprache. Sie wollen bis 2020 über 1.000 von rund 9.000 Stellen streichen! Und Sie behalten diese Planung bei, obwohl die Hochschulen derzeit und wohl auch in den kommenden Jahren von Studierenden zum Teil überrannt werden. Das mindeste, was angesichts der erfreulichen Studienanfängerzahlen erwartet werden kann, ist in der Tat das von der SPD im Antrag geforderte Stellenabbau-Moratorium bis 2015. Diese Forderung wie auch den gesamten Antrag unterstützen wir.
Unsere Fraktion hat einen Alternativen Hochschulentwicklungsplan vorgelegt, der über das zweijährige Moratorium hinausgeht. Wir wollen den jetzigen Gesamtumfang von Finanzausstattung und Stellen bis 2020 beibehalten und die Hochschulen damit in die Lage versetzen, auch bei einem Rückgang der Studierendenzahlen attraktiv zu bleiben und ihr Profil zu schärfen. Sachsen kann es mit der Nutzung der demografischen Dividende schaffen, perspektivisch wieder zu den genannten Spitzenländern aufzuschließen.
Ich will gerade aus ökonomischer Sicht zwei zentrale Vorteile einer solchen Strategie nennen, die jedem Wirtschafts- und Haushaltspolitiker einleuchten müssten. Erstens: Gerade in den Technik- und Ingenieurfächern brechen bis zu einem Drittel der Studierenden ihr Studium ab. Eine bessere Personalausstattung würde es ermöglichen, die Zahl der Studienabbrüche zu verringern. Das bedeutet mehr Absolventen und mehr dringend benötigte Fachkräfte.
Ein zweites Beispiel: Schon jetzt kommt an vielen sächsischen Hochschulen auf einen Euro vom Freistaat ein weiterer Euro an Drittmitteln. Viele Drittmittelanträge werden aufgrund geringerer Grundmittelausstattung aber gar nicht erst gestellt. Besser ausgestattete Länder wie Baden-Württemberg werben jedoch für jeden Euro vom Land volle zwei Euro Drittmittel ein. Mit einer besseren Ausstattung würden die Hochschulen in die Lage versetzt, ihre Drittmittelwerbung zu verbessern. Das sorgt für Arbeitsplätze und Innovation.
Es gibt viele weitere Beispiele.
Die erwähnte Bertelsmann-Studie hat zwei bemerkenswerte Perspektiven aufgemacht. Die "hidden champions" – die heimlichen Sieger von morgen – sind diejenigen Regionen, die bei eher unterdurchschnittlicher Wirtschaftskraft überdurchschnittlich viel in Bildung investieren. Ihnen gegenüber stehen Regionen, die bei vergleichsweise guter ökonomischer Lage die Investitionen in Bildung vernachlässigen – das sind die potentiellen Absteiger.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, noch ist es nicht zu spät, vom eingeschlagenen Weg des Abstiegs wegzukommen und Sachsen tatsächlich zum "hidden champion" zu machen. Zeigen Sie sich lernfähig und investieren sie nicht weniger, sondern mehr in Hochschule und Wissenschaft. Dann wird Sachsen nicht nur reich, sondern vielleicht auch etwas glücklicher.